Papst Franziskus gegen abrupte Veränderungen in der Kirche
Papst Franziskus hat sich gegen abrupte Veränderungen in der katholischen Kirche ausgesprochen. In einem Ende September im Vatikan aufgezeichneten Interview mit der argentinischen Nachrichtenagentur Telam sagte er, Veränderung in der Kirche sei immer ein organisches Wachstum. Er führte aus: "Es geht dabei um eine Veränderung zugunsten der Menschenwürde. Und so ist es auch beim Fortschritt der Moraltheologie und aller kirchlichen Wissenschaften, auch bei der Auslegung der Heiligen Schriften. Sie haben Fortschritte gemacht in Übereinstimmung mit dem Denken der Kirche. (Das geschieht) immer in Harmonie, Brüche sind nicht gut, entweder es gibt einen Fortschritt als Entwicklung, oder es nimmt ein schlechtes Ende." Das Interview wurde am Dienstag ausgestrahlt.
Brüche in der Entwicklung führten dazu, dass man, wenn man die Kirche mit einem Baum vergleiche, außerhalb des Safts lande, der den Baum von den Wurzeln bis zu den Blättern mit Leben speise, erklärte der Papst. Wer sich von den Lebensadern des Baumes trenne, vertrockne und bleibe ohne Verbindung mit der Tradition. Die Kirche müsse sehr genau prüfen, welche Neuerungen sie übernehme und welche davon etwas taugten, betonte Franziskus. Es gebe auch Neuerungen, die nicht dem Menschen dienten. Die Kirche müsse in Dialog mit jedem wissenschaftlichen Fortschritt treten, aber sie müsse dies aus ihrer eigenen Identität heraus tun, nicht aus einer von anderswoher geliehenen Identität.
Die Kirche, so der Papst, habe in der Auseinandersetzung mit neuen Herausforderungen schon vieles verändert, auch kulturell. Sie habe sich in den vergangenen Jahrzehnten weiter verändert in der Art, wie sie ihre unveränderte Wahrheit zu den Menschen bringe. "Die Offenbarung Christi verändert sich nicht, das Dogma der Kirche verändert sich nicht, aber es wächst, es entwickelt und verfeinert sich, wie beim Wachstum eines Baumes, es findet bessere Ausdrucksweisen." Was es auf diesem Weg nicht geben könne, seien Rückschritte, betonte der Papst. Die Kirche könne sich nicht in sich selbst verschließen. Die Veränderungen in der Kirche ergäben sich "im Fluss der Identität der Kirche". Und weiter: "Die Kirche muss offen dafür sein, und sie muss sich in dem Maß verändern, in der sich die neuen Herausforderungen zeigen. Deshalb ist der Kern der Veränderung im Wesentlichen pastoral, ohne das Wesentliche der Kirche zu leugnen."
Papst: Wir erleben einen Weltkrieg auf Raten
Weiter rief der Papst zu einer globalen Kraftanstrengung für ein Ende der vielen Konflikte auf. "Wir erleben einen Weltkrieg auf Raten", sagte das Kirchenoberhaupt. Ein Dialog könne nicht nur national, sondern müsse in globaler Perspektive geführt werden, so Franziskus; "deshalb spreche ich von universellem Dialog, universeller Harmonie, universeller Begegnung". Der Gegensatz davon sei natürlich Krieg. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute gebe es überall Kriege. "Das hat mich zu der Aussage veranlasst, dass wir einen Weltkrieg auf Raten erleben." Das Interview wurde vor dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel aufgezeichnet.
Indirekt äußerte sich der Papst auch zu den bevorstehenden Präsidentenwahlen in seinem Heimatland Argentinien. Ohne den radikal-marktliberalen Kandidaten Javier Milei beim Namen zu nennen, warnte Franziskus vor "messianischen Clowns", die schnelle Lösungen versprächen. "Manchmal klammern sich Jungen und Mädchen an Wunder, an eine messianische Lösung der Dinge", so Franziskus. Aber es gebe nur einen Messias; "die anderen sind alle messianische Clowns". Manchmal, so der 86-Jährige, erinnere ihn das an Leute wie den Rattenfänger von Hameln, der mit seinem Flötenspiel die Menschen verzaubere – die dann aber ertränken. Milei hatte Franziskus wiederholt scharf kritisiert. Er warf dem Papst etwa vor, die Linksdiktaturen in Lateinamerika nicht klar genug zu verurteilen. Die Wahlen in Argentinien finden am Sonntag statt. Milei führt laut Umfragen knapp vor dem peronistischen Regierungskandidaten Sergio Massa und der konservativen Herausforderin Patricia Bullrich. (tmg/KNA)