"Fürchte dich nicht"? Auch in der Kirche nehmen Ängste zu

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Gerade erschienen die neuesten Zahlen der Langzeitstudie "Die Ängste der Deutschen 2023". An erster Stelle steht in diesem Jahr – wen wundert's – die Sorge um den eigenen Wohlstandsverlust (65 Prozent). Stärker als in den Vorjahren fühlen sich Menschen in ihrer Existenzgrundlage bedroht. Vielen macht die zunehmend sichtbar werdende Spaltung der Gesellschaft Angst: Zu den Lagern links – rechts, arm – reich oder Stadt – Land kommt eine neue Konfliktlinie: Sind für die einen konservative Werte und die Verwurzelung in Deutschland wichtig, zeigen sich die anderen eher weltoffen und treten für freiheitliche Werte ein.
Solche Ängste und Sorgen sind nicht nur gesellschaftlich greifbar. Auch in unserer Kirche scheinen Ängste vorzuherrschen: Ängste vor Veränderungen, Ängste, dass "Tradition" aufgegeben wird oder verloren geht, Ängste, dass die gleichgestellte Mitwirkung von Lai*innen, auf welcher Ebene auch immer, dem geltenden Recht und dem Status des Klerus Abbruch tun werden.
Angst ist in höchstem Maße ambivalent: Sie kann Menschen lähmen, kurzfristig oder über längere Zeit. Sie kann zu Ausgrenzung, Einsamkeit und Isolation führen und sogar zu Aggression und Entsolidarisierung gegenüber anderen. Dies mag eine Erklärung für die derzeitig beobachtbaren Phänomene sein, wie Rassismus, Antisemitismus und Gewalt auf der Straße oder im WWW, aber auch für den unschönen innerkirchlichen Umgang miteinander, der zur Diskreditierung von Menschen und deren Meinungen führt. Läge aber doch gerade hier eine Chance, als Kirche die Ängste und Sorgen der Menschen (wie es Plan des Zweiten Vatikanums war), wirklich ernst zu nehmen.
"Fürchte dich nicht!" heißt es 124mal in der Bibel. Es deckt keine utopischen Vorstellungen ab, aber hilft, sich in Neues zu wagen. Es ermöglicht einen Perspektivwechsel und (ohne sie kleinreden zu wollen) die Sorgen neu zu betrachten, sie solidarisch zu teilen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Die Autorin
Agnes Wuckelt ist emeritierte Professorin für Praktische Theologie und stellvertretende Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd).
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.