Bischof Bätzing ruft zu verstärktem Einsatz gegen Antisemitismus auf
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, hat die Katholiken in Deutschland zu einem verstärkten Einsatz gegen Antisemitismus aufgerufen. "Es reicht nicht, den Antisemitismus nur moralisch und theologisch zu verurteilen; vielmehr ist es unsere Christenpflicht, aktiv an seiner Überwindung mitzuarbeiten", so Bätzing am Mittwoch in Bonn. Daher bitte er die katholischen Gemeinden, Verbände und Bildungseinrichtungen, die kirchlichen Mitarbeiter und die Religionslehrer, sich gegen Antisemitismus zu engagieren und das Gespräch mit jüdischen Gemeinden zu suchen. "Für die katholische Kirche in Deutschland sage ich: Wir werden uns mit allen Mitteln als Kirche gegen jede Form des Antisemitismus stemmen. Nie wieder sollen Juden in Deutschland angefeindet und bedroht werden. Nie wieder! Das muss uns bleibende Verpflichtung und mahnender Auftrag sein."
Bätzing äußerte sich aus Anlass des 85. Jahrestags der Reichspogromnacht an diesem Donnerstag. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 hatten die Nationalsozialisten in ganz Deutschland Synagogen und jüdische Betstuben in Brand gesetzt, jüdische Geschäfte und Wohnhäuser verwüstet und tausende Juden misshandelt und ermordet oder in Konzentrationslager verschleppt. Mit dem von den Nazis zynisch verharmlosend als "Reichskristallnacht" bezeichneten Pogrom begann eine neue Phase der Verfolgung und Diskriminierung, die im Holocaust – der Deportation und Vernichtung von mehr als sechs Millionen Juden in Konzentrationslagern – endete.
Bätzing: Das Schweigen der Kirche zur Judenverfolgung beschämt mich
Bätzing betonte, dass ihn die Erinnerung an die Reichspogromnacht mit Schmerz erfülle: "Tausende Deutsche zogen in dieser Nacht marodierend und brandschatzend durch die Straßen mit dem einzigen Ziel, jüdische Einrichtungen zu zerstören und jüdische Menschen zu misshandeln. Noch größer war die Zahl derer, die den Plünderungen und Gewaltexzessen zusahen, ohne einzugreifen." Auch die deutschen Bischöfe hätten in der Nacht und in den Tagen danach geschwiegen. Der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg sei einer der wenigen gewesen, die ihre Stimme erhoben hätten, um gegen das Unrecht zu protestieren. "Das Schweigen der katholischen Kirche in Deutschland zur Judenverfolgung beschämt mich", so Bätzing wörtlich.
Der Limburger Bischof äußerte sich auch besorgt über die aktuelle Lage von Juden in Deutschland. Dass Synagogen und jüdische Einrichtungen weiterhin geschützt werden müssten, zeige, dass der Antisemitismus auch 85 Jahre nach der Reichspogromnacht eine gesellschaftliche Realität sei. "Damit dürfen wir uns nicht abfinden."
Antisemitismus von Rechten, Muslimen und "postkolonialen Aktivisten"
Bätzing verurteilte in diesem Zusammenhang auch die jüngsten antisemitischen Angriffe und Beleidigungen nach dem Terroranschlag der palästinensischen Hamas auf Israel: "In den vergangenen Wochen mussten wir erleben, wie auf deutschen Straßen über die Ermordung und Geiselnahme von Jüdinnen und Juden durch die Terrororganisation Hamas gejubelt und blanker Judenhass propagiert wurde." Auf Internetseiten und in manchen sozialen Medien fänden längst überwunden geglaubte, antijüdische Verschwörungsmythen Verbreitung, und auch im Alltag hielten sich hartnäckig judenfeindliche Vorurteile. "Wie verletzend und zermürbend muss es für Jüdinnen und Juden sein, immer wieder mit denselben Zerrbildern, denselben Vorurteilen und denselben Vorwürfen konfrontiert zu werden und noch immer Angst um ihr Wohlergehen haben zu müssen", sagte der Bischof.
Bätzing betonte, dass Antisemitismus viele Gesichter habe. Neben dem antisemitischen Gedankengut und den antisemitisch motivierten Straftaten von Rechtsextremen stehe man heute auch einem von einigen Muslimen geteilten oder gebilligten Antisemitismus gegenüber: "Er speist sich aus einer bestimmten Interpretation der religiösen Quellen, aber vor allem aus dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Eine propalästinensische Haltung, die den Einsatz für die Rechte der Palästinenser mit einer scharfen Kritik israelischer Besatzungspolitik verbindet, wird nicht selten mit tradierten antisemitischen Stereotypen verwoben und mündet in eine grundsätzliche Ablehnung des Staates Israel." Hinzu kämen "einige postkoloniale Aktivisten", die eine höchst einseitige Sicht des Nahost-Konflikts verträten, die nicht frei von israelbezogenem Antisemitismus sei. "Wir brauchen in den historischen, theologischen und politischen Debatten eine größere Sensibilität für alles, was Antisemitismus fördert", forderte der DBK-Vorsitzende. (stz)