Seelsorger: Haben im Internet die Chance, unsere Qualität zu zeigen
Seit zwei Jahren will das Internetportal "digitalpastoral.de" eine Plattform für kirchlich Engagierte und Hauptamtliche bieten, um sich über religiöse Online-Angebote zu informieren und auszutauschen. Im katholisch.de-Interview spricht Mitinitiator Björn Siller darüber, welche Verschiebung er bei den digitalen Angeboten der Kirche in den vergangenen Jahren wahrgenommen hat und welche Chancen er für die Zukunft sieht.
Frage: Herr Siller, seit rund zwei Jahren gibt es die Internetplattform "digitalpastoral.de". Wie lautet Ihr Zwischenfazit?
Siller: Es ist spannend, bereitet viel Glück und Freude und macht Lust auf neue Entdeckungen. Das ist ein Fazit, das ich aus den ersten zwei Jahren ziehen kann. Und darauf können wir als Team sehr stolz sein.
Frage: Was haben Sie mit Ihrer Plattform bisher erreicht?
Siller: "digitalpastoral.de" ist eines der wenigen Angebote, das aus einer Eigeninitiative von Referentinnen und Referenten verschiedener Bistümer entstanden ist, die sich mit dem Bereich Pastoral oder Verkündigung im Internet beschäftigen. Wir haben uns aus einem Bedarf heraus in einer Gruppe zusammengefunden und haben den gesamten Entwicklungsprozess digital durchgemacht – auch das Zusammenwachsen als Team. Wir haben aber auch erlebt, dass das, was uns berührt hat, ganz viele andere berührt hat. Deswegen ist es spannend und bringt viel Freunde und löst Dankbarkeit aus, weil wir sehr viel positive Resonanz erlebt haben und vieles Neues kennenlernen durften: Wir haben insgesamt über 130 digitale Projekte und Initiativen aus der Kirche im deutschsprachigen Raum vorgestellt. Das ist eine starke Zahl.
Frage: An Ihrem Projekt haben sich von Anfang an sieben (Erz-)Diözesen und die Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP) beteiligt. Sind seit dem Start weitere Player dazugekommen?
Siller: Ja. Sarah Lamprecht aus der Online-Redaktion des Bistums Erfurt ist inzwischen mit dabei und kümmert sich unter anderem um grafische Fragen. Aus der Erzdiözese Salzburg ist Sebastian Riedel dazugestoßen, der dort für Missionarische Pastoral zuständig ist. Wir haben eine Kooperation mit der Arbeitsstelle für Medien und Digitalität der Erzdiözese München und Freising begonnen. Wir wachsen also kontinuierlich. Auch die Deutsche Bischofskonferenz führt uns auf ihrer Homepage als Angebot auf. Das zeigt, dass wir etwas angesprochen haben, das wichtig ist und das wir in nächster Zeit noch ausbauen wollen.
„Bei all den kirchlichen Entwicklungsprozessen sollten wir als Kirche nicht nur diskutieren, ob wir künftig auf Marktplätzen oder in Stadtteilquartieren unterwegs sein sollten, sondern genauso auch im Digitalen.“
Frage: Inwiefern?
Siller: Pastoral im digitalen Raum macht nur einen Teil unserer Stellen in den Bistümern aus. Deswegen kann es immer wieder sein, dass jemand kürzertreten muss. Dann rutschen andere Kolleginnen und Kollegen nach vorne. Für mich ist es einfach ein Geschenk, dass wir uns da gegenseitig befruchten und weiterbilden.
Frage: Ihr Projekt wurde zum Ende der Hochphase der Corona-Pandemie gestartet. Die Pandemie hat in der Kirche zu einer Blüte von digitalen Angeboten geführt – wenn auch mit unterschiedlicher Qualität. Wie nachhaltig sind denn diese digitalen Projekte, die vor zwei oder drei Jahren gestartet wurden?
Siller: Das lässt sich so pauschal kaum sagen. Ich denke aber, dass die Projekte und Angebote nachhaltig sind, die nicht einfach versucht haben, irgendetwas, das es ohnehin schon gab, in den digitalen Raum zu übertragen. Und ich glaube, dass die Projekte nachhaltig sind, die das Internet als Sozialraum wahrnehmen und beleben und nicht nur sagen: "Naja, Internet müssen wir auch machen." Bei all den kirchlichen Entwicklungsprozessen sollten wir als Kirche nicht nur diskutieren, ob wir künftig auf Marktplätzen oder in Stadtteilquartieren unterwegs sein sollten, sondern genauso auch im Digitalen. Wenn wir das erkannt haben und umsetzen, dann sind die Projekte dort genauso nachhaltig wie Projekte im analogen Kontext – oder sogar noch mehr.
Frage: Gibt es denn immer noch neue Projekte und Initiativen, die im digitalen Raum entstehen und die Sie vorstellen können?
Siller: Ja, die gibt es immer noch. Zwar nicht mehr so, wie am Anfang, aber wir können immer noch jede Woche ein Projekt vorstellen. Ich nehme allerdings eine Verschiebung wahr: Anfangs hatten wir sehr viele neue Projekte. Inzwischen beobachten wir, dass sehr viel mehr reflektiert und nachgedacht wird. Was sich in letzter Zeit auch häuft, sind Beiträge mit Blick auf Künstliche Intelligenz. Das ist ein Feld, das viele in Kirche im digitalen Bereich beschäftigt.
Frage: Im vergangenen Jahr haben die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland die "Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung" veröffentlicht, die belegt, dass das Vertrauen in die Kirchen auch bei Kirchenmitgliedern dramatisch zurückgegangen ist und viele Menschen sich nicht mehr für deren Angebote interessieren. Sehen Sie da überhaupt noch Chancen für digitale Angebote?
Siller: In verschiedenen Feldern fällt doch noch immer auf, dass es eine große Nachfrage nach kirchlichen Angeboten gibt. Das sind zum Beispiel die Kolleginnen und Kollegen in der Seelsorge im Gesundheitswesen, also etwa in Notfallkliniken oder Palliativstationen, wo die Nachfrage riesig ist. Ein Bereich, in dem ich auch mitarbeiten darf, ist die deutschlandweite Internetseelsorge. Wir könnten – wenn wir mehr Kolleginnen und Kollegen hätten, die mitarbeiten – mit Sicherheit das Doppelte bis Dreifache an Gesprächen führen. Wir haben ein breites Angebotsfeld, das Leute aufsuchen, ohne konkret nach Kirche zu suchen.
Frage: Inwiefern?
Siller: In der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" heißt es ganz am Anfang: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi." Mit dieser Freude, Hoffnung, Trauer und Angst suchen die Menschen heute ganz generell nach Gesprächspartnerinnen und -partnern und treffen dabei eher zufällig auf kirchliche Angebote. Und diese Zufälligkeit können wir gerade im digitalen Kontext nutzen.
Frage: … weil man nicht auf den ersten Blick sieht, dass es ein kirchliches Angebot ist?
Siller: Viele Menschen, die spirituell unterwegs sind, suchen tatsächlich einfach nach Seelsorge oder geistlicher Begleitung im Internet und wählen dann aus dem großen Portfolio der Angebote – ob kirchlich oder nicht. Wenn wir da gut platziert sind, wir ein gutes Angebot haben und qualitativ überzeugen, dann wird das Angebot auch wahrgenommen. Ich glaube, wir haben mehr denn je im digitalen Raum die Chance, unsere Kompetenzen, unsere Qualitäten zu zeigen und ins Spiel zu bringen.
Frage: Was würden Sie sich mit Blick auf Kirche und Digitalität in Zukunft noch wünschen?
Siller: Ich würde mir wünschen, dass die deutschsprachige Kirche mehr Mut hätte, gerade in diesem Bereich Vernetzungsarbeit zu leisten. Es ist völlig verständlich, dass zum Beispiel Notfallseelsorge, Klinikseelsorge, Polizeiseelsorge oder auch territoriale Gemeindearbeit vor Ort organisiert wird. Es gibt aber Felder, da ist es sinnvoll, dass wir uns in anderen Größen vernetzen. Das funktioniert noch immer nicht hundertprozentig. Da würde ich mir wünschen, dass die Kirchen – und das meine ich ganz ökumenisch – mutiger wären, um gemeinsam im digitalen Raum präsent zu sein. Auch wenn das im Zweifelsfall bedeutet, Besonderheiten abzugeben. Wenn wir in manchen Bereichen gemeinsam auftreten könnten, dann würde unsere christliche Botschaft mehr Aufmerksamkeit bekommen.