Experten streiten über Zukunft des kirchlichen Arbeitsrechts
Der evangelische Theologe Hartmut Kreß hat die Kirchen aufgerufen, das eigene Arbeits- und Tarifrecht abzuschaffen und sich neu in die Sozialordnung der Bundesrepublik einzuordnen. "Die Kirchen, Caritas und Diakonie müssen endlich Gewerkschaften und Streiks zulassen", sagte Kreß am Freitag bei einer Tagung in der Katholischen Akademie Freiburg. Er warf den Kirchen vor, die entsprechende Gesetzgebung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen Diskriminierung aus religiösen Gründen zu ignorieren und sogar zu bekämpfen.
Der Freiburger Generalvikar Christoph Neubrand widersprach und betonte, das kirchliche Arbeitsrecht, der sogenannte Dritte Weg, sei Garant für faire Bezahlung und gute Arbeitsbedingung für Hunderttausende Beschäftigte in Deutschland. Die für die Gesellschaft wichtige Arbeit der Kirchen, etwa in Pflege, Medizin, Bildung und Kinderbetreuung, dürfe nicht gefährdet werden. "Es wäre ein Skandal, wenn die Justiz darüber entscheidet, was Wesensausdruck von Kirche ist", sagte der Verwaltungschef des Erzbistums Freiburg.
Die Juristin Andrea Edenharter argumentierte, die neu erlassene arbeitsrechtliche Rahmenordnung der katholischen Kirche habe die Situation entschärft. Denn nun sei klar, dass Mitarbeitende nicht wegen ihrer persönlichen Lebensgestaltung entlassen werden können. "Ich bin allerdings sicher, dass der von den Kirchen weiterhin als Kündigungsgrund angesehene Kirchenaustritt mittelfristig nicht zu halten sein wird. Denn der EuGH wird dies als diskriminierend und als Ungleichbehandlung gegenüber schon immer konfessionslosen Mitarbeitern verurteilen." Auch die evangelische Kirche will in den kommenden Monaten überarbeitete Arbeitsrechts-Richtlinien veröffentlichen.
Argumente seien "schwach und unplausibel"
Kreß kritisierte, alle Argumente der Kirchen für ein Streikverbot sowie gegen die Beteiligung von Gewerkschaften und gegen Tarifverhandlungen seien "schwach und unplausibel". Die 1952 beschlossene Befreiung der Kirchen vom Betriebsverfassungsgesetz sei einzigartig, höchst problematisch und müsse enden.
Der Bonner Theologe warf der evangelischen Kirche vor, zu versuchen, mit einer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht die EuGH-Rechtsprechung zu unterlaufen. "Das ist ein extrem ungewöhnlicher, hochproblematischer und antieuropäischer Schritt."
Der Staat hat den Kirchen in Deutschland das Recht eingeräumt, ein eigenes System des Arbeits- und Tarifrechts zu schaffen. Hintergrund ist die Auffassung, dass Arbeit im kirchlichen und karitativen Dienst eine religiöse Dimension hat. Das Betriebsverfassungsgesetz und die Möglichkeiten von Streiks gelten für die Kirchen nicht. Alle Fragen des Tarifrechts werden durch paritätisch aus Dienstgebern und Dienstnehmern besetzten Kommissionen geregelt. (KNA)