Frage: Herr Wißmann, wie bewerten Sie den Beschluss der deutschen Bischöfe?
Wißmann: Insgesamt kann man sagen, dass es ein wichtiger Schritt ist, um die Vielfalt der katholischen Dienste erhalten zu können. Der Beschluss stellt eine Annäherung an die Lebenswirklichkeit und an rechtliche Vorgaben dar. Und diesen Vorgaben sind auch Religionsgemeinschaften ausgesetzt, wenn sie in der Gesellschaft wirken wollen.
Frage: Die Bischöfe wollten den Veränderungen in der Rechtsprechung, Gesetzgebung und Gesellschaft Rechnung tragen. Ist das geglückt?
Wißmann: Insgesamt ist das geglückt, denn die Bischofskonferenz gestaltet hier und vollzieht nicht nur passiv äußere Pflichten. Dieser Schritt ist aber Teil eines Prozesses, der noch nicht abgeschlossen ist. Begrüßenswert finde ich die geplante Reflektion über die Entwicklung der neuen Grundordnung. Denn die Bischöfe planen nach fünf Jahren eine Evaluation der Wirkung des Gesetzes.
Frage: Eine Wiederheirat oder eine gleichgeschlechtliche Verpartnerung kann künftig nur noch zu einer Kündigung führen, wenn diese Handlung "objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen". Was bedeutet das?
Wißmann: Zunächst einmal gelten diese zusätzlichen Erfordernisse nur für diejenigen Mitarbeiter, die nicht in der Lehre oder mit einer besonderen bischöflichen Beauftragung tätig sind. Denn bei dieser Gruppe wird nach wie vor unwiderlegbar vermutet, dass eine unzulässige zivile Ehe oder Lebenspartnerschaft ein schwerwiegender Verstoß ist. Hier kann nur ausnahmsweise von einer Kündigung abgesehen werden.
Aber bei dem Großteil der Beschäftigten, gerade auch in der Caritas, gilt ein neues zweistufiges Verfahren: Zunächst muss ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß festgestellt werden, für den es darauf ankommt, ob er nach objektiver Betrachtung ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft hervorruft. Und auch das führt nicht zu einem Automatismus der Kündigung, sondern es muss ein Abwägungsvorgang erfolgen. Kurz: Der Maßstab, was eine sittliche Verfehlung ist, hat sich nicht verändert, sondern, ob das bis hin zum Kündigungsrecht durchschlägt.
Frage: Aber war das nicht bis jetzt auch schon so? Einige Bischöfe haben in den vergangenen Monaten immer wieder betont, dass es keinen Kündigungsautomatismus gebe.
Wißmann: Den gab es wohl faktisch nicht, aber rechtlich bestand die Möglichkeit, automatisch zu kündigen und die Diözesen haben das durchaus unterschiedlich gehandhabt. Jetzt ist in der Grundordnung verbindlich vorgeschrieben, dass in einem bestimmten Modus der Einzelfall ernstgenommen wird. Der neu eingerichtete Verfahrensweg mit einer zentralen Stelle, die vor einer etwaigen Kündigung konsultiert werden soll, ist die entscheidende Modernisierung.
Frage: Gibt es nicht doch ein Hintertürchen für Kündigungen? Es wird sich doch immer jemanden finden lassen, bei dem solche Fälle ein Ärgernis hervorrufen…
Wißmann: So würde ich es nicht lesen. Gefordert werden nun konkrete Umstände, die objektiv geeignet sind, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen. Und zusätzlich muss dann eine Abwägung der Einzelfallumstände erfolgen. Das sind starke prozedurale Vorgaben. Eine bloße Behauptung oder böser Wille reichen nicht aus.
Frage: Für diejenigen, die pastoral oder katechetisch tätig sind, gelten weiter die strikteren alten Regeln. Gehört diese Abstufung zum Selbstbestimmungsrecht der Kirche oder ist das nach Ihrer Einschätzung ein Eingriff in die Privatsphäre?
Wißmann: Es ist sicher ein Eingriff in die Privatsphäre, aber das ändert nichts daran, dass das der Logik der Rechtsprechung der weltlichen Gerichte entspricht. Die geht davon aus, dass es ein umfassendes Selbstverwaltungsrecht der Kirchen gibt, das gleichwohl nicht absolut gesetzt ist. Wo Glaube gelehrt und verkündet wird, steigen die Anforderungen, sodass ein Eingriff in die Privatsphäre eher gerechtfertigt ist, als in allgemeinen Tätigkeiten, die es so auch bei anderen Arbeitgebern gibt.