Ökumenisch-kooperative Gemeinde: "Das Mögliche gemeinsam tun"
Im Dezember 2022 fiel der Startschuss: Seither bilden die katholische Gemeinde St. Sebastian und die evangelische Lydia-Gemeinde im Münsteraner Stadtteil Nienberge die erste ökumenisch-kooperative Gemeinde in Deutschland. Es handelt sich dabei um ein Pilotprojekt des Bistums Münster und der Evangelischen Kirche von Westfalen: Ziel ist es, die Ökumene vor Ort auf einer praktischen und arbeitsteiligen Art und Weise voranzubringen. Die beiden Gemeinden arbeiten schon seit rund zwanzig Jahren eng zusammen. Welche Veränderungen das Projekt bewirken könnte und was in der Zusammenarbeit konkret geplant ist, verraten der katholische Pfarrer André Sühling und sein evangelischer Kollege, Oliver Kösters, im Doppelinterview.
Frage: Herr Kösters, Herr Sühling, sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche haben damit zu kämpfen, kirchliches Leben aufrecht zu erhalten. Verstehen Sie dieses Pilotprojekt vor allem unter diesem Gesichtspunkt – oder ist der Horizont doch etwas weiter?
Kösters: Kirchliches Leben aufrecht zu erhalten ist natürlich ein Aspekt, der mit reinspielt, aber die Ökumene in Nienberge ist viel zu alt und viel zu tief verwurzelt, als dass diese Fragestellung nur vor diesem Hintergrund betrachtet werden kann. Alle, die heute hier aktiv sind, arbeiten auf dem Boden, den andere bereitet haben. Schon das Grundstück, auf dem das evangelische Gemeindezentrum errichtet wurde – das evangelische Leben in Nienberge ging in der Nachkriegszeit los –, war eine Schenkung der katholischen Gemeinde. Da ist schon ganz viel geschehen, und das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten weiter intensiviert. Als wir unser evangelisches Gemeindezentrum wegen finanzieller Engpässe schließen und nach einem neuen Gottesdienstort suchen mussten, war es vollkommen selbstverständlich, dass wir in der katholischen Gemeinde nicht nur fragen konnten, sondern mit offenen Armen empfangen wurden. Wir leben in Nienberge seit Jahrzehnten sehr selbstverständlich miteinander und stehen natürlich beide – vielleicht auf unterschiedliche Weise, aber doch in vielem gemeinsam – vor Veränderungen. Da gucken wir jetzt: Wie wollen wir christliche Kirche vor Ort leben? Aber nicht defizitorientiert, sondern im Sinne unseres Auftrags, das Evangelium zu verkünden.
Frage: Wie konkret ist denn die ökumenische Zusammenarbeit in Ihren Gemeinden bereits – unabhängig von dem Projekt?
Sühling: Ein Meilenstein war, dass man sich schon relativ früh zusammengesetzt hat und eine ökumenische Charta verfasst hat – um zu zeigen, dass Ökumene nicht nur etwas Nettes nebenbei ist, sondern wesentlich zu unserem Verständnis von Christsein vor Ort gehört. 2002 gab es eine erste ökumenische Vereinbarung, die 2008 erneuert wurde. Im vergangenen Jahr wurde sie den aktuellen Bedingungen angepasst, weil die beiden Gemeinden nicht mehr eigenständig, sondern Teil größerer Verbünde sind. Auf der strukturellen Ebene gibt es zwischen den Hauptamtlichen gemeinsame Besprechungen, bei denen zum Beispiel die Jahresplanung abgeglichen wird. Es gibt einen ökumenischen Arbeitskreis der beiden Gemeinden, der ein großer Motor ist. Das ökumenische Miteinander ist von den handelnden Personen in den Gemeinden gewollt – und wird von den Gemeindemitgliedern gelebt.
Kösters: Wir haben eine Seniorenarbeit, die seit Jahrzehnten ökumenisch verantwortet wird, und eine offene Jugendarbeit, die ökumenisch ist. Neu ist ein ökumenisches Familien- und Kindergottesdienst-Team, das vergangenes Jahr die Weihnachtsangebote verantwortet hat. Das hat einen riesigen Zulauf. Das Bedürfnis der Menschen geht ganz klar in diese Richtung, weil die konfessionelle Unterscheidung von kaum jemandem mehr aktiv gelebt wird.
Frage: Das heißt also gewissermaßen, Ihre Zusammenarbeit hat durch das Pilotprojekt jetzt einen "offiziellen" Rahmen und gleichsam den Segen vom Bistum und der Landeskirche bekommen.
Kösters: Das trifft es schon ein wenig. Wir wurden eben deshalb ausgesucht, weil bei uns die Ökumene bekanntermaßen sehr weit ist. Natürlich werden wir weiterhin zwei eigenständige Gemeinden bleiben, aber die Zusammenarbeit soll eine verbindlichere Form bekommen. Es gibt keine übergeordnete Ebene, die das für uns festlegen kann, also können wir das nur für uns selbst verpflichtend machen. Aus dem Projekt soll dann eine Art Leitfaden für Gemeinden entstehen, die überlegen, denselben Weg zu gehen.
Frage: Welche konkreten Auswirkungen könnte das Projekt haben?
Sühling: Das Anliegen von Bistum und Landeskirche ist natürlich auch, zu schauen, wie man Dinge strukturell besser fassen kann, ohne sich nur auf den guten Willen der Leute vor Ort verlassen zu müssen. Können sich beispielsweise Fragen der Raumnutzung in konkreten Verträgen niederschlagen? Kann man gerade in der Verwaltung den Personaleinsatz gemeinsam koordinieren? Wenn wir aber sagen, für uns ist ein anderer Aspekt wichtiger, dann ist das ebenfalls in Ordnung. Wir haben keine fixen Vorgaben – da ist die Dynamik hier vor Ort entscheidend.
Frage: Welche Schritte stehen jetzt ganz unmittelbar an, um das Projekt voranzubringen?
Kösters: Wir haben in unserem ökumenischen Arbeitskreis mal geclustert, was es hier in Nienberge an kirchlichen Angeboten gibt. Was uns selber überrascht hat: Fast alles ist ökumenisch besetzt. Wir wollen jetzt nichts Neues erfinden, sondern verstärkt schauen, wo wir vor Ort als christliche Kirche tiefer präsent sein und in der Öffentlichkeit auch stärker gemeinsam auftreten können.
Frage: Kommen wir zum Thema Liturgie. Sie haben ja bereits das ökumenische Familiengottesdienst-Team erwähnt. Wie ist denn generell das liturgische Miteinander – und streben Sie da einen Ausbau an?
Kösters: Wir feiern regelmäßig ökumenische Gottesdienste, im Schnitt fünf bis sechs pro Jahr. Zuletzt wurde nochmal deutlich, dass es da den Wunsch nach mehr gibt, und das wollen wir unterstützen. Es ist tatsächlich so, dass die meisten konfessionsübergreifend schauen, welches Angebot sie anspricht. Und das ist eben gerade im Kinder- und Familienbereich frappierend, weil es ja viele konfessionsverbindende Ehen bei uns gibt. Natürlich gibt es auch manche, die sagen, dass ihnen ihre konfessionelle Beheimatung wichtig ist – und auch das ist selbstverständlich vollkommen in Ordnung.
Sühling: Eine weitere Überlegung ist, wie man die liturgischen Formen miteinander verbinden kann, ohne auf die eigenen Traditionen zu verzichten. Zum Beispiel an Ostern: Der eine Gottesdienst endet, auf dem Kirchplatz findet eine Begegnung statt, und dann folgt die Einladung zum folgenden Gottesdienst. Dass man tatsächlich nicht nur nebeneinander feiert, sondern das Miteinander stärker ins Zentrum rückt.
Frage: Es fiel gerade der Satz, liturgisch wäre der Wunsch nach mehr da – wie sieht es da bei der Frage nach dem gemeinsamen Abendmahl aus?
Sühling: Es gibt bei einigen durchaus den Gedanken. Eines der Themen bei unserem Initiationstreffen mit Landeskirche und Bistum im Dezember lautete, ob es seitens der höheren Ebene auch "No Gos" gibt. Da kam dann die Frage auf: Ist mit unserem Projekt auch die Einladung zur gemeinsamen Feier des Abendmahls aussprechbar? Ganz deutlich nein. Das ist ja nichts, was wir hier vor Ort einfach so machen können – auch wenn es für viele sicher ein deutlicher Ausdruck dafür wäre, einen weiteren Schritt in der Ökumene zu machen. Es gilt jedoch, die jeweiligen theologischen Überzeugungen zu respektieren.
Frage: Aber kann es Ihnen dennoch gelingen, in ihrer Gemeinde eine Art ökumenische Identität zu kreieren?
Kösters: Ich kann da viel mit anfangen. Ich bin da auch sehr von Taizé geprägt und wie der Glaube da gelebt wird. Da werden auch im nötigen Maß die Grenzen gewahrt, aber trotzdem vieles gemacht, was weiter geht als das, was die offiziellen Kirchen sagen. Das hat für mich schon einen gewissen Modellcharakter. Das heißt ja nicht, dass man alles nivelliert und sagt, die Unterschiede spielen keine Rolle mehr. Aber sie sind kein Thema beim gemeinsamen Gottesdienst und Gebet. Natürlich kann ich Taizé nicht auf die Situation hier übertragen. Ich persönlich würde immer gerne einen Schritt weitergehen, aber ich weiß, dass das nicht geht. Und das tun wir auch nicht. Aber warum soll man nicht mal darüber nachdenken, wie etwa ein ökumenischer Pastoralplan aussehen könnte, ohne dass jetzt der eine für die Beerdigung des anderen zuständig ist? Oder auch nicht mehr zu sagen, da gibt es einen Schaukasten für die Evangelischen und dort für die Katholiken, sondern zu sagen, dass sind die Gottesdienstangebote - und jeder mündige Mensch kann sich entscheiden, wo er hingeht. Das sind alles so Ideen, die für mich in die Richtung eines ökumenischen Bewusstseins gehen. Alles andere ist für mich auch nicht mehr zeitgemäß.
Sühling: Wir brauchen da einfach eine gewisse Entdeckerfreude. Natürlich bekomme ich auch solche Rückmeldungen, die kein Verständnis haben, dass wir die Ökumene intensivieren wollen. Da ist dann von Verwässerung der eigenen Botschaft die Rede. Aber es geht im ökumenischen Miteinander vor allem darum, das Mögliche gemeinsam zu tun.
Frage: Was meinen Sie: Wird kirchliches Leben über kurz oder lang nur in diesem kooperativen Format möglich sein?
Sühling: Auf formaler Ebene zeigt sich immer deutlicher, dass die Ressourcen – Personal, Infrastruktur – begrenzt sind. Ich glaube schon, dass sich das von dieser praktischen Seite her immer mehr anbietet, Gemeinsames zu entdecken und zu entwickeln. Aber insgesamt geht es dabei natürlich um eine innere Haltung, ein inneres Unterwegs-Sein.
Kösters: Ich würde die Frage tendenziell mit einem großen Ja beantworten. Natürlich kann man sie nicht global beantworten, das hängt immer vom jeweiligen Ort ab. Ich glaube aber, es wird in diese Richtung gehen – aus ganz vielen Gründen. Ja, einerseits auch aus der Not heraus, aber auch aus ganz vielen positiven Gründen. Da vertrauen wir mal dem Heiligen Geist. Und wenn Christus darum bittet, dass wir alle eins seien, dann können wir auch auf seine Kraft hoffen, der wir uns anvertrauen können.