Für die Einheit darf nicht die Gerechtigkeit geopfert werden
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Ist unsere Gesellschaft tatsächlich so gespalten, wie es augenblicklich immer wieder zu lesen und zu hören ist? Ja, es gibt politische Kräfte, die systematisch auf eine Destabilisierung der Gesellschaft setzen, um bei anstehenden Wahlen aus der Spaltung politisches Kapital zu schlagen. Gleichzeitig relativieren soziologische Forschungen die weit verbreitete Rede von der "gespaltenen Gesellschaft". Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser haben in ihrer im vergangenen Jahr als Buch veröffentlichten Studie nachgewiesen, dass die deutsche Gesellschaft in wesentlichen Fragen viel einiger ist, als es erscheint. Sie warnen sogar davor, dass Spaltung herbeigeredet werden könnte. Und sie betonen, wie wichtig es ist, gesellschaftliche Konflikte auszutragen und nicht hinter jedem Konflikt "Spaltung" zu wittern.
Warnungen vor einer drohenden Spaltung und die Mahnung zur Einheit sind derzeit auch in der katholischen Kirche häufig zu vernehmen. Auch hier muss die Frage gestellt werden, welcher Zweck mit einer solchen Rede verfolgt wird. Denn die viel beschworene Einheit ist kein Wert an sich und darf erst recht nicht als Vorwand dienen, um notwendige Konflikte zu unterdrücken und Reformen zu verhindern. Sowohl gesamtgesellschaftlich als auch kirchlich ist Einheit nur dann tragfähig, wenn sie nicht mit Homogenität oder Uniformität verwechselt wird. Einheit ist auch nur dann erstrebenswert, wenn sie auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Humanität errichtet ist. Die jüngste Pressemitteilung aus dem Dikasterium für Glaubenslehre über die Rezipierung der Erklärung "Fiducia Supplicans" ist in dieser Hinsicht ein Negativ-Beispiel. Man meinte wohl, man könnte mit den Erläuterungen diejenigen Bischöfe beschwichtigen, die in Opposition zur Erklärung gegangen waren und auf der strengen Einhaltung der überkommenen Lehre beharrten. Am Ende war man dafür bereit, der Einheit die Gerechtigkeit zu opfern und für das gemeinsame Verbleiben in der diskriminierenden Lehre die Humanität preiszugeben. Eine um diesen Preis erworbene Einheit aber hat keine Zukunft.
Der Autor
Burkhard Hose ist Hochschulpfarrer in Würzburg.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.