Beziehungsstatus kompliziert: Das Konzil und die Frauen
Am 11. Oktober 1962 eröffnete Papst Johannes XXIII. (1958-1963) das Zweite Vatikanische Konzil. In den Petersdom zogen mehr als 2.000 Männer in langen Roben. Frauen sind auf den Bildern von damals dagegen nicht zu sehen. Zu deren Fehlen sagte Kardinal Léon-Joseph Suenens in einem Beitrag: Wenn ihn nicht alles täusche, werde die Hälfte der Menschheit bei der Kirchenversammlung nicht repräsentiert. Die Bonner Kirchenhistorikerin Gisela Muschiol und die Kirchenhistorikerin Regina Heyder haben den Einfluss von Frauen auf das Konzil erforscht. Im Interview berichtet Muschiol von ihrer Forschung und blickt auf die Kirche vor und nach dem Konzil – und auf die Agenda für ein drittes Vatikanum.
Frage: Frau Professorin Muschiol, wo standen Frauen am Vorabend des Konzils?
Muschiol: Die gesamte gesellschaftliche Situation vor dem Konzil ist für Frauen eine andere. In den 1950ern kommen Frauen wieder in die Berufstätigkeit. Dazu muss aber der Ehemann seine Zustimmung geben. Doch bis Anfang der 1960er haben Frauen gesellschaftlich keine Chance auf bedeutsame Rollen. In der Bundesrepublik werden zu dieser Zeit mühsam die Gleichheitsgrundsätze des Grundgesetzes durchgesetzt. Die erste Bundesministerin überhaupt musste durch einen Sitzstreik der CDU-Frauen erkämpft werden.
Frage: Und wie sieht es in der Kirche aus?
Muschiol: Hier ist diese Ungleichheit noch extremer. Die Kirche vor dem Konzil ist auf den rein männlichen Klerus ausgerichtet. Vor und in der Konzilszeit engagieren sich Frauen in der katholischen Kirche sehr stark, sie haben aber überhaupt keine Rechte. Wenn wir von den heutigen Möglichkeiten ausgehen: Es gibt keine Kommunionhelferinnen, es gibt auch keine Lektorinnen. Frauen haben im Altarraum nichts verloren. Ihr Platz ist klar definiert. Von einer Frau als Chefin einer kirchlichen Personalabteilung kann Frau vor dem Konzil nicht mal träumen.
Frage: Also Kinder, Küche, Kirche?
Muschiol: Nicht mehr ganz. Mit Erlaubnis des Mannes konnten Frauen berufstätig sein. Und sie hatten durchaus eine beträchtliche Macht in den Gemeinden, weil sie seit dem 19. Jahrhundert in Verbänden organisiert waren. Je nach Region waren das Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) und der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB). Diese Verbände sind eine Größe, an der niemand vorbeikann. Die katholischen Frauen merken im Laufe der Zeit, dass sie eine Widerstandsmacht besitzen und dass sie quantitativ großes Gewicht haben. Sie werden keinen Pfarrer finden, der ohne seine Frauen- und Müttergemeinschaft etwas tun konnte, wenn die etwas nicht wollen.
Frage: Johannes XXIII. bezeichnete während des Konzils die Frauenbewegung als Zeichen der Zeit. Im Vorfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils wurden allerorten Erwartungen gesammelt. Wie sah es bei den Frauen aus?
Muschiol: In unserem Forschungsprojekt haben wir uns vor allem mit den bundesdeutschen und österreichischen Quellen beschäftigt. Besonders bemerkenswert sind die Eingaben der Katholischen Frauenverbände an das Konzil. Diese Eingaben betreffen die Themen Ökumene, Kirche, Priesteramt, Diakonat, Zölibat, die Rolle der Laien und vor allem ein Thema, das in den 1960ern sehr präsent ist, nämlich die Frage nach Ehe und Verhütung. In den Quellen ist immer von der "Ehenot" die Rede. Die Selbstbestimmung der Eheleute im Blick auf die Geburtenregelung ist ein Thema, von dem die Frauenverbände wünschen, dass es auf dem Konzil behandelt wird. Dazu zählt auch die Frage nach konfessionsverbindenden Ehen, die zu dieser Zeit noch ein großes Problem waren und die in einem gemischtkonfessionellen Land wie Deutschland nach den konfessionellen Verwirbelungen durch Flucht und Vertreibung deutlich mehr wurden. Wenn man sich diese Eingaben ansieht, dann kann man daran sehr deutlich sehen, dass Frauen eine andere Rolle einnehmen wollten. Dabei beziehen sie sich auf Johannes XXIII., der in der Frauenfrage vielleicht weitsichtiger war, als er selbst dachte.
Frage: Haben sich nur die großen Verbände an der Konzilsvorbereitung beteiligt?
Muschiol: Nein, es gibt zum Beispiel Eingaben aus der Benediktinerinnenabtei Eibingen. Diese Eingaben der Ordensfrauen atmen den gleichen Geist: Sie wollen eine größere Gleichheit, wie sie sich auch in der Gesellschaft entwickelt. Die Benediktinerinnen beziehen die Frage der Gleichheit auf ihren Konvent: Abschaffung der Unterschiede zwischen Chorschwestern und Laienschwestern. Das ist ein bemerkenswertes Zeichen von Nachdenken über Gleichheit und Ungleichheit. Auch die Ämterfrage spielt in den Eingaben eine Rolle. Die Frage nach Diakonat für Frauen ist ebenso präsent – bis hin zur Forderung, das Priesteramt für Frauen zu öffnen – hier sind besonders die Schweizer Juristin Gertrud Heinzelmann und die süddeutsche Theologin Josefa Theresia Münch mit ihren Eingaben zu nennen.
Frage: Wie ging man in Rom mit Eingaben und Forderungen der Frauen um? Der damalige Bamberger Erzbischof Josef Schneider hielt es beispielweise für einen zu verurteilenden Irrtum, dass Frauen und Männer gleichberechtigt seien. Sechzig Jahre später werden Frauen vor St. Peter verhaftet, die für Frauenrechte demonstrieren…
Muschiol: In Rom hat man natürlich nur Eingaben von Bischöfen, Fakultäten und Äbten erwartet. Man kam in Rom nicht auf die Idee, dass Laien Eingaben zum Konzil schicken könnten. Die Kurie plante ein kurzes Konzil, auf dem von ihr vorbereitete, größtenteils in der traditionellen Theologie verfasste Dokumente abgenickt würden. Umso erstaunlicher war es für die Konzilsorganisatoren, dass sich plötzlich Laien zu Wort meldeten. Sehr viele Eingaben kamen aus dem hoch organisierten Verbands- und Vereinswesen in Deutschland, sie finden ihren Weg in die Kommissionen.
Frage: Welchen Einfluss hatten Frauen auf dem Konzil?
Muschiol: Der Einfluss ist immer erst auf den zweiten Blick wahrnehmbar. Manche Bischöfe nehmen die Eingaben eher widerwillig zur Kenntnis, andere halten Reden, die in Absprache mit Frauenverbänden geschrieben wurden. Es gibt deutsche Katholikinnen, die für Konzilsbischöfe arbeiten, aber keine einzige Frau hat eine offizielle Zulassung als Konzilsberaterin. In der dritten und vierten Konzilsperiode werden Frauen als Auditorinnen zugelassen. Das sind aber, wenn man sich die Lebensläufe dieser Frauen anschaut, überwiegend Ordensfrauen oder ledige Frauen. Die Erfahrung, die die meisten Katholikinnen einbringen würden, die als Ehefrau oder Mutter, ist auf dem Konzil so gut wie nicht repräsentiert.
Frage: Das heißt: Frauen kamen erst gegen Ende überhaupt in die Konzilsaula hinein?
Muschiol: Als Journalistinnen sind einige von Anfang an dabei – und berichten danach über durchaus zwiespältige Erfahrungen. Aber als Auditorinnen, also Hörerinnen, erst in der dritten und vierten Konzilsperiode. Das Bewusstsein, dass da etwas nicht stimmt, ist zwar da. Es gibt zu Beginn der zweiten Konzilsperiode die Rede Kardinal Suenens‘, in der er Auditorinnen vorschlägt mit dem Hinweis "da – wenn ich mich nicht irre – Frauen die Hälfte der Menschheit ausmachen" dafür gibt es sogar (unerlaubten) Applaus in der Konzilsaula. Aber der Tanker Kirche ist viel zu groß, zu schwerfällig und auch in seinem Denken nicht beweglich genug, um in einer solchen Konzilssituation einschneidende Veränderungen durchzusetzen.
Frage: Was hat sich für Frauen in der Kirche nach dem Konzil geändert?
Muschiol: Das Thema Gleichberechtigung ist heute überall präsent. Es gibt Frauen im Hauptamt der "Organisation Kirche" als Hauptabteilungsleitung oder im pastoralen Dienst. Der "Generalsekretär" der Deutschen Bischofskonferenz ist eine Theologin. Auch im Ehrenamt gibt es mittlerweile Frauen mit liturgischen Aufgaben wie Kommunionhelferinnen und Lektorinnen. In manchen Diözesen können Pastoralreferentinnen eine bestimmte Form von Gemeindeleitung übernehmen. Sobald wir aber an die Amtsfrage kommen, gibt es keine Gleichberechtigung. Es wird theologisch negiert, dass die Amtsfrage eine Frage der Gleichberechtigung ist. Da wo es ans Arbeiten geht, nähern wir uns gleichberechtigten Strukturen, da wo es ans Amt oder die Entscheidungskompetenz geht, haben wir sie nicht.
Frage: Hatten die Konzilsmütter eine andere Hoffnung? Wären sie zufrieden?
Muschiol: Zum Teil. Die große Enttäuschung kam ja schon nach dem Konzil in der drängenden Frage nach der Verhütung. Sie wurde mit Humanae Vitae nicht im Sinne der Familien und der Konzilseingaben der Frauen, sondern restriktiv entsprechend der Minderheitenmeinung, entschieden. Was die Rolle der Frauen in der Liturgie angeht, könnten sie vielleicht zufrieden sein, mit Blick auf ein neues Verständnis der Eucharistie als gemeinsamer Feier der Gemeinde – nicht als reiner Vollzug eines Priesters. Aber natürlich nicht, wenn es um Leitung der Liturgie angeht, wenn es um Leitungsämter insgesamt geht.
Frage: Und was steht auf der To-Do-Liste für ein III. Vatikanum?
Muschiol: Auf der einen Seite die Gleichberechtigung im Amt und in Leitungspositionen, in der Kirche generell, denn theologisch ist das doch deutlich komplexer als es manch ein päpstliches Schreiben wahrhaben möchte, und auf der anderen Seite: eine Fülle moraltheologischer, ethischer Fragen. Und es bleibt die Grundfrage, warum es noch immer vorkommt, dass Männer glauben, sie könnten "das" Wesen "der" Frau definieren, ohne wahrzunehmen, dass es nicht einen Typus Frau, sondern viele, unterschiedliche Frauen gibt und diese sich durchaus selbst definieren können, wenn das überhaupt nötig sein soll.
Linktipp
Welche Rolle spielten Katholikinnen auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil? Was waren die Erwartungen katholischer Frauen an das Konzil? Welche Rolle spielten Frauen in der Konzilsaula, aber auch rundherum, als Mitarbeiterinnen, als Gastgeberinnen und als Beraterinnen von Konzilsvätern? Diesen Fragen geht der 2018 erschienene Band "Katholikinnen und das Zweite Vatikanische Konzil: Petitionen, Berichte, Fotografien" nach.