Theologin: Schöpfungsglaube hat politische Dimension
Der Mensch soll sich die Erde untertan machen, heißt es in der Bibel. Heute steht die Menschheit vor der Herausforderung, die ökologische Krise zu lösen. Die an der Universität Luzern lehrende Theologin Franca Spies spricht im Interview über ein Versündigen gegen die Erde und das Potenzial, das Kirche und Theologie im Kampf gegen den Klimawandel mitbringen.
Frage: Frau Spies, der Mensch hat Tiere ausgerottet, Meere verdreckt, Wälder gerodet – können wir uns selbst wirklich als Krone der Schöpfung bezeichnen?
Spies: Das wird gerne als zentrales biblisches Motiv der Lehre vom Menschen herausgestellt, dabei ist es nur eines unter vielen. Mit Blick auf die sogenannten Schöpfungsberichte ist entscheidend, dass der Mensch als Ebenbild Gottes bezeichnet wird. Und das schließt eine Funktion ein: Der Mensch soll sich zur Schöpfung verhalten, wie Gott es tut – nämlich so, dass die Schöpfung gedeihen kann und Leben ermöglicht wird. Seine herausgehobene Position besteht in erster Linie in der Verantwortung, die er trägt.
Frage: Was hat es mit dieser Gottebenbildlichkeit eigentlich auf sich?
Spies: Im hebräischen Original wird hier ein Wort verwendet, das eigentlich eine Kult-Statue bezeichnet. Diese Statue repräsentiert die Gottheit im Tempel. Bezogen auf die Welt meint es also, dass der Mensch als Repräsentant für Gott in der Schöpfung steht. Natürlich ist das eine Auszeichnung für den Menschen – aber eben nicht in dem Sinne, dass er seine Umwelt ausbeutet. Theologisch entscheidend ist, dass der Mensch der vor Leben sprudelnden Schöpfung dienen soll.
Frage: Sie verwenden den Begriff der Schöpfung – würde es das Wort "Natur" nicht auch tun?
Spies: Wenn ich von Schöpfung spreche, dann meine ich damit etwas anderes als die Natur und wie sie sich entwickelt hat. Ich meine damit die Welt, die wir wahrnehmen und die wir in eine Beziehung zu Gott als Ursprung und Ziel setzen. Das bedeutet zugleich, dass Schöpfung kein einzelnes Ereignis vor Millionen Jahren meint. Das geben auch die biblischen Texte her: Schöpfung ist vielmehr eine Aussage über das Hier und Jetzt statt ein bloßer Ursprungsmythos. Es geht um ein Orientierungswissen, das uns sagt, dass die Welt eine Ausrichtung auf das Gute hat, die sich aus dem bloßen Naturprozess nicht ergibt.
Frage: Also geht es weniger um die singuläre Erschaffung und mehr um das Prozesshafte. Wie anschlussfähig ist diese Position?
Spies: Schon Thomas von Aquin sagt, dass neben der bloßen Hervorbringung auch die Erhaltung der Welt Teil des Schöpfungsaktes ist. Und Papst Franziskus schreibt in der Enzyklika "Laudato si", dass die zentrale Schöpfungsbeziehung jene zwischen Mensch, Gott und Erde ist. Damit setzt er einen besonderen Akzent. Er sagt sogar, dass Sünde nicht nur dort ist, wo die Beziehung zwischen Mensch und Gott oder Mensch und Mensch, sondern auch zwischen Mensch und Erde gestört ist. Darin kommt die Aktualität des Schöpfungsglaubens zum Ausdruck.
Frage: Also konkret: Der Mensch kann sich gegen die Erde versündigen?
Spies: Ja. Weil die Beziehung zwischen Mensch und Erde gelingen soll. Und natürlich ist das in der Realität nicht durchgehend möglich, wir sind nunmal auf die Ressourcen des Planeten angewiesen. Aber die Utopie des Schöpfungsglaubens sieht die gedeihliche Beziehung vor.
Frage: Dann gehen wir aber noch einmal von der Utopie zur Realität. Da hat der biblische Auftrag "Macht euch die Erde untertan" und die Idee vom Menschen als Krone der Schöpfung in der Geschichte dazu geführt, dass der Mensch die Erde ausgebeutet hat.
Spies: Da müssen wir etwas genauer hingucken. Es ist nicht nur ein theologisches Phänomen, dass der Mensch als Herrscher über die Welt verstanden wird; das kennen etwa auch Teile der neuzeitlichen Philosophie. In der Grammatik des christlichen Glaubens ist aber natürlich auch eine solche Engführung auf den Menschen festzustellen. Das ist nicht nur schlecht, denn damit verbunden sind auch Errungenschaften wie der Fokus auf Freiheit und autonome Vernunft. Die sollte man nur mit Vorsicht infrage stellen. Zugleich müssen Kirche und Theologie deutlich machen, dass der Mensch eingebunden ist in die ganze Schöpfung – und dabei auch die weltlichen Bezüge aufwerten. Das Potenzial dafür ist da.
Frage: Worin liegt denn genau das Potenzial?
Spies: Nehmen wir das Beispiel der Inkarnation, also die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Es gibt eine theologische Strömung, die sagt, dass der ganze Weltprozess eine andauernde Inkarnation Gottes ist, die einmal in diesem konkreten Menschen gipfelt. Damit wird unmittelbar theologisch relevant, wie wir mit der Welt umgehen. Andere Ansätze legen nahe, dass wir eine tiefe Gottfähigkeit der Welt ansetzen müssen, damit Gott und Mensch in der Person Jesu Christi wirklich zusammenkommen können. Das klingt kompliziert, ist aber wichtig, weil so auch das Schicksal des Planeten eine theologische Qualität bekommt.
Frage: Aber nun glaubt ja längst nicht die Mehrheit der Menschheit an diese Menschwerdung. Ist die theologische Qualität des Menschen und der Erde daher nicht mehr vorhanden?
Spies: Da nähern wir uns der schwierigen Frage, was theologische Inhalte und religiöse Überzeugungen in der Öffentlichkeit noch austragen können. Kurz gesagt: Unabhängig von allen theologischen Bemühungen braucht es eine säkulare Ethik, die sich beispielsweise mit der Würde von Mensch und Erde befasst. Das befreit die Theologie aber nicht vom Anspruch, überkommene Überzeugungen kritisch zu hinterfragen und angemessen in die Gegenwart zu übersetzen.
Frage: Kommen wir zu einem anderen vorgeprägten Bild: die Vollendung der Schöpfung. Da denkt man schnell an die apokalyptischen Reiter, an Blitze, Donner und den Weltuntergang.
Spies: Ja, es gibt die Vorstellung, dass die Vollendung der Welt ein apokalyptischer Showdown ist. Aber das kann problematisch werden. Wenn ich mir denke: Ich bin nur Gast auf Erden und am Ende wird alles zugrunde gehen, dann begünstigt das Passivität.
Frage: Die ist angesichts der ökologischen Herausforderungen allerdings keine gute Idee.
Spies: Deswegen sollten wir auf weitere biblische Motive schauen. In der Botschaft Jesu vom Reich Gottes lässt sich der Glaube an Gott als Schöpfer erkennen, der Leben ermöglicht. Das zeigt sich zum Beispiel in den Heilungen, die Jesus vornimmt und die als Zeichen des anbrechenden Reiches Gottes gelten. Das bedeutet aber auch, dass ich mir unter so etwas wie Vollendung nichts vorstellen kann, was gegen unser jetziges Verständnis von Leben und gutem Leben steht. Damit wird die Heilshoffnung in der Tat schon fast widersprüchlich, denn wir sehen, dass es auf dieser Welt nicht so läuft, wie es laufen sollte. Wir wissen alle, wie es um den Planeten steht. Weil ich aber in meinem Glauben die Welt auf Gott beziehen kann, darf ich darauf hoffen, dass das Versprechen eines Lebens in Fülle erfüllt wird. Das hat eine zutiefst politische Dimension und fordert zum Handeln auf.
Frage: Braucht es angesichts der ökologischen Krise weniger Mensch?
Spies: Der Mensch darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen, weil er sich nur als winziges Rädchen in einem großen Kosmos oder als ein Geschöpf unter vielen versteht. Sondern es ist sein wichtigster Auftrag, die Schöpfung lebensdienlich zu gestalten.