Päpstliche Empathie mit Palästinensern liege auf Linie der Befreiungstheologie

Tück: "Blinde Flecken" des Vatikan bei Umgang mit Gewalt in Israel

Veröffentlicht am 20.10.2023 um 13:04 Uhr – Lesedauer: 

Wien ‐ Zeigt Papst Franziskus angesichts des Terrorangriffs der Hamas auf Israel eine zu große Neutralität? Zu diesem Schluss kommt jedenfalls der Wiener Theologe Jan-Heiner Tück. Der Dogmatiker lobt hingegen die Reaktionen eines anderen Kirchenmannes.

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Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück hat "blinde Flecken" des Vatikan beim Umgang mit der Gewalt in Israel kritisiert. "Zwar wurde das Recht auf Selbstverteidigung Israels zugestanden, aber sofort der Fokus auf die bedrohte Zivilbevölkerung im Gazastreifen gelegt", schrieb der Theologieprofessor in einem am Donnerstag in der österreichischen Zeitung "Die Presse" veröffentlichten Gastbeitrag. Nach einer Terror-Attacke eine Sichtweise einzunehmen, die beiden Seiten gerecht werden wolle, könne riskant sein, so Tück. "Die vatikanische Friedensdiplomatie folgt üblicherweise dem Prinzip der Neutralität, um Kommunikationskanäle offen halten und zwischen den Streitparteien vermitteln zu können." Es gebe aber Situationen, in denen Neutralität aufhöre, neutral zu sein.

Wer darauf verzichte, angesichts des Massakers der Hamas den Aggressor klar beim Namen zu nennen, verhöhne die Opfer ein weiteres Mal, schrieb Tück mit Blick auf die Reaktionen des Vatikan weiter. "Auch verspielt er die moralische Autorität, im weiteren Konfliktverlauf beratend einzuwirken." Die diplomatischen Spannungen zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl seien nicht im Sinne des Papstes, der ein freundschaftliches Verhältnis zum Judentum anstrebe. Wiederholt habe Franziskus Mord im Namen Gottes als Blasphemie verurteilt. "Aber seine Mahnung, Terror und Krieg seien immer eine Niederlage für die Menschen, und sein Aufruf zu Friedensgebeten waren aus israelischer Sicht zu allgemein gehalten und haben den Verdacht einer gewissen Empathielosigkeit mit den ermordeten Juden befördert."

Lob für Reaktion von Kardinal Pizzaballa

Tück lobte die Anrufe des Papstes bei Priestern in Bethlehem und Gaza, um sich über die Lage in den Palästinensergebieten zu informieren und Solidarität zu zeigen. "Das ist zugleich tüchtig einseitig. Denn der Papst scheint nicht bedacht zu haben, wie sein waches Interesse für die Palästinenser auf Juden wirkt, die über die potenzierten Gräuel der Hamas zutiefst verstört sind." Franziskus hätte zugleich eine jüdische Familie anrufen sollen, die bei den Massakern Angehörige verloren habe oder deren Familienmitglied von der Hamas entführt worden sei. "Die päpstliche Empathie mit den Palästinensern liegt auf der Linie der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, die die Solidarität mit den Armen und Unterdrückten einfordert", so Tück. Dabei blende der Papst aus, dass die Hamas seit 2007 ein Regime etabliert habe, das grundlegende Rechte wie Religions-, Gewissens- oder Pressefreiheit mit Füßen trete.

"Eine Theologie, die Auschwitz als Zäsur ernst nimmt und sich der Erinnerungssolidarität mit den jüdischen Opfern verpflichtet weiß", werde nicht vergessen, dass Israel "für Juden aus allen Ländern der Welt zum Zufluchtsort geworden" sei, schrieb der Wiener Theologe. Wer den Terror der Hamas, der die Auslöschung des Staates Israels zum Ziel habe, als "Befreiungskampf" eines unterdrückten Volkes rechtfertige, verharmlose den Hass, der hinter der islamistischen Terror-Organisationen stehe. Gleichzeitig hob Tück die Reaktion des Jerusalemer Patriarchen Kardinal Pierbattista Pizzaballa positiv hervor, der zu weltweiten Gebeten aufgerufen und sich selbst der Hamas als Austausch-Geisel angeboten hatte. (rom)