Interview mit Thomas Schmitt

Paramentenhändler über Coming-out: Auch Bischöfe haben angerufen

Veröffentlicht am 06.11.2023 um 00:01 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 

Köln ‐ "Ich will nicht mehr schweigen." So beginnt das Facebook-Posting von Thomas Schmitt, in dem er öffentlich über seine langjährige Beziehung zu einem Mann schreibt. Im katholisch.de-Interview spricht der Paramentenhändler über die Reaktionen auf seine Worte.

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Im Herzen von Köln liegt das alteingesessene Paramentengeschäft "Schmitt-Paramente/Polykarp Reuss". Dort werden allerlei Arten von Textilien gefertigt und verkauft, die im Kirchenraum und Liturgie verwendet werden – unter anderem Gewänder für Bischöfe, Priester und Ministranten. Mit einem privaten Facebook-Posting hat der Geschäftsführer, Thomas Schmitt, vor einigen Monaten einen Sturm an Reaktionen ausgelöst. Im Interview blickt er darauf zurück und erklärt, was ihn selbst noch in der Kirche hält.

Frage: Herr Schmitt, Anfang August haben Sie sich in einem Facebook-Posting öffentlich geoutet. Hat sich dieser Schritt bereits in den Verkaufszahlen bemerkbar gemacht? War das in irgendeiner Weise geschäftsschädigend?

Schmitt: Es war nicht geschäftsschädigend. Ganz im Gegenteil: Es gab sogar einige Kunden, die gesagt haben: Wir kaufen jetzt erst recht bei Ihnen. Was im Hintergrund abgeht, weiß ich natürlich nicht. Aber ich habe bislang nur positive Erfahrungen gemacht. Viele Kunden haben mich auf das Posting angesprochen, haben mich bestärkt und mir Mut zugesprochen.

Frage: Was waren denn die Reaktionen, die Sie auf Ihr Posting bekommen haben?

Schmitt: Einige wussten schon lange, dass ich mit einem Mann in einer Beziehung lebe. Das war ein offenes Geheimnis. Viele haben mir aber zurückgemeldet, dass sie es gut fanden, dass ich nach vorne gegangen bin und meinen Unmut über den Umgang mit Pfarrer Herbert Ullmann geäußert habe. Das war auch der Auslöser dafür, dass ich das Posting überhaupt geschrieben habe. Ich hadere schon sehr lange mit vielen Missständen in der Kirche. Als dann die Ermahnung durch die Bistumsleitung in Köln kam, war für mich ein Punkt erreicht, an dem ich aufstehen musste, weil ein Seelsorger aus meiner Sicht das getan hat, was seine Berufung ausmacht: Er hat Seelsorge betrieben. Er hat Menschen eingeladen, den Segen Gottes zu empfangen und niemanden dabei ausgeschlossen. Er ist seinem Gewissen und nicht dem Kirchenrecht gefolgt. Ich kenne Pfarrer Ullmann als Kunden und er ist bei Weitem kein Revoluzzer!

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Frage: Hat es Sie überrascht, dass es so viele Reaktionen gab – und vor allem so viele positive?

Schmitt: Ja, es hat mich sehr überrascht. Als ich den Post abgesetzt und eine halbe Stunde später draufgeschaut habe, ging schon im wahrsten Sinne des Wortes die Post ab: Ich habe insgesamt weit über 100 Kommentare, 100 Messenger-Nachrichten, jede Menge E-Mails und auch Anrufe bekommen. Auch drei Bischöfe haben mich persönlich angerufen, mir Mut zugesprochen und mich bestärkt.

Frage: Wenn man sich Ihren Post anschaut, kann man den Eindruck bekommen, dass sich da jemand von der Seele geschrieben hat, was sich über Jahre angestaut hat. War das so?

Schmitt: Das stimmt in gewisser Weise. Ich habe nichts vorbereitet, sondern einfach meine Gefühlslage geschildert und sozusagen mein Innerstes nach außen gekehrt. Wenn mir jemand sagt, dass ich in Sünde lebe, dann kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Ich bin seit 25 Jahren mit meinem Partner zusammen, wir gehen durch dick und dünn und stehen zueinander. Wenn das jemand sündhaft nennt, fehlen mir einfach die Worte. Ob es nun gleichgeschlechtliche Paare oder wiederverheiratet Geschiedene sind: Was spricht dagegen, diese Beziehungen segnen zu lassen? Wer einen Segen erbittet, muss diesen auch bekommen!

Frage: Der Katechismus der Katholischen Kirche sagt sehr deutlich, dass homosexuelle Handlungen in "keinem Fall zu billigen" (KKK 2357) sind …

Schmitt: Der Katechismus ist von Menschen gemacht worden. Mein Katechismus ist die Frohe Botschaft, das Evangelium. Dort steht "Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben." (Joh 13,34) Und: "Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet." (Lk 11,9) Ich glaube an diese frohmachende Botschaft, die der Liebe zugewandt ist, die befreiend und bejahend ist, die aufrichtet und nicht unterdrückt. Menschen suchen Halt und Orientierung in schwierigen Zeiten. Aber gibt die Kirche das noch? Aus meiner Sicht ist sie in vielen Teilen zu engstirnig und erhebt zu schnell ihren Zeigefinger. In meinen Augen sollte die Kirche einladend und offen sein, trösten und die Liebe bejahen. Ich bin mir sicher: Wenn das in unserer Kirche an erster Stelle stehen würde, dann würde sie für viele wieder zur Heimat werden.

Thomas Schmitt schneidert ein Messgewand in seiner Paramentenwerkstatt
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Laut Thomas Schmitt gibt es ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Kunden seiner Paramentenwerkstatt. "Diese Beziehungen sind oftmals über Jahre gewachsen und zu vielen Priestern hat sich auch eine Freundschaft entwickelt."

Frage: In Ihrem Posting schreiben Sie, Sie hätten lange damit gerungen, die Kirche zu verlassen. Was hat Sie dazu bewogen, diesen Schritt nicht zu gehen?

Schmitt: Ich habe lange gekämpft und abgewogen, was mir meine Kirche gibt und bedeutet. Diese Kirche bedeutet für mich Heimat und seine Heimat verleugnet man nicht, auch wenn es vielleicht manchmal belastend und kaum aushaltbar ist. Es ist und bleibt die Heimat. Ein weiterer Grund ist, dass ich nur aktiv mitgestalten kann, wenn ich Teil der Kirche bleibe. Ich möchte, dass sich etwas ändert, damit die Kirche wieder liebenswert wird und es sich lohnt, Teil von ihr zu sein.

Frage: Sie schreiben auch, dass Sie bislang unter anderem aus Angst um Ihre Mitarbeitenden geschwiegen hätten. Woher kommt diese Angst?

Schmitt: Ich habe als Geschäftsführer eine Verantwortung für meine Mitarbeitenden und das Klientel, das bei uns einkauft, sind natürlich kirchliche Angestellte, vor allem Priester oder Bischöfe. Ich hatte die Befürchtung, dass dann der eine oder andere sagt: Da gehst du nicht mehr einkaufen. Deswegen habe ich im Vorfeld mit meinen Mitarbeitenden gesprochen und ihnen gesagt, dass ich jetzt einfach nicht mehr kann und Stellung beziehen muss. Dafür hatte ich die komplette Rückendeckung von allen. Und die Angst war bis jetzt unbegründet. Aber bisher hat unser Geschäft, wie bereits gesagt, nicht dadurch gelitten – ganz im Gegenteil.

Frage: Gibt es denn ein anderes Verhältnis zu den Kunden, als das vielleicht im säkularen Kontext der Fall ist?

Schmitt: Ja, es gibt schon ein sehr enges Kundenverhältnis und viel Vertrauen. Diese Beziehungen sind oftmals über Jahre gewachsen und zu vielen Priestern hat sich auch eine Freundschaft entwickelt. Wir beraten unsere Kunden sehr intensiv und gehen auf ihre Wünsche ein. Wir sprechen natürlich nicht darüber, wer zu uns kommt, was er kauft oder welche Kleidergröße jemand trägt. Oftmals erfahre ich schon bevor es öffentlich wird, wer wo zu einem neuen Bischof oder Weihbischof ernannt wird, weil sie ihre Ausstattung bei uns kaufen. Die Information geht aber nicht aus unserem Haus raus. Dieses Vertrauen habe ich jetzt auch in den ganzen Telefonaten, Briefen, E-Mails und Nachrichten gespürt. Das hat mir unheimlich viel gegeben, denn es waren sehr rührende und ans Herz gehende Worte.

Von Christoph Brüwer