Papst laut Schweizer Bischöfen offen für Vorschläge gegen Missbrauch
Die Schweizer Bischöfe sind nach einem ersten Gespräch mit Papst Franziskus über Maßnahmen zum Umgang mit Missbrauch zuversichtlich. Die nach der Vorstellung der Missbrauchsstudie angekündigten Vorstöße, die einer Zustimmung des Heiligen Stuhls bedürfen, seien beim gemeinsamen Austausch mit dem Papst und weiteren Kurialen auf Verständnis gestoßen, teilte die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) am Mittwoch nach Abschluss eines zweitägigen Besuchs mit. Der Vorsitzende der SBK, der Basler Bischof Felix Gmür, und der in der SBK für die Maßnahmen zu Missbrauch zuständige Churer Bischof Joseph Bonnemain haben die Schweizer Pläne im Vatikan vorgebracht. Der Mitteilung zufolge haben sie mit dem Papst und seinen Mitarbeitern Gespräche insbesondere über die Errichtung eines nationalen Straf- und Disziplinargerichts, die Aufbewahrung von Akten im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen sowie den Zugang zu den kirchlichen Archiven geführt. "Die SBK ist froh, dass die getroffenen Massnahmen nach und nach umgesetzt werden können", so die Erklärung weiter. Informationen zum Zeitplan einer Umsetzung sind noch nicht bekannt.
Ende Oktober hatte Bonnemain für die SBK das als Konsequenz auf die Vorstellung der Schweizer Missbrauchsstudie geplanten Vorgehen der Schweizer Bischofskonferenz vorgestellt. Die angekündigten Maßnahmen sollen bis Ende 2024 umgesetzt werden. Dazu gehören einheitlich standardisierte, psychologische Eignungsprüfungen von zukünftigen Priestern, Ordensleuten und Laien-Seelsorgenden sowie die Professionalisierung der Personalaktenführung.
Auf Anfrage von katholisch.de zeigte sich die Römisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ), der Zusammenschluss der Schweizer katholischen Landeskirchen, erfreut und betonte insbesondere die Bedeutung der geplanten Gerichtsbarkeit. "Die RKZ wertet das Engagement der Bischöfe und die Bereitschaft des Papstes für dieses Treffen sehr positiv. Ziel ist es, eine unabhängige und fachkompetente Instanz zu schaffen, um die kirchenspezifischen Fragen zu entscheiden, welche die Strafjustiz des Staates nicht entscheidet", so der RKZ-Generalsekretär Urs Brosi. Eine inhaltliche Bewertung des Besuchs der Bischöfe in Rom sei mangels Informationen über den Stand der Beratungen noch nicht möglich: "Wir nehmen an, dass noch weitere Gespräche in Rom folgen müssen, um eine gute Lösung zu erreichen."
Mehrere Maßnahmen nur mit Zustimmung des Vatikans möglich
Das RKZ-Präsidium sieht eine Herausforderung darin, eine Instanz zu schaffen, die sich bezüglich Zusammensetzung und Verfahrensregeln an den Standards eines Rechtsstaates messen kann: "Dazu gehören die Unabhängigkeit von Strafverfolgung und Gericht (so darf es nicht sein, dass ausschliesslich Priester die Funktionen als Kirchenanwalt und Richter in Strafverfahren gegen Priester übernehmen dürfen) und die Möglichkeit von Missbrauchsbetroffenen, als Nebenkläger am Verfahren mitzuwirken." Auch die Frage der Öffentlichkeit von Urteilen solcher Strafverfahren sei zu klären.
Für die Einrichtung eines überdiözesanen Gerichts ist die Zustimmung des Heiligen Stuhls erforderlich. Ausdrücklich gegen das geltende Kirchenrecht verpflichteten sich die Bischöfe darauf, keine Akten aus Missbrauchsfällen mehr zu vernichten. Gegenüber katholisch.de teilte eine Sprecherin des Bistums Chur im Oktober mit, dass die Schweizer Bischöfe dem Papst vorschlagen wollen, diese Bestimmungen aus dem Kirchenrecht zu entfernen. Für die Studie waren die Akten der Schweizer Nuntiatur nicht zugänglich. Ende September sagte Nuntius Martin Krebs, dass er begonnen habe, nach gangbaren Lösungen für das Dilemma zwischen Missbrauchsaufarbeitung und diplomatischem Schutz der Vatikan-Botschaft in Bern zu suchen.
Die Mitte September veröffentlichte unabhängige Studie der Universität Zürich wurde im Auftrag der Schweizer Bischöfe angefertigt. Sie ermittelte mindestens 921 Opfer sexuellen Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche der Schweiz. Identifiziert wurden seit Mitte des 20. Jahrhunderts 1.002 Fälle und 510 Beschuldigte. Die Verfasser der Studie sehen darin jedoch nur "die Spitze des Eisbergs". So konnten neben den Nuntiaturakten noch zahlreiche weitere Aktenbestände, etwa von katholischen Schulen und Heimen, noch nicht ausgewertet werden. (fxn)
16. November 2023, 13 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme der RKZ.