Gerade in dieser Zeit ist das Advent-Feiern wichtig
Meine erste Heilige Nacht im Heiligen Land ist mir noch lebendig in Erinnerung: Weihnachten 2001, mitten in der Intifada, Bethlehem lag zeitweise unter schwerer Belagerung, weder Pilger noch Weihnachtsschmuck haben die Gassen der kleinen Stadt belebt. Es war dunkel und verregnet, kalt und einsam, als unsere kleine Pilgergruppe nach der Christmette vom Jerusalemer Zionsberg zu Fuß durch die Heilige Nacht ging, um zur Geburtsgrotte nach Bethlehem zu kommen. Die Grotte selbst war warm, strahlte Schutz, Geborgenheit und Heimat aus. Ja, dachte ich, so ähnlich mag das auch vor 2000 Jahren gewesen sein: Angekommen. Maria und Josef endlich an einem safe place, das göttliche Kind in einer menschlich-unwirklichen Welt. Angekommen!
So unwirklich und positiv-fremdartig wie jene Heilige Nacht waren auch die Adventswochen vorher: Keine Weihnachts- oder Adventsmärkte, keine akustische oder optische Überdekoration. Es war einfach dunkler und stiller in jenem Intifada-Winter. Advent fand vor allem in der Liturgie statt: im dann umso intensiveren Hören auf die alten Worte der Propheten, im Gebet der Psalmen mit ihren besonderen Antiphonen, in tief berührenden Rorate-Gottesdiensten in unserer Krypta. – Für mich als angehendem Benediktinermönch damals eine wohltuende Reduktion und die heilsame Rückfrage, worum es wirklich geht.
In den Jahren seither haben auch in Israel und Palästina überbordende, amerikanische Formen von Weihnachtsdekorationen Einzug gehalten, keineswegs nur in christlichen Häusern oder Wohnvierteln. Auch deutsche Lebkuchen oder Christstollen, Glühwein, Panettone und Schoko-Weihnachtsmänner (ja, "Santa" ist allgegenwärtig) finden sich nicht nur in den kirchlichen Häusern mit europäischen Wurzeln. Paraden und Christmas-Markets, riesige Weihnachtsbäume auf den Plätzen der Dörfer und Städte. – Eine Art von globalisierter Normalisierung, könnte man meinen. Und worum geht es wirklich?
Advent im Ausnahmezustand
Die Frage stellt sich in diesem Jahr auf brutale Weise neu. Seit dem 7. Oktober 2023 ist das Heilige Land einmal mehr in jenem Ausnahmezustand, der eher in der traurigen Regel der Wiederkehr zu stehen scheint. – Viele, zu viele Tote auf allen Seiten, entsetzliche Verwundungen und Zerstörungen an Leib und Seele. Einmal mehr viele Menschen, die im konkreten wie im übertragenen Sinn entwurzelt und heimatlos sind. Unterwegs auf der Flucht, unterwegs in der Suche nach einem neuen und besseren Leben, unterwegs in den Fragen zwischen Sicherheit und Lebensunterhalt, zwischen Hass und Trauer. In den Gedanken und in den Herzen vieler Menschen machen sich Angst und Kälte, Finsternis und Einsamkeit breit. Wie auf den Straßen Bethlehems damals in der Heiligen Nacht 2001.
Gerade in dieser Zeit und unter diesen Bedingungen ist es wichtig und richtig, dass wir als Christinnen und Christen im Heiligen Land Advent und Weihnachten feiern. Feiern mit und ohne Anführungszeichen. – Ja, wir Christen dürfen auf den finsteren und kalten Straßen des Heiligen Landes und der ganzen Welt nicht den wahren Stern der Heiligen Nacht aus dem Blick verlieren. Denn genau in diese nur allzu menschliche Situation hinein will unser Gott ankommen. SEIN Licht in unserer Finsternis (vgl. Joh 1,4.5). Vor allem darum geht es.
Dem Kind von Bethlehem und dem Jungen in Nazareth dürfte die Macht militärischer Besatzung genauso vertraut gewesen sein wie Anfeindungen wegen Seiner Religion. Die Nöte des Alltags hat ER vermutlich genauso erlebt wie die Freude und die Hoffnung aus einem lebendigen Glauben. Seine späteren Gleichnisse und Predigten erzählen ja davon. ER ist angekommen, wohnt unter uns (vgl. Joh 1,14). Auch darum geht es.
Ein jüdisches Baby zwischen palästinensischen Hirten
Dass unser Christ-Sein biographisch gewissermaßen damit beginnt, dass dieser Jesus von Nazareth, den wir als den Christus, den Heiland und Erlöser glauben, im Heiligen Land geboren ist, als jüdisches Baby zwischen palästinischen Hirten und Schafen, vielleicht ist das in der Advents- und Weihnachtszeit im Jahr 2023 umso wichtiger. Es geht dabei weder um populistische Romantik noch um blauäugige Nivellierung, geschweige denn um paternalistische Vereinnahmung. – Es geht schlicht darum, dass Jesus dieses Land und seine Menschen kennt. Vielleicht kommt dieses Land uralter Konflikte religiöser, politischer und wirtschaftlicher Färbung nie zur Ruhe, vielleicht ist ihm der Friede, von dem viele seiner Lieder singen, nicht vergönnt. Vielleicht. Aber wo sonst, wenn nicht hier? Vielleicht gerade hier! Denn das ist die Hoffnungsmelodie der Heiligen Nacht!
Gott, Sein Wort der Ewigkeit und Wahrheit, kommt mitten unter den Menschen in diesem Land an: bei Hirten und Weisen, Sünderinnen und Zöllnern, Schriftgelehrten und Legionären, Aussätzigen und Hungrigen, Kindern und Frauen und Männern.
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Einer unserer arabisch-christlichen Mitarbeiter sagt: "Wir sind doch aufeinander angewiesen, auch wirtschaftlich. Die brauchen uns und wir brauchen die." – Und eine jüdisch-israelische Freundin meint: "Wir werden bleiben, und sie werden bleiben. Wir müssen einen Weg finden, miteinander zu leben." – Das klingt noch nicht besonders wertschätzend. Aber es ist ehrlich und wahrhaftig, realistisch und pragmatisch. Und es ist ein Anfang: Den Anderen ankommen zu lassen, den Anderen als angekommen zu akzeptieren.
Menschen Seines Wohlgefallens (vgl. Lk 2,14)? Ich hoffe es so sehr! Und wenn wir durch die Gassen dieser Adventstage gehen, bete ich besonders dafür, dass wir Menschen mit Gottes Hilfe zusammen und miteinander ankommen dürfen: In Gottes Schutz und Geborgenheit, in Seinem Licht und Seiner Wärme, in Seiner Gerechtigkeit und Seinem Frieden.
Der Autor
Pater Basilius Schiel ist Prior der Dormitio-Abtei der Benediktiner in Jerusalem.
Adventszeit neu erleben: #TrueChristmasFeelings
Der Advent ist mehr als nur ein Countdown bis Weihnachten. Es ist eine Zeit der Besinnung, der Freude, aber auch der Melancholie. In unserem Adventskalender begleiten wir Sie durch diese besondere Zeit.