Steyler Missionsschwester verwandelt Frankfurter Kirche in sozial-pastoralen Raum

Warum eine Ordensfrau Pommes verkauft

Veröffentlicht am 10.12.2023 um 12:00 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Frankfurt ‐ Sie trägt keinen Habit, nur ein Kreuz um den Hals. Die Steyler Missionsschwester Bettina Rupp sprüht vor Ideen. In Frankfurt Sankt Aposteln hat sie gemeinsam mit Mitschwestern und Gemeindemitgliedern eine Pommesbude eröffnet. Und das nicht nur, weil sie selbst gerne Pommes isst.

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Ein Lachen weht über den Kirchplatz. Schwester Bettina Rupp unterhält sich mit zwei Frauen vor der Kirche Sankt Aposteln in Frankfurt. Die Ordensfrau trägt ein Kreuz um den Hals. Vor der Kirche steht eine Frittenbude. Ein Mann stellt ein Schild dort hin. Heute "Meet´n Frites" - "Schwestern Pommes" ist darauf zu lesen. Schwester Bettina bedankt sich bei dem Mann. Der geht zu einem Wohnwagen vor der Kirche. "Dort ist er momentan zu Hause“, erklärt die 57-jährige Ordensfrau, die auch als Sozialarbeiterin mit einem multiprofessionellen Team der Frankfurter Kirchengemeinde Sankt Bonifatius arbeitet, zu der der Kirchort Sankt Aposteln gehört. "Herauswagen" nennt sich das soziale Projekt der Caritas. Menschen in Wohnungsnot können hier am Kirchort wohnen, bis ihnen Wohnraum weitervermittelt wird. 

Seit 2016 wohnt Schwester Bettina, die Steyler Missionsschwester ist, gemeinsam mit fünf Mitschwestern im ehemaligen Pfarrhaus hier in Sankt Aposteln. Und seit damals ist aus dem Kirchort am Rande des Stadtteils ein sozial-pastoraler Treffpunkt geworden. "Damit ist für uns ein gemeinsamer Traum in Erfüllung gegangen", sagt Schwester Bettina. Einen Pfarrer direkt am Ort gibt es nicht. Zuständig für seelsorgliche Aufgaben, wie zum Beispiel das Feiern von Gottesdiensten, ist der Leitende Pfarrer der Hauptkirche von Sankt Bonifatius, die in der Nähe ist. "Den Rest machen wir hier im Team selbst", so die Ordensfrau. Sie geht gemeinsam mit Pastoralreferentin Doly Kadavil in die Kirche von Sankt Aposteln hinein. Die beiden sind im Tandem für den Kirchort zuständig. 

Der Kirchenraum innen ist groß, weiträumig und mit vielen Kirchenbänken ausgestattet. Im hinteren Teil stehen ein paar liebevoll dekorierte Biertische. "Das ist unser KirchCafé und KleiderCafé", zeigt Kadavil nicht ohne Stolz. Dass für das Kirchencafé einige Kirchenbänke umgestellt wurden, hat nicht jedem in der Gemeinde gefallen, blickt die 41-jährige Seelsorgerin zurück. Doch sie habe damals jeden einzelnen Kirchenvorstand persönlich angerufen und von der neuen Idee begeistern können. Jetzt treffen sich die Gemeindemitglieder nach jedem Gottesdienst hier hinten bei den Biertischen und kommen miteinander ins Gespräch. Zweimal in der Woche findet dort auch das "KleiderCafé" statt. Wer mag, trinkt einen Kaffee und kann oben auf der Orgelempore shoppen, erklärt Doly Kadavil. Rund um die Orgel ist die "Boutique für Second-Kleidung" eingerichtet.

Bild: ©katholisch.de/ msp

Pastoralreferentin Doly Kadavil und Sozialarbeiterin Schwester Bettina Rupp arbeiten gemeinsam am sozial-pastoralen Kirchort in Sankt Aposteln in Frankfurt.

Die beiden Seelsorgerinnen gehen zur Orgelempore hinauf. Obwohl da einige Kleiderständer herumstehen, würde das den Organisten nicht stören, meint Schwester Bettina und erzählt auch, dass einige Ehrenamtliche aus der Gemeinde hier regelmäßig die gebrauchten, aber gut erhaltenen Kleidungsstücke sortieren und zum Verkauf anbieten.

Nur einmal sind Gottesdienstbesucher aus Protest gegangen

Die Second-Hand-Kleiderboutique wird gut angenommen. Auch von ganz unterschiedlichen Menschen aus dem Stadtteil. "Nur einmal, ganz am Anfang, als wir hier begonnen hatten, sind während einer Modenschau im Kirchenraum zwei ältere Gottesdienstbesucher aus Protest gegangen", erinnert sich Pastoralreferentin Kadavil. Diese beiden kamen beim nächsten Mal aber wieder, weiß sie noch. Kaffee genießen, Kleider shoppen und den Kirchraum erleben: Das passe doch wunderbar zusammen, sagt Schwester Bettina Rupp. "Wir wollen damit Momente der Begegnung schaffen zwischen denen, die weniger haben und denen, die viel haben." Ganz nebenbei erfahre sie dann in den Gesprächen, was sich die Menschen von der Kirche erwarten. Das helfe uns hier, Ideen weiterzuentwickeln, sagt sie. Weil oben an der Orgelempore renoviert wird, lagern die Second-Hand-Kleider zur Zeit unten in den Kirchenbänken. Von oben sieht das schön aus. Ein buntes Bild von Kirche.  

"Wir genießen hier die Freiheit, einfach mal was in der Kirche auszuprobieren, sie zu öffnen, Menschen unterschiedlicher Milieus einzuladen", freut sich Schwester Bettina. Die beiden Seelsorgerinnen zeigen noch ein weiteres Herzensprojekt am Kirchort: den "Offenen Kühlschrank" oder "Open Fridge" vorne in der Seitenkapelle. Der ist mit Lebensmittelspenden gefüllt. Das Motto dahinter ist: Jeder, der etwas benötigt, kann sich hier bedienen und wer etwas zu viel hat, legt es hinein. "Wir teilen nicht nur miteinander den Überfluss der Gesellschaft, wir fairwerten ihn auch", erklärt die Ordensfrau. Dort auf dem Seitenaltar steht auf einer Tafel: "Wenn das Brot das wir teilen als Rose blüht". Dieses christliche Motiv des Teilens ist hier am Kirchort sehr wichtig. Neben dem Kühlschrank lädt ein gemütliches Sofa zum Verweilen ein. Denn Kirche soll mehr sein, als nur ein Ort für Gottesdienst und Gebet, meinen die beiden Seelsorgerinnen. Wer mag, ist eingeladen, sich hier auszuruhen und ins Gespräch mit anderen zu kommen. "Hier ist jeder willkommen", ergänzt Pastoralreferentin Kadavil. Die Kirche habe ohnehin jeden Tag bis zum Abend geöffnet. "Wir Schwestern wohnen nebenan, wir kümmern uns darum", lacht die Ordensfrau. 

In der Sakristei steht ein großer Schrank voll mit Tassen, Tellern und Besteck. Sie werden für das Kirchencafé, das Kirchenkino und die anderen Angebote in Sankt Aposteln gebraucht. Die Pastoralreferentin zeigt stolz die vielfältige Ausstattung der Sakristei. Die Arbeit hier am Kirchort erfülle sie sehr. Mehrmals im Jahr predigt Kadavil auch selbst in der Kirche, zum Beispiel beim Krippenspiel am Heiligen Abend. Die Seelsorgerin erwähnt dann, dass jedes Jahr am zweiten Weihnachtsfeiertag in Sankt Aposteln gemeinsam mit der koptisch-orthodoxen Jugend in Frankfurt ein großes Fest für Menschen ohne und mit Wohnsitz ausgerichtet wird. Die ganze Kirche und der Kirchenvorplatz sind dann voll mit Menschen. "Gemeinsam mit vielen Ehrenamtlichen feiern wir Weihnachten und dann wird wirklich Weihnachten für uns alle", freut sich Schwester Bettina.

Bild: ©katholisch.de/ msp

Hinten im Kirchraum von Sankt Aposteln ist das KirchCafé. Oben auf der Orgelempore stehen die Kleiderstangen für die gebrauchten Kleiderstücke, die momentan unten lagern.

Draußen hinter dem Kirchturm zeigt Schwester Bettina den mobilen Friseursalon. Das ist ein Waschbecken samt einem kleinen Schränkchen. Dort bietet ein ehemaliger und talentierter Wohnwagenbewohner regelmäßig den Besuchern des KleiderCafés einen kostenlosen Haarschnitt an. Jetzt zeigt Schwester Bettina ihr zu Hause und geht in das ehemalige Pfarrhaus nebenan. Seit einigen Jahren ist ihre Gemeinschaft hier in Sankt Aposteln. Eine Mitschwester aus Polen im grauen Habit kommt zur Tür herein. "Wir sind eine internationale Gruppe", sagt die Steyler Missionsschwester. "Aber wir bleiben nicht nur unter uns, sondern sind für die Menschen da, die uns brauchen, egal wann." Schwester Bettina erzählt von einem weiteren Projekt. Für Frauen in akuten Notsituationen stellen die Schwestern einen Schutzraum zur Verfügung. Der Ort und das Engagement ist nur den Beratungsstellen zugänglich, denn die Sicherheit der Frauen könne nur so gewährleistet sein, so die Ordensfrau. 

In der Küche werden Kartoffeln und Soßen für die Pommesbude nachher um 17 Uhr vorbereitet. Zwei Frauen aus der Pfarrei helfen mit. "Die Ehrenamtlichen sind ein Schatz für uns", freut sich die Ordensfrau und geht nach draußen zur Pommesbude, öffnet den Wagen und erzählt, dass die Gemeinde ihn geschenkt bekommen hat. "Wenn man anderen von seinen Ideen erzählt, dann bekommen sie Hand und Fuß", lacht Schwester Bettina und zieht Mütze und Kochschürze an. Zweimal im Monat öffnet die "Schwestern-Pommesbude". Rund 30 Kilo Bio-Kartoffeln aus der Region werden dann pro Abend verarbeitet und gegessen. "Das sind 100 Tüten Pommes und viele schöne Gespräche", freut sich die Steyler Missionsschwester. Für einige sind "wir hier einfach die Pommes-Schwestern in Frankfurt."  

Diese Kinder werden später einmal die Kirche mit Pommes essen verbinden

Kinder spielen am Kirchvorplatz, Mütter unterhalten sich. "Die Kinder vom Kindergarten hier gegenüber sind unsere besten Kunden und werden später alle einmal Kirche mit Pommesessen verbinden“, lacht Schwester Bettina. Ein älterer Mann bestellt eine Tüte. An einer regulären Pommesbude würde diese zwei bis vier Euro kosten. Hier gibt es keine festen Preise, nur Spenden. "Es gibt so viele Möglichkeiten, als Kirche etwas für andere zu tun, sie zu öffnen und Neues auszuprobieren. Das hier ist unser Weg", sagt die Ordensfrau.

Und sie hat noch so viele Ideen für Sankt Aposteln. Sie würde gerne öfter die Pommesbude aufmachen. Doch dazu fehle es bislang noch an Logistik, denn die Schwesternküche ist dafür zu klein. Und Schwester Bettina träumt von einem Streetfood-Markt und von Kochkursen direkt am Kirchplatz. Pastoralreferentin Doly Kadavil nickt zustimmend und zieht ihre Kochschürze an. "Ich verzweifle nicht an meiner Kirche", sagt sie. "Ich glaube, dass das Leben nur lebenswert ist, wenn wir es miteinander teilen", so Kadavil. "Und wir machen es hier über Pommes", lacht Schwester Bettina und winkt einem Mann zu, der von seinem Wohnwagen aus zu der Pommesbude herüber schaut.

Von Madeleine Spendier