Wie Papst Pius XII. im Kalten Krieg Politik machte
Zum 80. Geburtstag im Sommer 1956 erhielt der erste Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, von Papst Pius XII. eine besondere Auszeichnung: den Orden vom Goldenen Sporn. Der Kölner Kardinal Josef Frings schrieb damals, dass der Bundeskanzler dem Papst als eines der stärksten Bollwerke gegen den Kommunismus gelte.
Simon Unger-Alvi, Historiker und Wissenschaftlicher Programmleiter der internationalen Forschungsgruppe "The Global Pontificate of Pius XII: Catholicism in a Divided World, 1945–1958", sieht mit dieser Ordensverleihung das Bündnis zwischen Kanzler und Papst medienwirksam besiegelt. Er sagt: "Kein Regierungschef oder Staatsoberhaupt in Westeuropa teilte mit der Kirche so viele gemeinsame Interessen wie Konrad Adenauer." In einem Essay über die deutsch-vatikanische Politik zwischen Adenauer und Pius XII. veröffentlicht er erste Ergebnisse.
Die meisten Menschen verbinden mit Pius XII. (1939-1958) die NS-Zeit, den Zweiten Weltkrieg und die Frage, warum der Papst zu den Verbrechen der Nazis geschwiegen habe. Tatsächlich hat Pius XII. nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch rund 13 Jahre die katholische Weltkirche geführt und enormen Einfluss auf die Gestaltung der Nachkriegsordnung genommen.
Erforschung der Nachkriegszeit begonnen
Während bei der Öffnung der Vatikanischen Archive im Frühjahr 2020 die meiste Aufmerksamkeit darauf lag, Erklärungen für das Verhalten des Papstes im Zweiten Weltkrieg zu finden, boten die nun zugänglich gewordenen Archivalien noch weitere Möglichkeiten. Jetzt konnte auch die Erforschung der Nachkriegszeit angegangen werden.
Die Wissenschaftler unter der Leitung von Simon Unger-Alvi wollen seit Anfang 2022 herausfinden, wie Papst und Vatikan auf die großen Fragen der Zeit wie Demokratisierung, Entkolonialisierung oder den Kalten Krieg reagierten. Sie wollen nach eigenen Angaben zeigen, "dass ein angemessenes Verständnis der politischen und kulturellen Rolle des Vatikans von entscheidender Bedeutung ist, um die großen Transformationsprozesse des 20. Jahrhunderts zu erklären".
Zu dem Forschungsteam gehören Wissenschaftler von den Deutschen Historischen Instituten in Rom und Warschau, der Hebräischen Universität in Jerusalem, der Katholischen Universität Löwen, dem Collegium Carolinum in München sowie der Universitäten Oxford und Fribourg an. Sie informieren auf der Website des Forschungsprojektes über ihre Arbeiten, die von Afrika über Lateinamerika reichen, aber auch Deutschland einbeziehen.
Nach Erkenntnissen von Unger-Alvi informierte Adenauer den Vatikan regelmäßig über seine außenpolitischen Absichten und Sorgen. Dabei teilte er, so der Historiker, auch streng geheime nachrichtendienstliche Informationen. Der Vatikan sei Adenauers vielleicht wichtigste außenpolitischer Ansprechpartner gewesen. "Die junge Bonner Republik wurde so zu einem viel engeren Verbündeten Pius' XII. als etwa Italien und Frankreich", so Unger-Alvi.
Papst für die Wiederbewaffnung
In welche Richtung sollte die Bundesrepublik gehen? Pius XII. hatte da klare Vorstellungen. Unger-Alvi stellt fest, nach Ausweis der vatikanischen Dokumente habe der Papst aktiv versucht, die Wiederbewaffnung Westdeutschlands herbeizuführen und das von Moskau gewünschte Entstehen eines wiedervereinigten und neutralen Deutschlands zu verhindern. So ergab sich eine überraschende Übereinstimmung des Papstes mit den großen strategischen Linien, die damals die USA verfolgten – und das, obwohl Washington noch keine diplomatischen Beziehungen zum Vatikan unterhielt.
Als päpstlichen Mann des Vertrauens in Deutschland bezeichnet Unger-Alvi den US-amerikanischen Vatikan-Diplomaten Aloysius Muench (1889-1962). Er vertrat von 1946 bis 1959 als erster Apostolischer Nuntius die Interessen des Vatikans im Westteil Deutschlands und wurde anschließend von Johannes XXIII. 1959 zum Kardinal ernannt. "Er machte die Nuntiatur dabei zu einem Zentrum der globalen Diplomatie und zu einer Schaltstelle zwischen Deutschland, dem Vatikan und den Vereinigten Staaten im Kalten Krieg", erklärt Unger-Alvi.
In einem Podcast über das Forschungsprojekt spricht sich der Historiker dagegen aus, Pius nur als "Erzkonservativen" in Erinnerung zu behalten. Unger-Alvi gibt zu bedenken, dass Pius auch ein Papst gewesen sei, der Reformen eingeleitet und sich 1944 als erster Papst positiv über die Demokratie geäußert habe. Die späteren Öffnungs- und Liberalisierungsprozesse begannen eigentlich schon im Pacelli-Pontifikat, so Unger-Alvi. "Deshalb ist er für uns interessant als ambivalente Figur zwischen Konservatismus und Reform."