Geistliche Sammlung und Versicherungsstreit: Wenn Priester aufhören
Stefan Fischer und seine Frau haben keinen richtigen Jahrestag. "Mittlerweile haben wir einen Hochzeitstag. Aber diesen einen Tag, an dem wir zusammengekommen sind, gibt es so gar nicht", erzählt er. Das hat einen Grund: Zwar konnten sie sich irgendwann ihre Gefühle füreinander eingestehen, aber ihre Beziehung musste lange geheim bleiben. "Ich weiß es noch genau, wie schön dieses Gefühl war, verliebt zu sein und Liebe erwidert zu bekommen, aber wie unschön es gleichzeitig war, das alles verstecken zu müssen." Damals ist Stefan Fischer noch Priester und seine Frau Gemeindereferentin. Für ihn beginnt ein intimer und steiniger Weg.
Künftige Priester versprechen schon bei ihrer Diakonenweihe, keusch zu leben – "um des Himmelreiches willen". So umstritten die Formel auch sein mag, geleistet wird sie noch immer. Auch Fischer liegt vor vielen Jahren vor dem Altar des Rottenburger Doms und verspricht den Zölibat. Dass die Begegnung mit einer Frau sein Versprechen nicht nur erschüttern, sondern sogar zu Fall bringen könnte, kann er sich damals nicht vorstellen. "Ich habe den Zölibat in Kauf genommen, weil ich Priester werden wollte. Ich dachte, ich schaffe das schon irgendwie."
Doch nach etwa sieben Jahren im Priesteramt trifft er die eine bestimmte Frau im Kontext der kirchlichen Jugendarbeit immer wieder, sie ist Gemeindereferentin. Beide nehmen an den gleichen Sitzungen teil, man arbeitet zusammen. Es wird enger – und klar: Da ist mehr.
Für ihn bedeutet das eine große Herausforderung. "Das, was wir da fühlten, durfte nicht sein. Wir haben beide versucht, das zu unterdrücken, uns nicht mehr zu sehen, aber es ging einfach nicht ohne einander." Es sieht bald danach aus, dass es nicht bei einer Affäre bleibt. Er will sich über sich selbst klar werden, nimmt geistliche Begleitung in Anspruch. Fischer macht die 30-tägigen Großen Exerzitien des heiligen Ignatius von Loyola, in diesem Rahmen spricht er auch immer wieder mit einem geistlichen Begleiter. "Das hat mir wirklich geholfen, mir über mich selbst klar zu werden. Immerhin geht es darum, eine Lebensentscheidung auf den Prüfstand zu stellen – und dann zu entscheiden." Von Anfang an geht er recht offen damit um, dass er für sich selbst Klärungsbedarf hat – dass es dabei auch um eine Frau geht, wissen zunächst aber noch wenige. Nach den Exerzitien ist ihm klar: Er will den Priesterstand verlassen.
Situation der Kirche sorgt für Zweifel
Damit ist Fischer nicht allein. Bei Werner Kohler haben immer wieder Priester mit Problemen angerufen, er war bis zu seiner Pensionierung Anfang September Teil eines Teams aus Frauen und Männern ganz unterschiedlicher Profession, das sich im Erzbistum Freiburg um Seelsorgende kümmert. Insgesamt sieben Anlaufstellen gibt es bistumsweit. "Der Bedeutungsverlust der Kirche, eine Unsicherheit über ihre eigene Rolle, eine spirituelle Krise, der Zölibat – oft ist es ein ganzes Bündel an Gründen, weswegen Priester zweifeln oder ihr Amt infrage stellen." In seinem Team geht es erst einmal darum, diesen Männern zuzuhören und sie zu verstehen. Danach sollen sie bei der Suche nach sich selbst unterstützt werden. Will er Priester möglichst im Priesterstand halten? Kohler wehrt energisch ab. "Als Seelsorger geht es mir darum, dass die Menschen sich selbst gegenüber authentisch bleiben. Das kann weiterhin als Priester sein, muss es aber nicht." Wenn klar wird, dass es um eine tiefe Krise in der eigenen Biografie geht und dies eine ausgiebigere Klärung benötigt, verweist Kohler die Priester auf die Psychotherapeutische Beratung für Berufe der Kirche im Erzbistum und auf das Recollectiohaus in Münsterschwarzach – eine Einrichtung, die vor allem für ihre Arbeit mit ausgebrannten Priestern bekannt ist.
Das wird auch eine Station von Fischer: Nach einem Gespräch mit dem Rottenburger Bischof Gebhard Fürst, der ihn Jahre zuvor selbst geweiht hat, wird er zur Klärung der Lebensform von seinem Dienst freigestellt. Der Bischof schickt ihn ins Recollectiohaus. "Am Anfang habe ich mich gefragt, was ich da soll. Ich hatte ja keinen Burn-Out." Doch er versteht schnell, worum es hier geht: Eine geistige Sammlung, sich selbst klar werden, die Weichen für die Zukunft stellen. Als er während des Aufenthalts im Recollectiohaus dem Bischof schreibt, dass er den Priesterstand definitiv verlassen will, suspendiert ihn dieser. Damit darf er seine Weihe- und Leitungsvollmacht nicht mehr ausüben. Von Rottenburg aus geht ein Laisierungsgesuch an den Vatikan – denn über das Verlassen des Priesterstands entscheidet grundsätzlich nur einer: der Papst. Denn Fischer möchte auch eine Dispens vom Zölibat. Ansonsten dürfte auch die Kleruskongregation entscheiden. Franziskus entscheidet für vatikanische Verhältnisse schnell: Nach sechs Wochen ist Fischer nicht mehr Kleriker. Priester bleibt er: Die Weihe lässt sich nicht zurücknehmen. Er bekommt noch drei Monate Übergangszeit, dann muss er auf eigenen Füßen stehen.
Was aber nun? Wenn Priester vor einer solchen Frage stehen, heißt die Lösung oft: reden. "Wenn das Laisierungsdekret da ist, gibt es recht viel Spielraum, um Kollegen eine Weiterarbeit im kirchlichen Raum zu ermöglichen", sagt Kohler, der selbst Priester ist. "Das kann zum Beispiel als Pastoralreferent sein." Es komme dabei nicht zuletzt darauf an, ob der Betreffende bei der Kirche bleiben wolle. "Wenn ja, muss geklärt werden: Wo ist sein Ort und wie wird der Übergang organisiert."
Angebot und Neuanfang
So ähnlich läuft es bei Fischer. Das Bistum bietet ihm an, als Religionslehrer an beruflichen Schulen zu arbeiten. Er könnte damit im Kirchendienst bleiben, da er noch unter 40 ist sogar noch Beamter werden – eigentlich eine reizvolle Perspektive. Er macht ein Praktikum an einer Schule und stellt fest – das ist nicht seins. "Ich habe mir vorgestellt, das die nächsten 30 Jahre jeden Tag zu machen – und hatte da ganz schön Respekt vor." Er will die Chance lieber nutzen, sich völlig anders zu orientieren. In dieser Zeit, es ist das Jahr 2016, kommen viele Menschen aus Syrien nach Deutschland, die Unterstützung brauchen. Für Fischer die Chance, bei der Caritas als Flüchtlingssozialarbeiter einzusteigen. Er kümmert sich um geflüchtete Männer und hilft ihnen, über das Erlebte zu sprechen. Er macht einen klaren Schnitt und ist auf einmal ein Arbeitnehmer wie die meisten Deutschen auch.
Das bedeutet für ihn große Veränderungen: Statt einer Dienstwohnung muss er sich selbst eine Wohnung mieten; Strom, Wasser und Internet selbst organisieren. Zudem verdient er im sozialen Bereich deutlich weniger als bisher. "Da ist mir erst klar geworden, wie viele Privilegien ich hatte", sagt er. Aber er bereut nichts. "Ich bin mit dem Geld hingekommen – und das stand bei mir auch nie im Vordergrund."
Es gibt auch positive Veränderungen. Er ist nun nicht mehr zu jeder Tages- und Nachtzeit auf den Beinen, sondern hat eine 40-Stunden-Woche. "Die war immer recht schnell voll. Da ist mir mal aufgefallen, wie viele Stunden ich als Priester immer gearbeitet hatte."
Einen Elefanten im Raum gibt es zum Abschluss seiner Geschichte mit dem Bistum noch: Die Rentenversicherung. In die zahlen Priester nicht ein. Ein Bistum muss einen ausscheidenden Priester aber nachversichern. "Bei mir ging es da um fast zehn Jahre – also um eine Stange Geld." Der gesetzliche vorgeschriebene Mindestsatz ist gering, alles darüber hinaus Verhandlungssache. "Meine Verhandlungsposition war da natürlich denkbar schlecht", erzählt er. Den ersten Vorschlag der Diözese, ihn zum für die Kirche niedrigstmöglichen Satz nachzuversichern, lehnt er noch ab. Am Ende werden sie sich dann doch noch einig. "Ich habe keine Rechnung mehr offen", sagt er heute.
"Enttäuscht und sauer"
In Erinnerung geblieben ist ihm die Reaktion des Bischofs. Der habe ihn, wie die gesamte Diözese, immer fair behandelt. "Persönlich war er aber enttäuscht und sauer", glaubt er. Sein letztes Gespräch mit Fürst beschreibt er als höflich, aber kühl. "Es war ganz klar spürbar: Hier geht etwas zu Ende. Das Tischtuch ist zerschnitten, die Sache war einfach gelaufen."
Weniger gut läuft es für seine damalige Lebensgefährtin, mit der er sich nach der Laisierung auch öffentlich zeigt. Sie – die als Gemeindereferentin eigentlich heiraten darf – wird an ihrer Stelle als "nicht mehr tragbar" angesehen und muss gehen. Ersetzt wird sie pikanterweise durch eine Ordensfrau. "Da wurde dann nochmal viel Porzellan zerschlagen, das hätte wirklich nicht sein müssen", sagt Fischer.
Ansonsten haben beide nicht mit Gegenwind zu kämpfen. "Natürlich waren manche Menschen enttäuscht von mir – und das kann ich auch verstehen." Böse Mails bekommt er aber nicht. Er merkt eher im persönlichen Umgang, dass sich manche von ihm abwenden. Es seien aber keine großen Zahlen gewesen, erzählt er. Getragen fühlt er sich von den Priestern seiner Weggemeinschaftsgruppe, einer Priestergruppe, mit denen er immer noch in Kontakt steht. "Sie haben mir gezeigt, dass sie mich als Mensch und Bruder sehen, als jemand, der es sich auch nicht leicht macht, der mit sich ringt." Aber natürlich sei ein Priester, der wegen des Zölibats ausscheidet, auch eine Anfrage an sie.
Wie geht es spirituell weiter, wenn ein Priester aussteigt? Werner Kohler erkennt auch nach einer Laisierung viel spirituelles Leben. "Nach meiner Erfahrung haben viele nach wie vor eine innere Beziehung zur Kirche und auf jeden Fall auch zum Glauben", sagt er. In seinem eigenen Weihejahrgang sind bereits zwei Männer laisiert worden. Einer von ihnen kommt auch immer noch zu den regelmäßigen Treffen der Gruppe. "Er ist nach wie vor ein priesterlicher Mensch und es ist schmerzlich für uns, dass er seinen Dienst nicht ausüben kann."
Eine bleibende Heimat
"Die Kirche ist bis heute meine Heimat", sagt auch Fischer. Deshalb hat er auch nicht einfach als Priester zu den Altkatholiken gewechselt, wie es andere Geistliche tun. "Ich wollte meiner Kirche treu bleiben."
Heute arbeitet er bei einer kirchlichen Stiftung in der Seelsorge, kümmert sich um Mitarbeitenden, ältere und jüngere Menschen. Seine Lebensgefährtin hat er geheiratet – auch kirchlich. Einige Priester als Weggefährten waren dabei. Seine Frau hat nach einer Übergangszeit in der Schule wieder eine Stelle in der Pastoral bekommen. Beide hegen keine schlechten Gefühle für die Kirche, sagt Fischer. Vielmehr sei ihm klar geworden: "Berufung ist komplex – und sie kann sich ändern. Zu einem ehelosen Leben war ich nicht berufen, zum Seelsorger aber schon." Deshalb sieht er auch mit vorsichtigem Optimismus in die Zukunft: "Wenn es mal Priester im Zivilberuf geben sollte oder viri probati – dann reiche ich gern die Hand."