Ein Satz mit X: Kirchen-Nutzer besorgt über Entwicklung von X/Twitter
Wollte man die aktuelle Entwicklung von X, dem ehemaligen Twitter, in einem prägnanten Satz zusammenfassen, könnte man in leichter Abwandlung einer bekannten deutschen Redewendung formulieren: Ein Portal mit X, das ist wohl nix. Seit der von zahlreichen Kontroversen begleiteten Übernahme und Umbenennung durch Elon Musk kommt der bekannte Kurznachrichtendienst jedenfalls nicht mehr zur Ruhe. Das zeigt sich laut Medienberichten zunehmend auch in ganz konkreten Zahlen, die Musk besonders schmerzen dürften: So soll das US-Unternehmen seit dem Eigentümerwechsel im vergangenen Herbst Milliarden Dollar an Wert und Millionen aktive Nutzer verloren haben.
Den Exodus der Nutzer führen Experten vor allem auf Musk selbst zurück, denn der einerseits als genialer Erfinder, andererseits als empathieloser Egomane geltende Unternehmer polarisiert schon lange – und immer mehr. Neben ihm treu ergebenen Fans gibt es eine in den vergangenen Monaten erkennbar größer und lauter gewordene Zahl an Menschen, die den 52-Jährigen und seine öffentlichen Auftritte und Äußerungen strikt ablehnen. Musk hat zu dieser Entwicklung selbst beigetragen, indem er sich vor allem in den zurückliegenden Wochen in stetig wachsender Schlagzahl mit Troll-artigen und rechtspopulistischen Postings in die amerikanische und zuletzt sogar die europäische und deutsche Politik eingemischt hat.
Auseinandersetzung mit dem Auswärtigen Amt über Migrationspolitik
So lieferte sich der gebürtige Südafrikaner unter anderem Ende September mit dem Auswärtigen Amt eine Auseinandersetzung über die deutsche Migrationspolitik. Zunächst teilte Musk auf X den Beitrag eines rechtspopulistischen Accounts aus Italien, in dem die von Deutschland finanzierten Rettungsaktionen von Flüchtlingen im Mittelmeer kritisiert wurden; dazu fragte er "Ist dies der deutschen Öffentlichkeit bewusst?". Als das Auswärtige Amt auf den Post reagierte und an Musk gerichtet antwortete "Ja. Und es heißt Leben retten", meldete sich der Unternehmer erneut zu Wort. In einem weiteren Posting zog er in Zweifel, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Rettungsaktionen befürworte. Es habe "Invasions-Vibes", wenn Deutschland unter Verletzung der Souveränität Italiens "große Mengen illegaler Einwanderer" auf italienischen Boden transportiere.
Es sind vor allem solche Wortmeldungen des reichsten Mannes der Welt, die eine wachsende Zahl von X-Nutzern empören und von dem Netzwerk wegtreiben. Hinzu kommt die generelle Wahrnehmung vieler Nutzer, dass das ohnehin immer schon eher raue Diskussionsklima auf der Plattform seit der Übernahme durch Musk noch einmal deutlich toxischer geworden ist. Ein Grund dafür sei, dass der als rechtslibertär geltende Unternehmer mit Verweis auf die Meinungsfreiheit massenhaft zuvor gesperrt rechte Accounts wieder freigeschaltet habe.
Auch katholische Institutionen, die mit eigenen Accounts auf X aktiv sind, beobachten die jüngste Entwicklung des Netzwerks kritisch. "Wir verfolgen die aktuellen Entwicklungen rund um X und die Äußerungen von Elon Musk mit Besorgnis", erklärt der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, auf Anfrage von katholisch.de. Jede Kommunikationsplattform trage eine Verantwortung für den öffentlichen Diskurs, der Respekt, Offenheit und Dialog fördern müsse. "Wir hoffen, dass diese Prinzipien in allen Medien, einschließlich X, aufrecht erhalten bleiben, unabhängig von den Entscheidungen der Eigentümer oder Geschäftsführer", so Kopp.
"Wir erleben, dass konstruktiver Dialog zunehmend schwieriger wird"
Ähnlich äußern sich gegenüber katholisch.de auch mehrere (Erz-)Bistümer sowie katholische Hilfswerke und Verbände. Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) etwa betont, dass man die Entwicklungen bei X schon länger kritisch beobachte. "Wir erleben, dass konstruktiver Dialog zunehmend schwieriger wird und Umgangsformen deutlich schlechter geworden sind. In einem solchen Umfeld ist ein guter, gewinnbringender Austausch nur noch schwer möglich", so der neue BDKJ-Pressesprecher Christian Toussaint. Für das Bistum Essen sagt der stellvertretende Pressesprecher Jens Albers: "Das Bistum Essen beobachtet die aktuellen Entwicklungen auf X mit Sorge. Für uns steht der respektvolle und wertschätzende Umgang miteinander im Vordergrund. Jede Form von Hass, Rassismus und Diskriminierung widerspricht den christlichen Werten, für die wir stehen."
Gleichzeitig betonen fast alle angefragten Institutionen die Relevanz, die X trotz der Nutzer-Verluste und der Kontroversen der vergangenen Monate weiterhin habe. "X bleibt trotz seiner Entwicklung ein essenzieller Kommunikationskanal. Die Mehrheit der politischen Entscheidungsträger, Meinungsführer, Journalisten und auch unserer kirchlichen Gemeinschaft ist weiterhin aktiv", teilt etwa das Erzbistum Köln mit. Würde man den eigenen Kanal jetzt einstellen, würde man sich "von wichtigen Dialogen und Debatten ausschließen".
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Das Erzbistum Bamberg, dessen emeritierter Erzbischof Ludwig Schick seit Jahren der aktivste deutsche Bischof bei X ist, betont ebenfalls, das Netzwerk vorerst weiter "als einen von mehreren wichtigen Kanälen" für die schnelle und direkte Verbreitung von Nachrichten und Botschaften zu nutzen. "Auf Twitter/X gibt es nach wie vor viele gute und wertvolle Inhalte, und wir wollen dieses Medium mit seiner immer noch hohen Reichweite nicht den Verschwörungstheoretikern überlassen", sagt Pressesprecher Harry Luck. Sein Kollege Stefan Förner wiederum erklärt für das Erzbistum Berlin: "Derzeit versuche ich die Entwicklung möglichst im Blick zu behalten und uns aus problematischen Debatten rauszuhalten. Gleichzeitig ist es schon wichtig zu wissen, wie auf der Plattform über Kirche und Themen, die uns angehen, diskutiert wird, auch wenn es anstrengend ist."
Katholische Journalistenschule hat sich von X verabschiedet
Einen Rückzug von X planen auch die anderen befragten kirchlichen Nutzer derzeit nicht. Die meisten halten sich einen Abschied von der Plattform als Option aber offen. Man habe bereits Überlegungen gestartet, wegen der Entwicklung bei X auf alternative Social-Media-Kanäle zu setzen, heißt es beim Deutschen Caritasverband. Das Entwicklungshilfswerk Misereor wiederum erklärt, die eigenen Kanäle kontinuierlich zu evaluieren; im Zuge dessen werde auch diskutiert, "ob sie in Einklang mit unseren Werten stehen". Und auch das Erzbistum Köln teilt mit, dass man über entsprechende Konsequenzen nachdenken werde, falls X sich in eine Richtung entwickle, die mit den Kernprinzipien der Kirche nicht in Einklang zu bringen sei.
Die katholische Journalistenschule ifp ist da schon einen Schritt weiter – sie hat sich vor wenigen Tagen als eine der ersten kirchlichen Institutionen im deutschsprachigen Raum von X verabschiedet. "Wir hatten eine gute Zeit auf Twitter. Jetzt sagen wir bye bye X", postete die Schule am 27. September. Die Journalistische Direktor Isolde Fugunt begründete den Schritt gegenüber katholisch.de mit der "bedenklichen politischen Richtung", in die sich X unter Elon Musk entwickelt habe. "Wir haben den Eindruck, dass der Schaden, den die Plattform anrichtet, unseren kommunikativen Nutzen deutlich übersteigt. Denn immer mehr Menschen haben sich von X abgewendet, so dass sich für uns der Aufwand für die Pflege auch einfach nicht mehr lohnt. Wir legen im ifp sehr viel Wert auf eine diskriminierungsfreie Atmosphäre – die sahen wir bei X immer mehr schwinden", so Fugunt.