Exeget Christoph Dohmen über das Alte und das Neue Testament

Zweigeteilte Einheit

Veröffentlicht am 28.04.2015 um 00:30 Uhr – Von Von Christoph Dohmen – Lesedauer: 
Theologie

Regensburg  ‐ Nach dem Theologen-Streit in Berlin: Der Regensburger Alttestamentler Christoph Dohmen erklärt in einem Gastbeitrag, warum das Neue Testament nicht ohne das Alte existieren kann.

  • Teilen:

Das Christentum hat eine einzigartige und eigenartige Heilige Schrift. Die Bibel der Christen ist nämlich eine zweigeteilte Einheit, deren erster und größter Teil, das sogenannte Alte Testament, zuvor schon Heilige Schrift einer anderen Religion, des Judentums, war und dies auch weiterhin ist. Diese Besonderheit der christlichen Bibel ist kein Produkt einer theologischen oder gar kirchlichen Entscheidung, sondern Zeugnis der Entstehung des Christentums und des Selbstverständnisses der frühen Christen. Das Christentum ist im Judentum entstanden (Jesus ist nicht nur als Jude geboren worden, sondern auch als solcher gestorben) und das älteste und wichtigste christliche Bekenntnis, "Jesus Christus" (d.h. Jesus ist der Christus), stellt eine Identifizierung in der Form dar, dass der zu Bekennende (Jesus) von einem Bekannten, dem Messias (griechisch: Christos/Christus) erklärt wird. Das Bekenntnis zu Jesus als den Christus/Messias setzt die Bibel Israels voraus, denn nur von ihr her kann man überhaupt wissen, wer und was dieser "Gesalbte", der Messias/Christus, ist.

Bild: ©privat

Christoph Dohmen ist Professor für biblische Theologie an der Universität Regensburg.

Markion forderte eigene Schrift für Christen

Mindestens ein Jahrhundert lang haben die Christen "nur" eine einzige Heilige Schrift gekannt und benutzt, nämlich die Heilige Schrift aller Juden. Über einen Kanon, das heißt eine Sammlung von verbindlichen Schriften, mussten und konnten die frühen Christen nicht diskutieren oder entscheiden, da sie, wie Jesus und die Jünger, die Bibel Israels ohne irgendwelche Einschränkungen oder Abstriche als Heilige Schrift anerkannten. Der biblische Kanon , sowohl der jüdische wie auch der christliche, ist nicht, wie man früher oft annahm, aufgrund von theologischen Argumenten zusammengestellt oder aus vorhandenen Schriftensammlungen ausgegrenzt worden, vielmehr ist er als Glaubenszeugnis in der Glaubensgemeinschaft gewachsen und als solches weiter überliefert worden.

Die Christusverkündigung wurde allerdings im 1. Jahrhundert nicht nur mündlich weitergegeben, sondern auch schriftlich fixiert. Gleichwohl geschah dies nicht in der Weise, dass die frühen Christen diese Verkündigung als "Heilige Schrift" geschrieben und konzipiert hätten, sondern diese Verkündigung ging von der anerkannten einzigen Heilige Schrift, der Bibel Israels, aus, auf die sich die Evangelisten und Apostel in ihrer Verkündigung immer wieder bezogen haben. Fragt man nun danach, wann, wie und warum es zur zweigeteilten christlichen Bibel gekommen ist, beziehungsweise was dazu geführt hat, dass die Christusverkündigung selbst zur vorhandenen Heilige Schrift hinzugefügt wurde, dann stößt man auf Markion.

Kirche musste ihr Verhältnis zu den Texten Israels klären

Dieser Theologe hat am Beginn des 2. Jahrhunderts nicht das "Alte Testament" verworfen, wie es nach ihm benannte spätere Tendenzen (Markionismus) in der Kirche immer wieder versuchten, da es ein "Altes Testament" zu seiner Zeit ebenso wenig gab wie ein Neues. Markion ging vielmehr in dualistischem Denken davon aus, dass Jesus selbst einen anderen Gott verkündigt habe als den Schöpfergott, von dem die Bibel Israels in ihren Schriften kündet. Deshalb forderte Markion in logischer Konsequenz seiner Annahme, dass das Christentum die Bibel Israels aufgeben und an ihre Stelle eine eigene Schrift setzen müsse. Dazu schlug er eine Sammlung von 10 Paulusbriefen und dem Lukasevangelium vor, wobei alle Bezüge zur Bibel Israels aus diesen Schriften entfernt werden sollten.

Markions Vorschlag bestätigt indirekt Geltung und Autorität der Bibel Israels in der frühen Kirche, denn "Markions Bibel" ist nicht durch Reduktion eines vorliegenden neutestamentlichen oder gar alt- und neutestamentlichen Kanons zustande gekommen, sondern erstmals als verbindliche Urkunde entworfen worden. Die Idee einer solchen verbindlichen Urkunde übernimmt er aber von der vorliegenden Heiligen Schrift, der Bibel Israels. Der kühne Vorstoß Markions, die Bibel Israels, die einzige Heilige Schrift des frühen Christentums durch eine Sammlung von Schriften zu ersetzen, die die Christusbotschaft beinhalten und betreffen, hat die Kirche dazu gedrängt, ihr eigenes Verhältnis zur Bibel Israels in Verbindung mit der mündlichen und schriftlichen Christusverkündigung zu klären.

Zur Person

Christoph Dohmen ist Professor für Exegese und Hermeneutik des Alten Testaments an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg.

Sie folgte Markion zwar darin, dass sie die Zeugnisse der Christusbotschaft – Schriften des späteren Neuen Testaments – als Heilige Schrift anerkannt hat, gleichwohl ist diese Anerkennung für sie in absoluter Entgegensetzung zu Markions Vorschlag nur in Verbindung mit der Bibel Israels und nicht losgelöst von ihr denkbar. Die Kirche unterstreicht somit in der zweigeteilten Heiligen Schrift von Altem und Neuem Testament, die sie als Reaktion auf Markion hervorgebracht hat, dass sie den Juden Jesus von Nazareth nur aus der Einheit und Einzigkeit des Gottes verstehen und verkündigen kann, der sich Israel offenbart hat. Dieser Gott, so die Antwort der Kirche auf Markions Vorstoß, ist es auch, der sich in und durch Jesus offenbart hat. Die eine Heilige Schrift der Christen in ihren zwei Teilen hält diesen Glauben an den Gott Israels, den Schöpfer der Welt, den Jesus bezeugt und verkündigt hat, für alle Zeiten unaufgebbar und unumstößlich fest.

Nicht das Neue Testament ist somit die christliche Bibel, sondern die christliche Bibel gibt es nur in der zweieinen Schrift von Altem und Neuem Testament, was auch die Terminologie (Altes und Neues Testament), die der Bibel selbst entnommen ist, festhält. Mit dem Begriffspaar alt – neu wird keine Opposition, sondern eine Korrelation angezeigt. Durch das Korrelationspaar alt – neu wird eine Beziehung bezeichnet, die ausschließlich ist, denn die Wechselbeziehung von alt und neu lässt keine dritte Größe zu. Darüber hinaus hält die Korrelation der Begriffe bleibend die Reihenfolge der beiden Schriftteile fest, insofern das Alte dem Neuen vorausgeht, so dass das Neue Testament immer vom Alten her zu lesen und zu verstehen ist. Anders als das Alte Testament der christlichen Bibel, das als Bibel Israels zuvor ein selbstständiges Buch war, hat es das Neue Testament nie als selbstständiges Buch gegeben.

„Vom Alten Testament her ist das Neue zu lesen.“

—  Zitat: Christoph Dohmen, Professor für biblische Theologie

Kann man von Markion her nachvollziehen, warum die Schriften der Christusverkündigung zur Heiligen Schrift, der Bibel Israels, von den Christen hinzugenommen wurden, so stellt sich für das Verständnis dieser Bibel die Frage, warum die Christen die Bibel Israels nicht einfach um ihre Schriften der Christusverkündigung erweitert haben, sondern die komplexe und komplizierte Konzeption einer zweigeteilten Einheit gewählt haben. Die Antwort auf diese Frage findet man im Rückblick auf die Entstehung der Schriftensammlung der Bibel Israels. Im Ursprung ist diese Bibel auch eine zweigeteilte Einheit aus Tora (den 5 Büchern Mose) und (den Bücher der) Propheten, was aus den alten Bibelbezeichnungen "Mose und die Propheten" oder "Gesetz und Propheten", die vielfach in neutestamentlichen Schriften begegnen, ersichtlich ist.

Von der grundlegenden zweiteiligen Kanonstruktur der Bibel Israels (Tora-Propheten) her findet sich der Schlüssel zum Verständnis der zweieinen christlichen Bibel aus Altem und Neuen Testament. Vom Alten Testament her ist das Neue zu lesen, und "ohne das Alte Testament wäre das Neue Testament ein Buch, das nicht entschlüsselt werden kann, wie eine Pflanze ohne Wurzeln, die zum Austrocknen verurteilt ist", wie es in den Schlussfolgerungen des Dokuments der Päpstlichen Bibelkommission "Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel" (2001) treffend heißt. Dieses lesenswerte Dokument hat die Grundlinien des Verständnisses der Bibel in der katholischen Kirche, die das Zweite Vatikanische Konzil in Dei Verbum herausgearbeitet hat, im Blick auf die zweieine Bibel, die Christen und Juden verbindet und gleichzeitig trennt, mit theologischer Sensibilität herausgestrichen, so dass es sichtbar und verständlich wird, dass das Alte Testament die bleibend gültige Ur-Kunde des christlichen Glaubens ist.

Von Von Christoph Dohmen