Bauernproteste: Besinnung auf die Wurzeln statt Radikalität
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Es geht ums Wurzelwerk, sowohl im Wortsinn als auch im übertragenden Sinn. In einer hochtechnisierten und zunehmend digitalen Welt mag so manch einer vergessen haben, dass Kartoffeln, Karotten und Co. nicht im Supermarkt wachsen, sondern auf den Feldern der Landwirtinnen und Landwirte. Die Bäuerinnen und Bauern garantieren die Ernährung der Bevölkerung und müssen dennoch ungerechtfertigterweise gegen das schlechte Image kämpfen, Relikte einer vorindustriellen Epoche zu sein. Ihr Ärger über mangelnde Anerkennung und strukturelle Probleme ist nachvollziehbar und bricht sich Bahn in Protesten. Konkreter Anlass sind die – zwischenzeitlich teilweise zurückgenommenen – Pläne der Bundesregierung zum Subventionsabbau. Die Proteste bündeln aber auch den über Jahrzehnte gewachsenen Unmut angesichts des enorm steigenden ökonomischen Drucks und der mangelnden Möglichkeiten der Preisgestaltung für agrarische Produkte.
Das Bundeskriminalamt warnte am Sonntag vor einer Unterwanderung der Proteste durch antidemokratische Gruppen und vor zunehmender Radikalisierung. Radikal ist der Wortherkunft nach, was an der Wurzel verändert werden soll. Das ist an sich nicht verwerflich: Eine Wurzelbehandlung dient der Heilung. Der Begriff der Radikalisierung ist in unserem Sprachgebrauch dennoch durchgehend negativ konnotiert. Gemeint ist ein ideologisch geschlossenes Gedankengebäude, die Abschottung nach außen und das erklärte Ziel einer Destabilisierung der bestehenden Gesellschaftsordnung, wobei Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen betrachtet wird.
Es muss – sowohl für die Landwirtinnen und Landwirte als auch für die Gesamtgesellschaft, die von deren Erzeugnissen lebt – klar sein, was genau verändert werden soll und was nicht. Es muss klar sein, wo berechtigtes Interesse endet und unberechtigte Destabilisierung des Staates beginnt. Es muss klar sein, dass "Veränderung von Grund auf" nicht bedeutet, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage zu stellen. Veränderung, die auf ein autoritäres, rechtsnationales System hin ausgerichtet ist, ist inakzeptable Radikalisierung und nicht heilende Wurzelbehandlung.
Jeder Akt der Zivilcourage, jede Form gewaltfreien Protestes, jedes Bekenntnis zu unserem Rechtsstaat und seinen Grundsätzen, jeder Widerspruch gegen völkisches Gedankengut und populistisches Hochpeitschen bedeutet Heilung an der Wurzel. Jede sachlich- konstruktive Diskussion um Würde, Wert der Arbeit und Anerkennung, jede überlegte Kaufentscheidung – gerade im Bereich von Grundnahrungsmitteln – jedes Eintreten für sozialen Ausgleich und gerechte Verteilung der Lasten ist ein dringend notwendiger Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie, die wiederum Grundlage für ein friedliches Zusammenleben und ein gutes Leben für alle Menschen ist.
Demokratie und Rechtsstaat sind nicht selbstverständlich. Sie müssen wachsen, brauchen geduldige Pflege und einen durchlässigen Nährboden. Das ist beinahe ebenso schwer vermittelbar wie der immens hohe Wert landwirtschaftlicher Arbeit im innovationshungrigen Tech-Zeitalter. Wir müssen jetzt als Gesamtgesellschaft Sorge dafür tragen, dass beides gelingt.
Die Autorin
Katharina Goldinger ist Theologin und Pastoralreferentin im Bistum Speyer und Religionslehrerin an einem Speyerer Gymnasium. Sie ist sehr gerne in digitalen (Kirchen-)Räumen unterwegs und ehrenamtlich im Team der Netzgemeinde da_zwischen aktiv.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.