Deutschland stehe nicht an Grenze der Aufnahmekapazitäten für Migranten

Heße: Geflüchtete kommen nicht, um sich Zähne machen zu lassen

Veröffentlicht am 18.11.2023 um 13:32 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Es sei "falsch und sogar politisch gefährlich, jetzt von einer Migrationskrise zu sprechen": Flüchtlingsbischof Stefan Heße mahnt, die einzelnen Flüchtlinge vor Augen zu haben – und kritisiert eine Äußerung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz.

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Deutschland steht nach Einschätzung des Flüchtlingsbischofs Stefan Heße derzeit nicht an einer Grenze der Aufnahmekapazität für Migranten. Es sei "falsch und sogar politisch gefährlich, jetzt von einer Migrationskrise zu sprechen", sagte Heße im Interview des Kölner Internetportals domradio.de (Samstag). Man müsse immer die einzelnen Geflüchteten vor Augen haben, mahnte der Hamburger Erzbischof: "Sie kommen zu uns, nicht weil sie sich irgendwie auf einen Spaziergang machen wollen oder weil es so schön wäre, sondern sie fliehen vor Gewalt und Elend. Um es ganz deutlich zu sagen: Sie kommen nicht zu uns, um sich die Zähne machen zu lassen", so Heße mit Blick auf eine umstrittene Äußerung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz.

Dieser hatte Ende September der Bundesregierung Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik vorgeworfen und kritisiert, dass abgelehnte Asylbewerber vollumfänglich Gesundheitsleistungen erhielten. "Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine", so Merz.

"Das Boot ist voll" trifft es nicht

Heße sagte weiter, er nehme zwar wahr, dass manche Kommunen an einer Grenze für die Aufnahme von Flüchtlingen angekommen seien. "Aber ich nehme auch andere wahr, die sich der Herausforderung stellen und sagen: 'Wir kriegen das hin'." Auf die Frage, wie er zu einer "Das Boot ist voll"-Rhetorik stehe, sagte Heße, diese Rhetorik treffe die Situation nicht. "Ich glaube, sie neigt dazu, Angst zu schüren und die ganze Diskussion um Asyl und Migration in eine falsche Richtung zu lenken", so der Sonderbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen. Aus seiner Sicht sei es auch nicht richtig zu sagen, "dass Massen nach Deutschland strömen".

Heße rief die Bundesregierung dazu auf, die im Koalitionsvertrag angekündigte Aufhebung von Hürden beim Familiennachzug in die Tat umzusetzen. "Das ist jetzt alles auf Eis gelegt, obwohl jeder weiß, dass Familiennachzug für geflüchtete Menschen etwas ganz Wesentliches ist", kritisierte Heße. "Wenn sie jemanden kennen aus ihrer Familie und sich gemeinsam auf der Flucht befinden, dann geht es ganz anders, als wenn sie mutterseelenallein sind." Familiennachzug wäre "ein stabilisierender Faktor", so der Bischof. Stattdessen setze man jetzt auf Restriktionen. "Und wenn der Kanzler sagt: 'Wir müssen stärker abschieben', glaube ich nicht, dass mehr Abschiebungen das Problem lösen", betonte Heße. Da gehe es "wahrscheinlich nur um eine ganz kleine Zahl, das hilft uns hier gar nicht weiter".

Im September war der Hamburger Erzbischof zu einer "Solidaritätsreise" nach Griechenland und in die Türkei gereist. Dort hatte er Flüchtlingslager besucht und mit Vertretern von Politik und Hilfsorganisationen gesprochen. (mpl/KNA)