Psychologin: Priesteramtskandidaten sollten auf Psychohygiene achten
Seit 2016 gibt es im Recollectio-Haus der Abtei Münsterschwarzach ein Mentoring-Programm für angehende Priester und Ordensleute. Ab dem kommenden Jahr wird das Konzept um einen Gruppenkurs erweitert. Was damit erreicht werden soll und vor welche psychischen Herausforderungen Kandidatinnen und Kandidaten heute stehen, erklärt die Psychologische Psychotherapeutin und Leiterin des Recollectio-Hauses Corinna Paeth im katholisch.de-Interview.
Frage: Frau Paeth, ab 2024 bietet das Recollectio-Haus den Kurs "Systematische Standortbestimmung" an. An wen richtet sich der Kurs?
Paeth: Dieser Kurs richtet sich vorwiegend an zukünftige Ordensleute und Priesteramtskandidaten. Bis zu sechs Kandidatinnen und Kandidaten können für den einwöchigen Kurs zu uns ins Haus kommen.
Frage: Was ist das Neue daran?
Paeth: Die Elemente, die wir seit 2016 in der bisherigen Standortbestimmung integrieren, behalten wir bei – also das psychologische Einzelgespräch, das geistliche Einzelgespräch und die Bearbeitung von psychologischen Fragebögen. In diesen Gesprächen bekommen wir jede Menge Informationen über die Kandidatin oder den Kandidaten, um schauen zu können, was es braucht, damit der Übergang in die neue Lebensform gut gelingen kann. Bisher hatten wir aber keine Möglichkeit, das, was wir gehört haben, auch zu erleben und zu überprüfen. Das soll sich mit dem Gruppenangebot ändern. Mit dem neuen Programm wollen wir daher auch auf die Softskills schauen, auf die sozialen Kompetenzen, die Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit, denn erst in der Interaktion mit anderen zeigt sich, wie ein Mensch sich verhält. So können wir unsere Eindrücke in den Auswertungsgesprächen auch wesentlich gehaltvoller vortragen.
Frage: Wer hat sich denn bisher für diese Standortbestimmung bei Ihnen gemeldet?
Paeth: Bislang waren es Priesteramtskandidaten aus unterschiedlichen Diözesen Deutschlands, aber auch Postulantinnen und Postulanten oder Novizinnen und Novizen verschiedener Orden. Die Oberen der Ordensgemeinschaften oder die Regenten von Priesterseminaren haben sich dann bei uns gemeldet mit der Bitte, eine solche Standortbestimmung vorzunehmen. Am Ende haben wir dann die Möglichkeit, in einem Gespräch mit dem Kandidaten und den verantwortlichen Personen zu schauen, was es braucht. In vielen Ordensgemeinschaften gehört diese Standortbestimmung mittlerweile zum Standard, bevor jemand aufgenommen wird. Das ist also nicht auf eine bestimmte Person bezogen, bei denen man vielleicht irgendwelche Verhaltensmuster beobachtet hat, die zu Konflikten führen könnten.
„Es braucht also eine gewisse Frustrationstoleranz, aber auch ein hohes Maß an sozialer Kompetenz, um mit Mitschwestern und -brüdern zurechtzukommen, die einem vielleicht auf den ersten Blick nicht so sympathisch sind.“
Frage: Ist es nicht eigentlich die Aufgabe der Priesterseminare und Ordensgemeinschaften, ihre Kandidatinnen und Kandidaten selbst zu begutachten und auf ihre Eignung hin zu prüfen, bevor sie eintreten oder geweiht werden? Warum braucht es solche Kurse zur Standortbestimmung?
Paeth: Natürlich gehen die Einrichtungen ihrer Verantwortung nach. Die Verantwortlichen stehen ja ohnehin in engem Kontakt zu den eigenen Kandidatinnen und Kandidaten. Unsere Aufgabe ist der psychologische Blick von außen auf die Person.
Frage: Wo liegt konkret der Unterschied zwischen Ihrem Angebot und der Begutachtung im Priesterseminar oder der Ordensgemeinschaft?
Paeth: Wir selbst führen keine Begutachtung durch. Es sind eher Anregungen und Empfehlungen, die wir in einem gemeinsamen Gespräch mitgeben wollen. Wir schreiben auch keine Gutachten, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass ein schriftliches Gutachten, in dem auch psychologische Fachbegriffe verwendet werden, missverstanden werden könnte. In einem Auswertungsgespräch haben wir dagegen die Chance, auf mögliche Fragen oder Kommentare direkt einzugehen, um Fehlinterpretationen oder Missverständnisse direkt zu vermeiden.
Frage: Warum ist dieser Blick von außen denn besonders wichtig? Gerade im Bereich der Orden leben die Kandidatinnen und Kandidaten ja sowieso in der Gemeinschaft. Wenn da intern alle gut miteinander auskommen, ist doch eigentlich alles in Ordnung, oder?
Paeth: Viele Ordensgemeinschaften haben keine Psychologen, die spezifisch psychologisch schauen können, wie die Persönlichkeitsstruktur einer Kandidatin oder eines Kandidaten aussieht oder ob es gewisse Dinge in der Prägungsgeschichte gibt, die auch später noch zu einer Beeinträchtigung des Gemeinschaftslebens führen könnten. Ein Psychologe hat hier die Möglichkeit, genauer einzuschätzen, worauf geachtet werden sollte, ob es beispielsweise weitere psychologische Beratungsgespräche braucht, oder ob die Person mehr Möglichkeiten des Rückzugs und Freiraums braucht oder mehr Struktur oder Anleitung.
Frage: Welche – gerade auch psychischen Herausforderungen – haben denn Kandidatinnen und Kandidaten für das Ordensleben heute?
Paeth: In einer Ordensgemeinschaft ist man ja nicht unbedingt nur mit Freunden zusammen, sondern man tritt einer Gemeinschaft bei, die schon existiert und schon seit längerer Zeit zusammenlebt. Da kann es schon sein, dass man mit der einen oder anderen Person vielleicht nicht so klarkommt und warm wird. So ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Konflikte entstehen. Es braucht also eine gewisse Frustrationstoleranz, aber auch ein hohes Maß an sozialer Kompetenz, um mit Mitschwestern und -brüdern zurechtzukommen, die einem vielleicht auf den ersten Blick nicht so sympathisch sind.
Frage: Und Priesterkandidaten?
Paeth: Auch für das Amt des Priesters braucht es sehr viel innere Stärke und soziale Kompetenz. Die kritischen Themen, die jetzt in der katholischen – aber auch in der protestantischen – Kirche herrschen, können einen sehr mitnehmen. Das sind beispielsweise die Erweiterung pastoraler Räume und damit verbunden die Übernahme von bürokratischen und verwaltungstechnischen Aufgaben oder die Auseinandersetzung mit der Missbrauchskrise, die Frustration von Gemeindemitgliedern oder die abnehmende Zahl kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sodass immer mehr Aufgaben für den Priester anfallen. Das alles kostet sehr viel Kraft und Energie. Deshalb sollten Priesteramtskandidaten sehr genau schauen, was es zur eigenen Psychohygiene braucht, um diesem Amt gerecht zu werden.
Frage: Wann ist ein Punkt erreicht, an dem Sie einer Kandidatin oder einem Kandidaten davon abraten, den Weg in ein geistliches Leben anzutreten?
Paeth: Wir raten weder ab, noch sagen wir, dass das auf jeden Fall der richtige Weg ist. Wir schauen, welche Ressourcen schon vorliegen und welche noch weiter aufgebaut oder geschaffen werden müssen, damit der Lebensweg auch funktionieren kann. Wir geben etwas mit auf den Weg, die Entscheidungen müssen dann die Regenten oder Oberen treffen.
Frage: In den vergangenen Jahren ist – gerade auch auf dem Synodalen Weg – vielfach über Reformen des Priesteramts gesprochen worden. Welche Reformen bräuchte es aus Ihrer Sicht als Psychologin, damit das Amt weniger belastend ist?
Paeth: Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch für sich selbst entscheiden können sollte, ob er oder sie in der Lage ist, für eine gewisse Zeit einer zölibatären Lebensform nachgehen zu können. Das heißt, dass es keinen reinen Pflichtzölibat geben sollte, sondern dass jeder diese Entscheidung für sich selbst treffen können sollte. Es sollte auch die Möglichkeit geben, diese Entscheidung nach einer gewissen Zeit noch einmal für sich zu reflektieren und zu evaluieren, wenn man die Entscheidung für eine zölibatäre Lebensform eingeschlagen hat, ob man in Anbetracht der gemachten Erfahrungen auch weiterhin zölibatär leben kann.
Der Kurs "Entscheidungshilfe für Geistliches Leben
Der einwöchige Kurs "Entscheidungshilfe für Geistliches Leben" im Recollectio-Haus in Münsterschwarzach findet an folgenden Terminen statt: 24. Juni 2024 bis 28. Juni 2024, 12. Mai 2025 bis 16. Mai 2025 und 06. Oktober 2025 bis 10. Oktober 2025.