Theologe: Kirche muss mobiler werden und mehr auf die Straße gehen
Kirche mit Liegestuhl, Kaffee und Eis? Ob hippe Projekte wie diese den beiden großen Kirchen in Deutschland vor allem nach der kürzlich veröffentlichten KMU-Studie helfen können, mehr auf neue innovative Ideen zu setzen, verrät Pastoraltheologe Björn Hirsch vom Zentrum für Angewandte Pastoralforschung in Bochum im Interview mit katholisch.de. Hirsch gründete 2014 mit der Citypastoral Fulda ein kirchliches Startup und ebenfalls das überkonfessionelle Netzwerk "All for One". Mit dem neustem Projekt "Churchbike", einem Lastenrad für kirchliche Akteure, geht er noch einen Schritt weiter und möchte die Kirche aus der Sakristei und weiteren Kirchenräumen, in den öffentlichen Raum bringen und mit Menschen ins Gespräch über Gott kommen.
Frage: Herr Hirsch, in Deutschland kehren immer mehr Menschen den beiden großen Kirchen den Rücken. Wie aber reagieren die Menschen, wenn sie die Kirche in Form eines Lastenrads im Park oder vor Supermärkten antreffen?
Hirsch: Tatsächlich ist die Resonanz überwiegend positiv, was man zunächst angesichts der allgemeinen Meinung über Kirche in der Gesellschaft eher nicht vermuten mag. Das macht mir auf jeden Fall Mut, mich weiter in solchen Projekten zu engagieren. Ganz vereinzelt gibt es aber auch kritische Stimmen, besonders wenn die Kirche kurz zuvor mit schlechter Presse in den Medien war. In vielen Gesprächen höre ich, dass die Menschen mit der Kirche nichts anfangen können. Die Leute nehmen aber gerne den kostenlosen Kaffee an oder gönnen sich eine Pause im Liegestuhl. Oft lassen sie sich dann auf ein Gespräch ein und erzählen von sich aus von den Dingen, die sie bewegen. Und wenn nicht, dann ist es auch gut.
Frage: Gab es innerhalb der Kirche kritische Anfragen an das Projekt?
Hirsch: Bisher nicht. Ich habe verschiedene Projekte in diese Richtung gemacht und es gab immer wieder kritische Anmerkungen. Ein Beispiel: Zum Erntedankfest haben wir uns in Fulda mal als Obst und Gemüse verkleidet und Äpfel sowie Dankes- und Gebetskarten verteilt. "Muss die Kirche jetzt als Obst und Gemüse verkleidet durch die Stadt laufen?", lautete dann die Kritik. Letztlich sollten wir uns für solche Dinge aber nicht zu schade sein, weil es zeigt, dass auch Christen Humor haben und sich trauen, auch mal unkonventionelle Wege zu gehen.
Frage: Ist damit der Wunsch verbunden, Menschen wieder für die Kirche zu gewinnen?
Hirsch: In erster Linie geht es darum, absichtslos mit Menschen in Kontakt zu kommen. Wir werden oft gefragt, warum wir ihnen etwas schenken oder ob wir ihnen etwas verkaufen wollen. Unser Engagement geschieht aus der christlichen Überzeugung heraus, den Menschen einfach etwas Gutes tun zu wollen. Unser Churchbike ist so gestaltet, dass die Kirche nicht auf den ersten Blick sichtbar ist.
Frage: Ist das bewusst so gewählt?
Hirsch: Ja, das ist eine bewusste Entscheidung. Aber wenn man es deutlicher machen will, dann stellt man ein Kreuz auf den Tresen oder ein Roll-up-Banner mit einer christlichen Botschaft daneben. Das steht jedem frei. Ich persönlich plädiere eher dafür, das Angebot so offen wie möglich zu halten und dann ins Gespräch zu kommen. Wenn es konkrete Anfragen gibt, kann man auch ein persönliches Zeugnis geben oder zu einer Veranstaltung einladen. Dies sollte jedoch nur auf konkrete Nachfrage hin geschehen. Und es sollte nicht unbedingt das Pontifikalamt im Dom sein, zu dem man einlädt. Wichtig ist es, zielgruppenspezifische Veranstaltungen im Gepäck zu haben.
Frage: Wer sind die Personen, mit denen Sie bei diesen Aktionen in Kontakt kommen?
Hirsch: Das sind meistens Leute, die mit der Kirche nicht viel zu tun oder sich von ihr distanziert haben. Wenn ich mit Freunden, die nichts mit Kirche zu tun haben, in die Kirche gehe, sagen sie jedes Mal, dass sie sich unwohl gefühlt haben, weil sie die Rituale nicht nachvollziehen konnten. Genau deshalb brauchen wir Veranstaltungen, wo diese Zielgruppe unverbindlich zuschauen oder zuhören kann. Es geht um ein gestuftes Angebot, beginnend bei einem guten Erstkontakt, über unverbindliche Events bis hin zu regelmäßigeren Treffen, wo Glaube auch vertieft werden kann.
Frage: Zeigen diese Personen dann mehr Interesse an Kirche?
Hirsch: Diejenigen, die Interesse zeigen, kommen regelmäßiger. Sie kommen zwar nicht unbedingt in die Kirche zum Sonntagsgottesdienst, aber kommen durchaus zu den Veranstaltungen, die etwas niederschwelliger sind.
„Wir werden oft gefragt, warum wir ihnen etwas schenken oder ob wir ihnen etwas verkaufen wollen. Unser Engagement geschieht aus der christlichen Überzeugung heraus, den Menschen einfach etwas Gutes tun zu wollen.“
Frage: Gibt es dazu auch konkrete Erfahrungen?
Hirsch: Ich kann von vielen persönlichen Erfahrungen erzählen, aber empirische Zahlen gibt es leider nicht. Das ist auch schwer zu messen, aber es gibt ein Beispiel vom Campus der Hochschule Fulda. Dort sind wir bei Kaffee und Capri-Sonne mit jungen Leuten ins Gespräch gekommen. Eine junge Muslima kam an unseren Stand und fragte nach einem christlichen Glaubenskurs, um die Grundlagen zu lernen, da sie konvertieren wollte. Eine andere junge Frau hatte mit dem Gedanken gespielt, wieder in die Kirche einzutreten, und der Stand hat sie dazu motiviert, diesen Schritt zu gehen. Eine Frau aus Afrika wollte ihre Kinder taufen lassen, wusste aber nicht, wie sie den Pfarrer erreichen konnte. Zufällig war er gerade am Stand. Zwei Wochen später fand das Taufgespräch statt. Solche Begegnungen geschehen, wenn wir uns als Kirche auf die Straße wagen.
Frage: Sehen Sie darin die Zukunft für Kirche?
Hirsch: Ja, aber nur zum Teil. Es braucht weiterhin feste Orte, wo sich die Menschen verlässlich versammeln können. Ich glaube nicht, dass es ausreicht, einmal in der Woche mit einem Lastenrad durch die Straßen zu fahren. Aber ich bin sicher, dass die Kirche sich noch viel mehr trauen muss, auf die Menschen zuzugehen, denn von alleine kommen die meisten nicht mehr in die Kirche. Das Wichtigste ist immer, eine Beziehung und Vertrauen aufzubauen - das ist die Basis für alles Weitere.
Frage: Ist das nicht schon Mission?
Hirsch: Die Geschichte dieses Begriffs ist natürlich sehr durchwachsen. Für mich ist Mission aber das leidenschaftliche Werben für die Schönheit eines Lebenskonzeptes. Und wenn ich Mission so definiere, dann kann man es durchaus auch so nennen. Andere würden vielleicht von Evangelisierung sprechen. Ich bin mir nicht sicher, ob man Mission und Evangelisation scharf voneinander trennen sollte, aber im Kern geht es um das Evangelium. Hier würde man von Evangelisierung oder Inkulturation sprechen; das Evangelium angepasst an den Kontext, in dem wir uns befinden. Das Churchbike ist etwas, das in die Kultur der Großstädte passt, vor allem wenn man an all die Coffee-Bikes denkt.
Frage: Wofür wird das Rad dann speziell benutzt?
Hirsch: Der Unterschied ist, dass das Churchbike bei uns nicht gebucht, sondern gekauft wird. Zu den ersten Anfragen, die wir bereits haben, gehören evangelische, freikirchliche und katholische Träger. Es reicht nicht mehr, als Kirche einfach einzuladen und zu hoffen, dass jemand kommt. Die jeweiligen Träger entscheiden dann selbst, wie sie es nutzen. Am meisten wird die Kaffeevariante genutzt, in den großen Weinbaugebieten läuft die Variante "Water and Wine" besser. Wieder andere wollen in Schulen gehen, um im Rahmen der Schulpastoral mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen. Wenn eine Kirchengemeinde das Churchbike anschafft, dann ist damit auch etwas Längerfristiges geplant. Es soll zu einer Art Grundhaltung werden, wie es auch bei den Sonntagsgottesdiensten der Fall ist. Die Kirche muss mobiler werden, um näher bei den Menschen zu sein. Die Idee, sich so ein Fahrrad anzuschaffen, ist ja auch eine Verpflichtung, immer wieder zu den Menschen rauszufahren.
Frage: Kann angesichts der eher düsteren Zahlen der KMU-Studie das "Rausfahren" zu den Menschen die Kirche noch "retten"?
Hirsch: Wenn es dazu beitragen soll, dass sich die Kirchenbänke wieder füllen und die Sonntagsgottesdienste besser besucht werden, dann ein klares "Nein". Das Churchbike soll dazu beitragen, dass sich die Menschen in der Gesellschaft überhaupt erst wieder mit der Frage nach Gott und Kirche auseinandersetzen. Wenn ich damit in der Innenstadt stehe, mit den Menschen in Kontakt komme und ihnen etwas gebe, sei es auch nur ein Spruch oder eine Broschüre, dann werden sie sich möglicherweise mit dem Thema auseinandersetzen oder sich entscheiden, doch zur nächsten Veranstaltung zu kommen.
Churchbike
Das Churchbike gibt es in den Varianten "Promo", "Coffee and Tea", "Water and Wine", "Ice Cream", "Food" und "Liturgy".