Pilgergruppe aus dem Erzbistum Paderborn erlebt Angriff in Jerusalem

Raketen, Explosionen und Schokolade: Israel-Pilger berichtet vom Krieg

Veröffentlicht am 10.10.2023 um 00:01 Uhr – Von Benedikt Heider – Lesedauer: 

Jerusalem/Bonn ‐ Sie wollten Stätten entdecken, die mit Leben und Sterben Jesu verbunden sind. Dann kam der Krieg. Martin Beisler erzählt gerade, dass Jerusalem sicher sei. Plötzlich heulen Sirenen los. Er unterbricht das Telefonat. Wenige Minuten später meldet er sich wieder: Es reiche langsam, sagt er.

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Pfarrer Martin Beisler aus Salzkotten im Erzbistum Paderborn ist mit einer 33-köpfigen Pilgergruppe auf Israeltour. Zwei Tage vor Abreise bricht der Krieg aus. Statt Jerusalemer Altstadt und Westjordanland bleibt die Gruppe in ihrer Pilgerherberge. Gerade war Beisler Proviant für die morgige Rückreise holen. Nun telefoniert er mit katholisch.de aus seinem Zimmer in Jerusalem. Während er erzählt, dass Jerusalem sehr sicher sei, heulen plötzlich die Sirenen los. Auf dem Flur laufen einige Mitglieder seiner Pilgergruppe in den Luftschutzraum. Er unterbricht das Telefonat und schaut nach seiner Gruppe. Wenige Minuten später meldet er sich wieder: Es reiche langsam, sagt er.

Frage: Herr Pfarrer Beisler, wie ist es, auf einmal mitten im Kriegsgebiet zu sein?

Beisler: Beklemmend. Am Samstagmorgen kam der erste Luftalarm – kurz darauf gab es Detonationen von dem Luftabwehrsystem hier in Israel. Dann fingen die Ordensschwestern im Deutschen Hospiz St. Charles an, ihre Schutzräume für uns freizuräumen. Das war alles sehr beklemmend.

Frage: Das heißt, Sie sind vom Luftalarm geweckt worden?

Beisler: Nein, ich kam gerade vom Frühstück auf mein Zimmer zurück und habe meine Sachen für den Tag zusammengesucht, um dann zum Bus zu gehen. Als ich dann die Sirenen gehört habe, dachte ich es sei Feueralarm. Dann stellte sich aber heraus, dass der Alarm sich immer wiederholte. Und dann habe ich auch diese Detonationen gehört, die ich erst gar nicht einordnen konnte. Die Schwestern und unsere jüdische Führerin haben dann aber sehr schnell klargemacht: Das ist kein Feueralarm, sondern Luftalarm.

Frage: Wie war das für Sie?

Beisler: Das ist eine sonderbare Situation. Wir jüngeren Deutschen kennen so etwas – Gott sei Dank – ja nicht mehr. Erstmal stellt sich die Frage, was das überhaupt ist und was die Situation bedeutet. Die Situation war so fremd, dass es in der morgendlichen Situation keine großen Emotionen gab. Das Ausmaß des Ganzen wurde dann aber stündlich klarer. Wir waren alle am Handy und haben in den Medien gesehen was los ist. Am Samstagvormittag war noch mehrfach Luftalarm, hier in der Stadt heulten die Sirenen und über uns flogen Flugzeuge und Hubschrauber.

Bild: ©picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Tsafrir Abayov

70 Kilometer von Jerusalem entfernt evakuieren Polizeibeamte eine Frau und ein Kind aus dem südisraelischen Aschkelon, nachdem dort aus dem Gazastreifen abgefeuerte Rakete eingeschlagen sind.

Frage: Wie hat sich die Stadt seit Kriegsbeginn verändert?

Beisler: Wir sind am Donnerstag zum Laubhüttenfest in die Stadt gekommen. Dabei haben wir das Fest sehr intensiv in der Stadt erlebt. Die Straßen waren unglaublich voll. Schon das war für uns fremd. Und dann kam zum Höhepunkt des Laubhüttenfestes am Shabbat der Überfall. Im Grunde ist Israel seit Tagen in einem Ausnahmezustand. Erst wegen des Festes und nun wegen des Krieges. Ich höre von Leuten, dass auf dem Basar und in der Altstadt viele Geschäfte geschlossen sind. Und unsere Führerin sagte gestern Morgen, dass die Straßen ungewöhnlich leer sind. Hier rund um das deutsche Hospiz merkt man davon wenig. Ich war eben ganz normal einkaufen.

Frage: Jetzt ist seit Samstag schon etwas Zeit vergangen. Eigentlich wären Sie heute schon auf dem Rückweg. Wie wirkt sich das auf Ihre Gruppe aus?

Beisler: Jeder von uns geht damit etwas anders um. Einige sind schneller an ihren emotionalen Grenzen und mit ihren Nerven am Ende, andere sind länger ruhig und sachlich. Manche Leute schlafen überhaupt nicht, andere schlafen ruhig und fest. Langsam werden die Nerven bei manchen aber dünn. Gestern sind wir zum Sonntagsgottesdienst in die Dormitio-Abtei gegangen. Das hat allen gutgetan. Das erdet und hat eine Ventilfunktion. Heute haben wir in der Hauskapelle hier unseren Abschlussgottesdienst gefeiert. Der war eigentlich für einen anderen Ort vorgesehen. Den Gottesdienst habe ich so gestaltet, dass die Ängste und Emotionen in der jetzigen Situation zur Sprache kommen konnten. Da wurden sehr persönliche Fürbitten formuliert. Leute haben geweint. Und wir führen sehr viele Gespräche untereinander. Die Ordensschwestern haben uns am Samstag als erstes sofort mit Schokolade und Schnaps versorgt – als Beruhigungsmittel. Heute haben sie für uns gebacken. Das ist ein wunderbares Gefühl und tut richtig gut. Das Haus hat einen großen Garten, da können wir raus und auch mal abschalten. Man muss aber auch sagen: In Jerusalem sind wir sehr sicher. Das, was in den Medien zu sehen, hören und lesen ist, bezieht sich eher auf Tel Aviv und die Grenzregion zum Gazastreifen. Wir leben hier in diesem Kriegszustand, aber eben nicht unmittelbar.

Frage: Welche Nachrichten erreichen Sie aus Deutschland?

Beisler: Wir bekommen mit, dass Freunde und Verwandte wahrnehmen, was die Medien zeigen. Und das ist der Hotspot rund um Gaza: Das ist der Krieg, das sind die Toten. Aber das ist nicht die Realität, die wir hier Erleben. Daher erreichen uns viele Sorgen, gute Wünsche und Gebete.

Frage: Was Sie erzählen, klingt surreal …

Beisler: Das ist es auch. Ich habe manchmal das Gefühl, in einem schlechten Film zu sein. Für uns ist das eine völlig fremde Situation. Die Israelis gehen damit ganz anders um als wir. Und auch die Ordensschwestern hier im Haus gehen damit anders um. Die kennen das, weil sie ein paar Mal im Jahr Luftalarm haben. Wir schwanken da zwischen Übervorsicht und dem Bedürfnis doch noch einmal rauszugehen. Hier fahren die Autos, die Leute sind einkaufen und auch die Kaffeehäuser haben geöffnet.

Frage: Wie geht es für Sie jetzt weiter?

Beisler: Wir stehen in Kontakt mit unserem Reiseveranstalter in Dortmund und der Botschaft. Europäische Fluggesellschaften fliegen nicht mehr nach Tel Aviv. Wenn alles klappt, geht es mit dem Bus nach Jordanien und von dort zurück – die Rückreise wird insgesamt wohl 28 Stunden dauern.

Von Benedikt Heider