Angeblicher Bedeutungsverlust habe vor allem mit veränderten Umständen zu tun

Dogmatiker Seewald: Theologie in Deutschland nicht schlechter geworden

Veröffentlicht am 30.10.2023 um 13:39 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Verglichen zu früher habe die deutschsprachige Theologie an Bedeutung verloren, heißt es oft. Theologe Michael Seewald stimmt nicht in den Abgesang ein und betont: Namen wie Ratzinger haben ihre Bedeutung auch den damaligen Bedingungen zu verdanken.

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Der Münsteraner Dogmatiker Michael Seewald sieht im angeblichen Fehlen von bedeutenden Namen keinen Grund für einen Abgesang auf die gegenwärtige deutschsprachige Theologie. Daraus zu schließen, dass die Theologie in Deutschland qualitativ schlechter geworden sei, sei nicht gerechtfertigt, schreibt Seewald in einem Beitrag für die "Herder Korrespondenz" (November-Ausgabe). Stattdessen habe sich das Beziehungsgefüge zwischen akademischer Theologie, amtlich verfasster Kirche und interessierter Öffentlichkeit verschoben. Dies beeinflusse die Wahrnehmung dessen, welche Namen man als bedeutend ansehe.

Die Bekanntheit von Namen wie Joseph Ratzinger, Hans Küng oder Johann Baptist Metz sei darin grundgelegt gewesen, dass es in der damaligen Aufbruchszeit um das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) eine weit über die Theologiestudierenden hinausreichenden Hörerschaft gegeben habe, die katholisch sozialisiert war und bestimmte Interessen mit an die Universität brachte, so Seewald weiter. Diese seien unter anderem gewesen, den im Elternhaus erlernten Glauben intellektuell zu durchdringen oder politisches Engagement jenseits des konservativen Spektrums mit dem christlichen Glauben zu verbinden. Eine derartig kirchlich geprägte Studierendenschaft gebe es heute nicht mehr. "Die kurze Phase der durch ihre mediale und publikatorische Präsenz bereits zu Lebzeiten international bekannten und über ein Fachpublikum hinausgehend als 'beeindruckend' wahrgenommenen Theologen dauerte nur wenige Jahrzehnte und ist, mit dem Wegfall der dieses Phänomen ermöglichenden, gesellschaftlichen Voraussetzungen, zu Ende gegangen."

Gespräche verebbt

Wenn die Kirche eine bedeutsame Theologie wolle, müsse sie ihr wieder Bedeutsamkeit zugestehen, betonte Seewald. "Danach sieht es in der Kirche im Moment nicht aus." So seien die Gespräche zwischen römischem Lehramt und der akademischen Theologie, wie es sie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegeben habe, verebbt. Was die genannten Theologen damals schrieben, habe Auswirkungen auf das kirchliche Selbstverständnis gehabt. "Was Theologen heute schreiben, ist für die dogmatische und organisationale Entwicklung der katholischen Kirche hingegen völlig irrelevant."

Zuletzt hatten mehrere hochrangige Kirchenvertreter einen Bedeutungs- und Qualitätsverlust der deutschsprachigen Theologie diagnostiziert. So sagte etwa Kardinal Víctor Manuel Fernández, Präfekt des Glaubensdikasteriums, dass die Kirche in Deutschland heutzutage keine Theologen mehr auf dem Niveau früherer Zeiten habe. Der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Stanisław Gądecki, beklagte eine "Abkopplung" der Theologie in Deutschland von der Seelsorge und der pastoralen Verantwortung, die mangelnde Einbettung in die Kirche und eine zunehmende Spezialisierung der Professoren. (mal)