Ein Erzbischof steht im Regen
"Der Marsch bietet Gelegenheit, für das Gut der Ehe in unserer Nation einzustehen, für die Richter des Verfassungsgerichts zu beten", schrieb Cordileone. Daheim in seinem Erzbistum San Francisco gibt es nicht wenige Gläubige, die für etwas anderes beten: Dass Papst Franziskus Cordileone versetzt. Das legt die ganzseitige Anzeige nahe, die vergangene Woche Donnerstag die Leser der "San Francisco Chronicle" im Hauptteil der Zeitung begrüßte. Unter der Überschrift "Ein respektvoller Appell an Papst Franziskus von der katholischen Gemeinde in San Francisco" fordern die einhundert Unterzeichner die Abberufung des unerschrockenen Streiters für traditionelle Werte.
"Heiliger Vater", heißt es in dem offenen Brief, "bitte ersetzen Sie Erzbischof Codileone." Zu den lokalen Prominenten, die das Schreiben unterzeichnet haben, gehören einflussreiche Laien wie der ehemalige Direktor der Catholic Charities, Clint Riley, das ehemalige Mitglied des Finanzbeirats Gene Valla, der Vater von Baseball-Star Tom Brady und der einflussreiche Anwalt Michael Kelley.
Kardinal pocht auf Einhaltung der Sexualnormen
Die Anzeige war der bisherige Höhepunkt einer Welle an Protesten, die über das Erzbistum hereinbrach, seit Cordileone Anfang Februar die Beschäftigten der katholischen Schulen in seinem Bistum mit einer neuen Richtlinie auf die Einhaltung der Sexualnormen der Kirche per Unterschrift verpflichten wollte.
In dem Dokument, dessen Inhalt ab kommenden Schuljahr Bestandteil der Handbücher für die rund 500 Lehrer und Beschäftigten an den Bildungseinrichtungen wird, heißt es, alle sexuellen Beziehungen außerhalb der Ehe seien "ernsthaft böse". Ausdrücklich führt das Dokument als Beispiele Ehebruch, Selbstbefriedigung, Vielweiberei, das Betrachten von Pornographie und homosexuelle Beziehungen an. Genauso bewertet werden Empfängnisverhütung sowie "künstliche Reproduktionstechniken" und menschliches Klonen. Erzbischof Cordileone erläuterte in einem Begleitschreiben an die Lehrer, es gehe nicht darum, jemanden aus dem Lehrkörper auszugrenzen, sondern "dem enormen Druck der Gegenwartskultur" etwas entgegenzusetzen.
"Es gibt genügend Hass in der Welt"
Innerkirchliche Kritiker der Verhaltensrichtlinie beanstanden vor allem einen "verletzenden Ton" des Dokuments, das im Gegensatz zu der Inklusions-Botschaft von Papst Franziskus stehe. 80 Prozent der Beschäftigten lehnten es ab, die Verpflichtung zu unterschreiben.
Ende März demonstrierten Hunderte Schüler und Eltern der katholischen Schulen unter dem Motto "Lehr Akzeptanz" für eine annehmende Kirche. "Es gibt genügend Hass in der Welt", zitiert die "San Francisco Chronicle" Mary Petrini, Mutter eines Kindes an einer katholischen Schule. "Wir brauchen nicht mehr davon."
Dass Erzbischof Cordileone darüber hinaus den Pfarrer der "Star of the Sea"-Gemeinde Joseph Illo schützt, der Mädchen vom Ministrantendienst ausgeschlossen hat, sehen die Unterzeichner des Schreibens an den Papst auf einer Linie mit "der absoluten Gemeinheit", die aus dem Moralkodex spreche.
Das Erzbistum reagierte pikiert auf die ganzseitige Anzeige. Es sei "eine grobe Fehlinterpretation", dass die Unterzeichner behaupteten, "für die katholische Gemeinde von San Francisco zu sprechen", heißt es in einer Stellungnahme zu dem offenen Brief.
So oder so dürfte der Erzbischof nicht viel zu befürchten haben. Dass der Vatikan Bischöfe auf Drängen der lokalen Gemeinde abberuft, wäre alles andere üblich. Die Katholiken in der Stadt der brüderlichen Liebe dürften sich nach Rückkehr Cordileones von der Demo in Washington gewiss noch eine Weile an ihrem Erzbischof reiben.
Von Thomas Spang (KNA)