Früherer Nuntius wurde vor 150 Jahren geboren

Cesare Orsenigo: Sprachrohr Roms in Nazi-Deutschland

Veröffentlicht am 13.12.2023 um 00:01 Uhr – Von Christiane Laudage (KNA) – Lesedauer: 

Bonn ‐ Er hatte einen schweren Job: Von 1930 bis 1945 vertrat Cesare Orsenigo den Vatikan in Berlin. Damit war er der einzige Diplomat, der sowohl Aufstieg wie auch Fall des "Dritten Reiches" aus nächster Nähe erlebt hat. Vor 150 Jahren kam er zur Welt.

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Er hatte einen wirklich schwierigen Job – und das über eine außergewöhnlich lange Zeit. Der italienische Vatikan-Diplomat und Erzbischof Cesare Orsenigo musste die Interessen der katholischen Kirche in Deutschland vertreten; in einer Zeit, als die Weimarer Republik scheiterte, die Nazis im "Dritten Reich" regierten und dann einen Welt- und Vernichtungskrieg führten – auch gegen die Kirche. Vor 150 Jahren, am 13. Dezember 1873, wurde Orsenigo geboren.

Als der Nuntius 1930 seine Aufgabe in Berlin übernahm, trat er in große Fußstapfen. Sein Vorgänger Eugenio Pacelli war nach Einschätzung des Potsdamer Historikers Thomas Brechenmacher eine Ausnahmegestalt im diplomatischen Dienst des Vatikans – Orsenigo hingegen Normalmaß. Pacelli machte als Nuntius Politik; Orsenigo schickte Berichte aus Berlin an das Vatikanische Staatssekretariat und fungierte als Sprachrohr Roms.

Ein Leichtgewicht?

Und sein Chef, Kardinalstaatssekretär Pacelli, ab 1939 Papst Pius XII., blickte sehr genau nach Deutschland. Er hatte ein besonderes Verhältnis zu dem Land, seit er dort selbst als Diplomat tätig war. Er hielt Orsenigo nach Angaben des US-Historikers David Kertzer für ein Leichtgewicht, wie es auch Adolf Hitler getan haben soll. Auch unter diesem Aspekt war Orsenigos Aufgabe sicher nicht einfach.

Schwach, überfordert und zu NS-freundlich? In der Regel fällt das Urteil über den Apostolischen Nuntius Orsenigo wenig freundlich aus. Damit tue man ihm aber Unrecht, sagt der Potsdamer Professor für Neuere Geschichte, Thomas Brechenmacher, der das Schriftgut des Vatikan-Diplomaten für die wissenschaftliche Forschung bearbeitet hat. Seine Berichte weisen Orsenigo als einen präzisen Beobachter aus, der – beispielsweise in der Beurteilung der Pogromnacht vom November 1938 – die Vorgänge in ihrem Kern erfasste und der römischen Zentrale übermittelte, so der Historiker.

Orsenigo wollte überhaupt nicht in den Diplomatischen Dienst des Vatikans. Nachdem er mit noch nicht mal 20 Jahren 1892 in Mailand ins Priesterseminar eingetreten war, führte er danach sein Wunschleben als Priester und Nebenbei-Wissenschaftler. In der berühmten Mailänder Biblioteca Ambrosiana lernte er deren Präfekten, Achille Ratti, kennen. Als dieser 1922 Papst wurde, hatte das auch für Orsenigos Leben dramatische Folgen.

Eugenio Pacelli,
Bild: ©KNA (Archivbild)

Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., war Orsenigos Vorgänger als Nuntius in Deutschland. Für ihn war sein Nachfolger ein Leichtgewicht, heißt es von Historikerseite.

Denn Pius XI. war der Meinung, ein guter Seelsorger könnte ohne Weiteres auch ein guter Diplomat im Dienst der Kirche sein. Und so holte er seinen Bekannten Orsenigo als Quereinsteiger in den Diplomatischen Dienst. Ohne Einweisung, geschweige denn Sprachkurse, schickte er ihn in das neue Metier; in die Niederlande, dann nach Ungarn. Und dann kam die größte Herausforderung: Am 25. April 1930 wurde Orsenigo Apostolischer Nuntius in Deutschland.

In seiner Amtszeit schrieb oder telegrafierte Orsenigo, je nach Ereignislage, mitunter mehrmals täglich nach Rom. Brechenmacher warnt allerdings davor, einzelne Berichte herauszunehmen, um sie als Beweisstück für oder gegen den Nuntius zu verwenden. Man müsse sie "im Flow" lesen, denn sowohl Orsenigo wie auch Rom hatten nicht sofort ein in Stein gemeißeltes Urteil zu den Nationalsozialisten parat. Im Gegenteil: Wenn man das Material lese, so der Historiker, stoße man auf ebenso klare Einschätzungen wie krasse Fehlurteile. Die Berichte nach Rom wurden oftmals hektisch unter dem Eindruck der aktuellen Lage geschrieben.

Nicht immer spannungsfrei

Im Vatikanischen Apostolischen Archiv sowie im Archiv des Staatssekretariats werden Orsenigos Berichte aus Berlin und die Briefe Pacellis nach Berlin verwahrt – ein Corpus von wenigstens 4.000 Stücken. Brechenmacher hat für eine Datenbank schon Teile des Materials aufbereitet.

Orsenigos Verhältnis zu den Bischöfen in Deutschland war nicht immer frei von Spannungen. Tatsächlich wurde mehrfach der Ruf laut, ihn doch abzuberufen. Doch weder Pius XI. noch Pius XII. gingen darauf ein, denn die Sorge war groß, dass nach einem möglichen Abzug Orsenigos kein neuer Nuntius mehr akkreditiert werden könnte.

So war der Erzbischof 15 Jahre auf dieser schwierigen Stelle im Diplomatischen Dienst tätig. Von den Bombenangriffen zermürbt, siedelte Orsenigo im Februar 1945 nach Eichstätt um. Dort starb er ein Jahr später.

Von Christiane Laudage (KNA)