Ökumene in den Gemeinden – auch auf Verwaltungsebene
Wenn Ilona-Maria Kühn das Projekt vorstellt, spricht sie gerne von einer WG. "Jeder Projektpartner möchte am liebsten, dass alles nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen läuft", sagt sie im Gespräch mit katholisch.de. Dabei können auch Interessen aufeinanderprallen. Doch am Ende, im gelebten Alltag, finde sich eine für beide Seiten akzeptable Lösung. Seit rund zweieinhalb Jahren begleitet die Betriebswirtin ein Pilotprojekt im Nürnberger Stadtteil Langwasser, bei der die katholischen und die evangelischen Gemeinden in einem Prozess gemeinsam ausloten, inwiefern ökumenische Kooperation nicht nur auf ideeller und pragmatischer, sondern auch auf administrativer Ebene, also in Verwaltungsangelegenheiten, möglich ist. Im Mai 2024 werden diese Überlegungen ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen: Dann soll in Nürnberg-Langwasser ein ökumenisches Pfarrbüro entstehen – das erste bayernweit.
Nürnberg-Langwasser entstand nach dem Zweiten Weltkrieg als klassische Trabantenstadt für Zugezogene, die Bevölkerung war also von Beginn an konfessionell durchmischt. Die ökumenische Zusammenarbeit hat sich dort seit Jahrzehnten bewährt. So findet beispielsweise der Gottesdienst zu Christi Himmelfahrt jedes Jahr gemeinsam mit allen acht katholischen und evangelischen Kirchorten an einem zentralen Ort statt. Einige der acht Kirchengemeinden bieten regelmäßig ökumenische Andachten und Gottesdienste an und organisieren Veranstaltungen für Familien beider Konfessionen. Jeden Sonntag lädt die Ökumenische Kinderkirche ein. Und bereits seit 1986 bildet die katholische Gemeinde St. Maximilian Kolbe zusammen mit der evangelischen Gemeinde Martin Niemöller das einzige ökumenische Zentrum der Diözese Eichstätt. 2021 wurde schließlich das Projekt "Ökumenisch in Langwasser" gestartet, das prüfen soll, in welchen Bereichen beide Kirchen auch in Verwaltung und Organisation Synergien herstellen können. Ein erstes Ergebnis ist eine "Zentrale Anlaufstelle", das ökumenische Pfarrbüro.
Nicht nur Ressourcenfrage
Pläne wie dieser mögen nicht unbedingt neu sein, scheinen aber verstärkt wieder auf den Tisch zu kommen. Ihnen in erster Linie eine Gewissheit zugrunde: Die finanziellen und personellen Ressourcen schwinden in beiden großen Kirchen aufgrund der massenhaften Austritte dramatisch. Dazu kommen wachsende bürokratische Anforderungen. So bleibt Haupt- und Ehrenamtlichen immer weniger Zeit und vor allem Kraft für ihren christlichen Auftrag. Wie finden die Kirchen trotz all dieser Sorgen und Herausforderungen einen Weg, für die Menschen ansprechbar zu sein? Als Antwort auf diese Frage kommt mancherorts eine ökumenische Kooperation auf der administrativen Ebene ins Spiel: Das, was auf Gemeindeebene in Verwaltung oder Organisation gemeinsam getan werden kann, soll gemeinsam gestemmt werden. Ähnliche Überlegungen wie in Langwasser gibt es auch andernorts in Deutschland – und meistens sind Bistum und Landeskirche mit im Boot.
Praktisch soll es in Nürnberg-Langwasser so funktionieren, dass die "Zentrale Anlaufstelle" in den Räumen einer evangelischen Gemeinde eingerichtet wird – in der Nähe eines Einkaufszentrums. Diese Anlaufstelle wird für die nominell rund 16.000 evangelischen und katholischen Christen in dem Stadtteil zuständig sein. In diesem "Front-Office", so die Selbstbezeichnung, werden alle Anliegen entgegengenommen: Es ist für alle da, die sich oder ihr Kind zu Taufe, Erstkommunion und Firmung anmelden oder die kirchlich heiraten möchten; ebenso wie für Trauernde, die verlässliche Auskunft in einem Sterbefall suchen oder Angehörige, die ein Anliegen für einen Gottesdienst eintragen möchten. Was die jeweilige Sekretärin nicht direkt selbst beantworten kann – weil es zum Beispiel die andere Konfession betrifft – leitet sie in das "Back-Office" weiter. Dort arbeiten alle evangelischen und katholischen Pfarramtssekretärinnen unter einem Dach zusammen.
Mit dem ökumenischen Pfarrbüro wollen die acht Kirchorte mehr Service bieten, als es jede Kirche für sich allein schaffen würde, erklärt Ilona-Maria Kühn. Gerade der Service-Gedanke sei neben den Synergien das Entscheidende: "Die Kirche hat die Aufgabe, auch den Menschen nahe zu sein, die von sich aus nicht den Weg in die Gemeinden finden."
Sendung der Kirche glaubwürdiger
In Nürnberg-Langwasser kam die Idee zur intensiveren ökumenischen Zusammenarbeit von engagierten Gemeindemitgliedern; das zuständige Bistum Eichstätt sowie die evangelische Landeskirche in Bayern unterstützen das Vorhaben. In Münsteraner Stadtteil Nienberge sind die Bedingungen ähnlich: Es gibt eine jahrzehntelange, bewährte ökumenische Zusammenarbeit. Hier kamen allerdings die Kirchenleitungen mit der Idee auf die Gemeinden zu, dem Ganzen einen verbindlichen Rahmen zu geben. So bilden seit Dezember 2022 die katholische Gemeinde St. Sebastian und die evangelische Lydia-Gemeinde eine ökumenisch-kooperative Gemeinde. Ziel ist es, die Ökumene vor Ort auf einer praktischen und arbeitsteiligen Art und Weise voranzubringen. Es handelt sich dabei um ein Pilotprojekt des Bistums Münster und der Evangelischen Kirche von Westfalen. Auch an anderen Orten im Bistum Münster sollen solche kooperativen Gemeinden entstehen.
Hintergrund: Im Reformations-Jubiläumsjahr 2017 wurde eine große ökumenische Erklärung zwischen den Kirchenleitungen des Bistums Münster, der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Rheinischen Kirche und der Lippischen Kirche verfasst. Beschlossen wurde darin eine Intensivierung der Ökumene in ganz konkreten Schritten. Sie solle aus der tiefen Gemeinsamkeit des Glaubens heraus viel stärker als gemeinsamer Auftrag gesehen werden, den Menschen Angebote zu machen und Präsenz zu zeigen. Das soll auch die Sendung der Kirchen glaubwürdiger machen. Im Rahmen dieses Pilotprojekts in Münster-Nienberge überlegen sich die Gemeinden in allen kirchlichen Grundvollzügen, was sie von vornherein kooperativ gestalten können. Senioren- oder Flüchtlingsarbeit beispielsweise sollen dann nicht mehr doppelt gemacht werden.
„Die Kirche hat die Aufgabe, auch den Menschen nahe zu sein, die von sich aus nicht den Weg in die Gemeinden finden.“
Was das konkret für die Zusammenarbeit vor Ort bedeutet, erklärten die beiden zuständigen Pfarrer in Münster-Nienberge in einem katholisch.de-Interview so: "Wir wollen jetzt nichts Neues erfinden, sondern verstärkt schauen, wo wir vor Ort als christliche Kirche tiefer präsent sein und in der Öffentlichkeit auch stärker gemeinsam auftreten können", sagte Oliver Kösters, verantwortlicher Pfarrer in der evangelischen Lydia-Gemeinde. Die beiden Gemeinden blieben selbstverständlich eigenständig, die Zusammenarbeit solle aber eine verbindlichere Form erhalten. Sein katholischer Kollege André Sühling von der Pfarrei St. Sebastian ergänzte, dass es beispielweise darum gehen könnte, Fragen der Raumnutzung in konkreten Verträgen niederzuschreiben oder den Personaleinsatz gemeinsam zu koordinieren. Die Überlegungen können demnach auch dahingehen, sich einen ökumenischen Pastoralplan zu überlegen, "ohne dass jetzt der eine für die Beerdigung des anderen zuständig ist". Es gehe schlicht darum, das Mögliche gemeinsam zu tun – und zwar in jedem Bereich.
Wie sind die Erfolgsaussichten für derartige Projekte der ökumenischen Zusammenarbeit in der Administration? Der Theologe Ulrich Hemel, der lange Zeit Unternehmen beraten hat, sieht langfristig nicht nur wirtschaftliche Vorteile angesichts sinkender Ressourcen: Durch solche Initiativen könne wieder Schwung in die Ökumene kommen. In Zeiten schrumpfender Kirchen werde die Frage nach dem gemeinsamen Handeln in der Gesellschaft – im Sinne einer "Ökumene der Tat" – immer virulenter. "Von daher sind Projekte ökumenischer Kooperation im Grunde ein Hoffnungs- und ein Lebendigkeitszeichen für unsere Kirche in Deutschland", so Hemel.
Dass die Kirchen in Deutschland mit Blick auf die Zukunft im gleichen Boot sitzen, werden ihre Vertreter nicht müde zu betonen. Derartige Projekte wollen das in konkrete Formen umsetzen. Gerade dort, wo ökumenisches Zusammenleben seit Jahrzehnten selbstverständlich ist, scheinen die Voraussetzungen gut zu sein. In Nürnberg-Langwasser wie in Münster-Nienberge gibt es natürlich auch Stimmen, die das Projekt kritisch sehen. Dabei spielt auch die Angst eine Rolle, dass die jeweils eigene Konfession zu kurz kommen könnte. In der Frankenmetropole glaubt Ilona-Maria Kühn jedoch an den Erfolg. "Man sollte die Gestaltungsmöglichkeiten nutzen, solange es noch möglich ist", betont sie. Und in Münster-Nienberge sagen André Sühling und Oliver Kösters: Auf der praktischen Seite biete es sich immer mehr an, Gemeinsames zu entdecken und zu entwickeln. "Da vertrauen wir mal dem Heiligen Geist. Und wenn Christus darum bittet, dass wir alle eins seien, dann können wir auch auf seine Kraft hoffen, der wir uns anvertrauen können."