Tradition endet: Aachener Dom verliert seine Nachtwache
Jede Nacht wurde das Weltkulturerbe Aachener Dom von einem Wächter beschützt, der nach Feuern und Einbrechern Ausschau hielt. Schon in den Brandnächten des Zweiten Weltkrieges hatten junge Menschen ihn mit all seinen historischen Schätzen vor dem Feuer retten wollen. Den Kaiserthron, den Barbarossaleuchter und die über Jahrhunderte gewachsene Architektur.
Im Herbst dieses Jahres endete die Tradition der Wache schließlich – nach 79 Jahren. "Natürlich ist es ein sehr schöner Brauch, es hat ja fast etwas Mystisches, wenn in der Nacht immer jemand im Dom ist. Aber am Ende bleibt eben auch die Frage, wofür geben wir Geld aus", erklärt Dompropst Rolf-Peter Cremer. Immerhin rund 2,6 Millionen Euro habe das Domkapitel in moderne Sicherheitstechnik investiert: in neue Beleuchtung und eine videobasierte Brandmelde- und Alarmanlage. Jetzt noch einen Nachtwächter zu bezahlen sei wirtschaftlich nicht sinnvoll.
"Die menschliche Komponente verschwindet völlig"
An der Entscheidung, eine alte Tradition gänzlich durch neue Technik zu ersetzen, gibt es auch Kritik. "Die menschliche Komponente verschwindet völlig", sagt etwa Peter Kaluza. Der Ingenieur ist Mitglied der Katholischen Studentenverbindung Franconia Aachen. Die Gruppe hatte seit den 50er Jahren die Domwächter gestellt. Damit führten sie eine Tradition weiter, die junge Aachener während des Zweiten Weltkriegs begonnen hatten. Sieben Studenten teilten sich bis zuletzt die Dienste untereinander auf. Sie garantierten 365 Nächte im Jahr einen Wachmann, der Patrouille im Dom lief. "Für die Franconia ist jetzt etwas weggebrochen. Wir haben nicht mehr denselben Bezug zum Dom", meint Kaluza, der selbst kein Wächter, aber viele Jahre Dommessdiener war.
Einer der letzten Wachmänner ist Kaluzas Bundesbruder Alexander Henk. Er bedauere den Wegfall der Tradition, nicht nur im Sinne der Studentenverbindung, sagt er. "Man konnte junge Studenten und deren Freunde damit für den Dom und die Kirche faszinieren, das war in der Form einzigartig." Die Bundesbrüder erklären, die Domwache habe eine besondere Rolle für die Verbindung und ihr Umfeld gespielt. Nicht nur ältere Mitglieder, die früher den Dom beschützt hatten, sondern auch jüngere, die dazu nun keine Gelegenheit mehr bekämen, trauerten der Tradition nach. Viele fühlten sich jetzt vor den Kopf gestoßen, schließlich habe man als Franconia einen Dienst für die Kirche tun wollen.
Zusammen hatten Kaluza und Henk vor dem Ende der Domwache versucht Gespräche mit dem Domkapitel zu führen. Henk äußerte dabei auch Verständnis für dessen Entscheidung: "Ich möchte da nichts gegeneinander aufrechnen. Klar bekamen die Domwächter nur etwa 96 Euro pro Nacht, aber bei Finanzen wird das Domkapitel schon wissen, was es tut." Kaluza schmerzt hingegen die scheinbare Endgültigkeit. Gegenüber dem Domkapitel habe er auch argumentiert, dass Mensch und Technik zusammen vielleicht wirksameren Schutz böten, als Hightech allein. Ideen für eine Fortführung seien in den Gesprächen nicht durchgedrungen. "Wir haben etwa vorgeschlagen nachts Führungen anzubieten", so Henk. Der Vorschlag sei abgelehnt worden.
Dompropst Cremer betont hingegen, er sei kreativen Lösungen gegenüber weiter aufgeschlossen. "Aber das ist nicht so einfach. Irgendwelche Jobs zu erfinden, die man eigentlich nicht braucht, das wäre töricht." Bezüglich der Nachtführungen und ähnlichem müsse man schauen, was in Zukunft möglich sei. Im Sinne der Studenten versuche man, eine andere bezahlte Beschäftigung zu ermöglichen, um ihr Einkommen zu sichern. Bislang sei aber noch nichts Passendes gefunden worden.
Alles in allem hätten die Wachen nichts falsch gemacht, so der Dompropst weiter. Deshalb habe er die Domwache auch im September ordentlich verabschiedet, mit einem Gottesdienst und einem Empfang. Es sei nicht im Interesse des Domkapitels, dass die alten Wächter nun den Dom nicht mehr betreten. Als Dompropst sei er bereit dazu, zu überlegen, wie es weitergehen soll. Kaluza und Henk hoffen jedenfalls weiter darauf, dass die alte Domwache irgendwann, in irgendeiner Form wieder zurückkehrt.