Himmelklar – Der katholische Podcast

Paderborner Dom-Eremitin: Ich wusste, Gott will mich an diesem Platz

Veröffentlicht am 11.10.2023 um 00:30 Uhr – Von Verena Tröster – Lesedauer: 

Köln ‐ Elisabeth Beckers ist Dom-Eremitin in Paderborn – eine Aufgabe, für die sie sogar einen offiziellen Segen bekommen hat. Im Interview erklärt sie, wie sie mit 72 Jahren ihren Bestimmungsort gefunden hat, was sie als Dom-Eremitin macht und wie sie Menschen begleitet.

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Nach einem bewegten Leben hat Elisabeth Beckers ihren Bestimmungsort gefunden: Seit zwei Jahren lebt die 72-Jährige in einem Reihenhaus in der Nähe des Paderborner Doms – und ist offiziell Dom-Eremitin. Dazu wurde Sie in einer Feier sogar vom Paderborner Metropolitankapitel gesegnet. Seither wirkt sie als Seelsorgerin und Exerzitienbegleiterin vor allem für suchtkranke und obdachlose Menschen in der Stadt und im Dom. Weshalb sie diesen Weg für sich gewählt hat und wieso sie denkt dafür bestimmt zu sein, Menschen zu begleiten, erzählt sie im Interview.

Frage: Frau Beckers, Sie sind einem inneren Ruf gefolgt. Wie klang dieser Ruf in Ihrem Inneren – können Sie das beschreiben?

Beckers: Der letzte Ruf als Eremitin oder überhaupt hierher zu ziehen, war tatsächlich wie ein inneres Verliebtsein in Gott. Es hat mich im Herzen und im Bauch bewegt. Ich habe es erst gar nicht gewagt, jemandem davon zu erzählen, selbst meinen Kindern nicht – meinem Sohn nicht.  Ich hatte mir vorher eine Wohnung eingerichtet, die meinem Alter entspricht, wo ich auch wirklich alt werden wollte. Und ich dachte nicht, dass sich mein Leben noch mal so verändern würde.

Aber ich konnte nicht anders. Es hat Tag und Nacht in mir gebetet und gerufen. Es hat mich erfüllt und ich wusste: Gott will mich an diesem Platz. Deswegen habe ich dann "Ja" gesagt. Und nachdem ich ein halbes Jahr oder ein knappes halbes Jahr hier war, habe ich gemerkt: Zu all dem brauche ich noch einen Segen. Deswegen ging dann meine Anfrage an das Metropolitankapitel, ob sie mir einen eremitischen Segen geben, weil ich hier ja nicht in einer Gemeinschaft lebe, sondern alleine und eremitisch – zurückgezogen und trotzdem mittendrin. Dieser Segen ist mir dann vom Kapitel erteilt worden. Da war dann auch mein ältester Sohn dabei.  Das war eigentlich meine Erfüllung, fast wie eine Hochzeit mit Gott.

Frage: Sie sagen, Ihr Sohn war dabei. Zwei Söhne haben Sie. Wie stehen Ihre Kinder den zu dem Ganzen? Ich könnte mir vorstellen, dass die vielleicht auch mal sagen: "Mama, spinnst du? Was machst du da eigentlich?"

Beckers: Die haben nicht nur gesagt: "Mama, du spinnst doch." Die haben gesagt: "Mama, bist du verrückt?" Du forderst uns so heraus, immer wieder etwas Neues. Mein ältester Sohn hat dann aber gesagt: "Eigentlich kenne ich es von dir nichts anders. Du hast dich dein Leben lang verrückt. Warum nicht auch dieser Schritt.

Elisabeth Beckers
Bild: ©privat

"Der letzte Ruf als Eremitin oder überhaupt hierher zu ziehen, war tatsächlich wie ein inneres Verliebtsein in Gott", sagt Elisabeth Beckers zu ihrer Entscheidung.

Frage: In Ihrem Reihenhäuschen leben Sie direkt neben dem Paderborner Dom. Ihre Adresse ist tatsächlich nur zehn Meter vom Dom entfernt. Sie verbringen aber auch sehr viel Zeit im Dom und sagen, das eigentliche Zuhause sei der Dom. Sie sind da bei der Liturgie anzutreffen und sagen, das sei auch Ihre Kraftquelle. Was ist da für Sie die klare Unterscheidung zu einem Ordensleben? Warum haben Sie sich nicht dafür entschieden? Denn die Gemeinschaft ist Ihnen doch offenbar auch sehr wichtig.

Beckers: Die Gemeinschaft ist mir wichtig. Für ein Ordensleben ist mein Leben, wie mein Sohn schon sagt, viel zu "verrückt" gewesen. Ich war zweimal verheiratet. Meine Männer sind beide gestorben mittlerweile. Ich habe ein ganz lebendiges Leben gehabt. Ein Ordensleben war für mich nie eine Option. Aber mich Gott zu weihen – Gott und besonders Jesus war immer schon mein Freund an meiner Seite. Schon als Kind habe ich ihn mir in mein Herz geholt.

Wenn es mir mal schwer ums Herz war – schon als Kind oder auch in späteren Jahren konnte ich mit ihm alles besprechen, mit ihm alles austauschen und ich wusste, er ist an meiner Seite. Nach meinem fast schwersten Schicksalsschlag, da war ich gerade Mitte 30, da hatte mein erster Mann einen schweren Unfall zusammen mit unserem jüngsten Sohn im Auto. Er hat überlebt, aber war noch 28 Jahre schwerstbehindert.

Damals kam mir sofort der Psalm 139 in den Sinn, der mir bis heute ein Begleiter ist. Dieser Psalm 139 erfüllt wirklich mein Leben: Bei dir bin ich geborgen, ob ich sitze oder stehe, du weißt um mich (vgl. Psalm 139).  Ich weiß um Gottes Liebe zu mir. Und manchmal sage ich ein bisschen lapidar: Wir sind ja miteinander so sehr verbunden – eine gegenseitige Liebe. Ich fühle mich von ihm geliebt, weiß mich von ihm geliebt, aber ich glaube, er spürt auch täglich meine Liebe zu ihm. Das ist das, was mich durchs ganze Leben trägt.

Frage: Ihr erster Mann hatte diesen Unfall und Sie haben ihn sehr viele Jahre gepflegt. Auch Ihr zweiter Mann ist verstorben. Wenn Sie von diesen Schicksalsschlägen erzählen, dann waren das große Brüche in Ihrem Leben. Haben Sie das Gefühl, dass Sie in diesen Zeiten Gott noch mal näher gerückt sind? Es kann ja auch umgekehrt passieren, dass man dann sagt: Warum ich schon wieder? Warum muss schon wieder mir das passieren? Es kann sein, dass man so damit hadert und erst mal einen Schritt vom Glauben zurücktritt.

Beckers: Ich kann die Menschen gut verstehen, die ein oder zwei Schritte vom Glauben zurücktreten. Mir ist es einfach geschenkt. Vielleicht ist es Gnade, vielleicht ist es einfach auch die Liebe, die uns immer verbunden hat, dass ich wusste, nur bei ihm bin ich geborgen. Nur er kann mich da durchführen.

Ich habe selten resigniert, sondern habe viele Tränen vergossen, habe auch manchmal mit ihm gehadert, und trotzdem bin ich weitergegangen in der ganz festen Überzeugung: Er trägt mich. Er trägt mich durchs Leben. Er wird mich auch durch diese Enge und durch diese Herausforderung führen.

Ich kann mich gut erinnern, gerade nach dem Unfall meines ersten Mannes, wenn ich im Auto allein unterwegs war, dann war das mein Schutzraum. Da habe auch manchmal ordentlich mit ihm geschimpft und auch oft lautstark meinen Frust herausgelassen. Warum? Warum schon wieder? Und: Ich kann nicht mehr. – Dann bin ich still geworden und habe gesagt: Okay, wenn es denn so ist, dann nimm mich an die Hand und führe mich dadurch – durch diese Enge wieder in eine neue Weite hinein. Und das ist bis jetzt in meinem Leben so geschehen und ich staune darüber. Ich staune wirklich, und ich glaube, es ist noch nicht zu Ende.

„Es ist mir also eigentlich eine Fülle an Leben so hautnah geschenkt worden, dass ich heute aus meinem Gottvertrauen die Menschen begleiten kann.“

—  Zitat: Elisabeth Beckers

Frage: Würden Sie sagen, das spielt auch eine Rolle dabei, dass Sie sich doch sehr selbstbewusst als damals 70-jährige Frau diese Aufgabe selbst gesucht haben, Dom-Eremitin zu sein? Vorher haben Sie sich als Mutter und Erzieherin sehr viel um andere gekümmert. Sie hatten ein sehr turbulentes Leben und haben sehr viel für andere gemacht. Ist das jetzt vielleicht auch im Rentenalter etwas mehr der Blick auf Sie selbst?

Beckers: Nein, es geht überhaupt nicht um mich. Ich glaube, dieses turbulente Leben, was Gott mir geschenkt hat – und ich betrachte es wirklich als Geschenk, ich sage immer, das ist mein Lebensstudium. Aus der Liebe, die mir geschenkt ist, durfte ich so viele Erfahrungen machen. Und das waren nicht nur Erfahrungen, in denen ich stecken geblieben bin, sondern mit denen ich weitergehen konnte.

Diese Erfahrungen sind wie ein Lebensstudium, das ich auch mit anderen Menschen teilen kann. Ich hatte gerade wieder Exerzitien geleitet und hatte da wieder eine Begleitung, die mir zurückgemeldet hat, wenn sie mit mir spreche, dann wisse ich, wovon ich spreche. Sie fühle sich bei mir ernst genommen und aufgehoben und sie brauche nichts zu erklären. Das liegt sicherlich daran, dass mir in allem eigene Erfahrungen geschenkt wurden – vom Missbrauch bis zum schwersten Unfall bis zu einer Krebserkrankung, die ich durchlebt habe, bis zu dem Umgang mit Drogenabhängigen, weil mein Sohn viele Jahre drogenabhängig war.

Es ist mir also eigentlich eine Fülle an Leben so hautnah geschenkt worden, dass ich heute aus meinem Gottvertrauen die Menschen begleiten kann. Dieses Gottvertrauen hat mir geholfen, auch diese schweren Zeiten zu durchleben – im wahrsten Sinne des Wortes zu durchleben, nicht daran zu sterben oder aufzugeben. Das gibt mir die Kraft, die Menschen, die mit Schicksalsschlägen zu mir kommen, zu begleiten und zu wissen, wovon sie reden. Ich weiß es, und darum kann ich sie begleiten.

Von Verena Tröster