Medienmensch, Auge des Konzils und Stimme der Kirchen-Reform

Mario von Galli: Jesuit mit Verstand, Humor und heiligem Zorn

Veröffentlicht am 04.12.2023 um 00:01 Uhr – Von Alexander Brüggemann (KNA) – Lesedauer: 
Mario von Galli und Kardinal Döpfner
Bild: © KNA

Zürich ‐ Papst Benedikt XVI., Ende 2022 gestorbener Big Player des Zweiten Vatikanums, unterschied zwischen dem "wahren Konzil" und einem verzerrten "Konzil der Medien". Mario von Galli ist einer, der an beiden teilnahm und beide mitprägte. Ein Porträt.

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Wenn ein scharfer Verstand, Glaubensstärke und Humor zusammenkommen, hat die Kirche gute Chancen auf eine prophetische Existenz. Der Konzilspapst Johannes XXIII. war so einer, der Befreiungstheologe und Erzbischof Helder Camara aus Brasilien – oder Mario von Galli. Der Jesuit und Journalist (1904-1987) erreichte mit seinen treffenden Analysen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) ein Millionenpublikum. Spannend wäre, einen wie ihn auch zum synodalen Reformprozess von heute zu hören.

Mario von Galli war alles andere als ein Mann von Furcht. Geboren wurde er am 20. Oktober 1904 in Wien; doch war der gesamte deutsche Sprachraum seine Heimat. Den Nationalsozialisten bot er schon bald nach seiner Priesterweihe 1933 mit Herz und Witz die Stirn. Hoch gebildet durch sein Studium in Rom, in Österreich, Deutschland und den Niederlanden, war er ein wacher Beobachter der Zeitläufte.

In seiner Stuttgarter Zeit predigte er dergestalt gegen das NS-System, dass er 1935 Redeverbot erhielt und als Ausländer des Landes verwiesen wurde. Als er erfuhr, dass er bei seiner Ausreise an der Schweizer Grenze windelweich geprügelt werden sollte, verlegte Galli die Reise kurzerhand vor, überraschte den Grenzbeamten und überredete ihn, in die Akte "Alles ordnungsgemäß erledigt" einzutragen und ihn seiner Wege ziehen zu lassen.

Katholische Publizistik

Die Jahre der braunen Diktatur verbrachte er in Zürich als Prediger, Redner und theologischer Schriftsteller und verfasste dort – unter Pseudonym – 1939 auch ein Buch mit durchaus christlich-antisemitischen Tendenzen. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren folgte ein Intermezzo in Karlsruhe. Doch schon 1949 kehrte Galli nach Zürich zurück, um dort von 1954 bis 1972 als Chefredakteur die renommierte theologische Reformzeitschrift "Orientierung" zu verantworten.

Sein wichtigstes Talent allerdings war die Rede. Galli als Prediger und Redner war eine Naturgewalt – nicht durch Pathos und große Geste, sondern durch die Kraft seiner Persönlichkeit; die Art, wie er den Einzelnen packen konnte: bei seiner Ehre, bei seiner Frömmigkeit oder seinem gesunden Menschenverstand. Pomp und sinnlose Strukturen erzeugten bei ihm heiligen Zorn. Als er einmal polterte, der päpstliche Hof müsse weg und dem Papst sei immer auch ein Hofnarr beizugeben, bemerkte ein Kommentator, Galli sei doch eigentlich selbst der beste Kandidat.

Mit Kardinälen voll besetztes Kirchenschiff
Bild: ©KNA

Mario von Galli war journalistischer Beobachter beim Konzil. Er notiert: "Die Masse brachte es mit sich, dass die Bischöfe weniger feierlich umsorgt waren. Sie mussten dem vom Wind verwehten Käppi selber nachlaufen, mitten am Petersplatz die Kleider wechseln; sie konnten sich nicht verstecken, wenn sie eine Zigarette rauchen wollten; sie sanken todmüde im Restaurant in einen Sessel und wurden nicht anders bedient als die Dame nebenan."

In der Tat brachte er dafür hervorragende Eigenschaften mit, wie sich sein Ordensbruder und Weggefährte Ludwig Kaufmann (1918-1992) Ende 1987 an seinem Grab erinnerte. Noch mit über 80 Jahren trug Galli am liebsten Jeans – und konnte sich dennoch so nobel wie unbefangen auch unter den ganz Großen bewegen. Er beherrschte die Klaviatur der Ansprache: so brüllend und engagiert, "dass mancher Pfarrer Angst bekommen mochte, ob da nicht etwas abbröckelte ... von allem möglichen Firlefanz an der Kirche". So leise und hoffnungsfroh, dass auch der letzte Zuhörer sich etwas mit- und vornehmen konnte. So humorvoll und doppelbödig, dass man verstand: Jaja, so läuft das Spiel.

Galli war Hauptprediger bei mehreren Katholikentagen. Seine größte Stunde aber schlug mit dem Konzil. Der Jesuit mit der kraftvollen Stimme, den wachen Augen und dem "neuen Klang" wurde Berichterstatter deutscher und österreichischer Rundfunksender in Rom. Mit seinen Kommentaren wurde die Zeitschrift "Orientierung" im deutschen Sprachraum zu einem Organ des reformorientierten Katholizismus - wie später auch Sprachrohr lateinamerikanischer Befreiungstheologen mit weltweiter Beachtung. Zudem war Galli häufig Sprecher des "Wort zum Sonntag" und Autor und Mitherausgeber der Freiburger Wochenzeitschrift "Christ in der Gegenwart". An das Konzil erinnerte er sich 20 Jahre später als "eine aufregende und herrliche Zeit, geprägt von Zuversicht und Hoffnung".

In seinen letzten Monaten begleitete Galli, den kritischen Beobachter, die Sorge. So erinnerte sich Ludwig Kaufmann, dass er am Ende ein Prophet sein würde, der keine Spuren hinterlässt, dessen Wort und Urteil im Wind verwehen. Auch wenn er nicht über die Anhängerschaft und den Kultstatus eines Ratzinger oder Küng verfügte: Mario von Galli ist eine feste Größe in der deutschsprachigen Theologie und Kirche des 20. Jahrhunderts. Als Konzilsberichterstatter ermunterte er zum Glauben und Hoffen, "und er konnte das, weil er selber munter war".

Von Alexander Brüggemann (KNA)