Hilfe zum Leben statt zum Sterben
Frage: Frau Flachsbarth, Ende der Woche veranstaltet der KDFB gemeinsam mit der Gemeinschaft Katholischer Männer und Frauen (KMF) eine große Tagung zum Thema Sterbehilfe. Mit welchem Ziel?
Flachsbarth: Als Präsidentin des KDFB, aber auch als Bundestagsabgeordnete, ist es mir wichtig, dass die Sterbehilfe-Debatte keine reine Parlamentsdebatte bleibt, sondern durch eine breite Diskussion in der Gesellschaft begleitet wird. Denn oftmals ist die Forderung nach Sterbehilfe ja auch Ausdruck von Unkenntnis über mögliche Hilfen, die es heute schon gibt. Die wollen wir mit der Tagung aufzeigen. Als Frauenbund schauen wir dann aber noch einmal ganz besonders auf die Geschlechterperspektive, weil in der Realität die Pflegenden in großer Mehrheit Frauen sind: in der Familie vor allem Ehefrauen, Schwestern oder Töchter. Und auch die Ehrenamtlichen in Hospizvereinen sind größtenteils Frauen.
Frage: In der Einladung zur Tagung heißt es, beim Thema Sterbehilfe gehe es um die Gewissensentscheidung der Bundestagsabgeordneten, aber auch um die jedes Einzelnen. Was ist damit gemeint?
Flachsbarth: Wenn es um den persönlichen Tod geht, dann ist das sicher eine Frage, die jeder und jede selbst mit dem eigenen Gewissen ausmachen muss. Und das kann möglicherweise erst dann sein, wenn das Sterben kurz bevorsteht. Eine andere Frage ist aber, welchen Rahmen die Politik dafür schafft und unter welchen Bedingungen wir als Gesellschaft Menschen in einer der schwierigsten Situationen ihres Lebens begleiten wollen. Oder wollen wir sie gar mit dieser Situation allein lassen? Im Bundestag sind wir uns mittlerweile sicher, dass wir das nicht wollen und dass wir Rahmenbedingungen brauchen. Deshalb gibt es nun neben den gesetzlichen Initiativen zur Sterbehilfe auch den Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministers zur Förderung der Hospize und Palliativmedizin.
Frage: Im Herbst könnte der Bundestag dann bereits ein neues Gesetz zur Sterbehilfe erlassen. Wie ist da der Stand der Dinge?
Flachsbarth: Noch wird über die unterschiedlichen Positionen diskutiert und verhandelt. Voraussichtlich Ende Mai werden die unterschiedlichen Gruppenanträge vorgestellt. Ich bin dabei für ein vollständiges Verbot des organisierten assistierten Suizids. Denn diese Form der Sterbehilfe braucht unsere Gesellschaft nicht, um eine würdige letzte Lebensphase zu gewährleisten. Wir haben nämlich bereits viele gesetzliche Regelungen, die Sterbenden und Angehörigen diese Phase erleichtert. Zum Beispiel die Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung , in der dezidiert geregelt werden kann, welche Maßnahmen den Ärzten erlaubt werden sollen, wenn ich nicht mehr selbst über mich bestimmen kann. Außerdem ist es bereits jetzt erlaubt, im Rahmen der Palliativmedizin sehr starke Schmerzmittel einzusetzen – auch auf die Gefahr hin, dass die das Leben eventuell verkürzen. Die "palliative Sedierung" ist eine Möglichkeit, Sterbende, die unter starken Schmerzen oder Ängsten leiden, in eine Art Narkose zu legen.
Frage: Sind wir damit denn noch weit entfernt vom assistierten Suizid?
Flachsbarth: Ja. Denn es ist ganz klar verboten, Menschen zu töten. Ihnen beim Sterben beistehen, Schmerzen, Leiden und Ängste lindern: ja - töten: nein. Der assistierte Suizid ist zudem auch eine Möglichkeit für Menschen, sich das Leben zu nehmen, die gar nicht im Sterben liegen. Sie sind schrecklich verzweifelt, vielleicht auch schwer depressiv, aber sie liegen definitiv nicht im Sterben. Wenn solchen Menschen die Möglichkeit gegeben wird, sich durch einen assistierten Suizid das Leben zu nehmen, macht es sich die Gesellschaft zu einfach. Es muss andere Hilfsangebote geben, die zum Leben helfen und nicht zum Sterben.
Frage: Der Untertitel ihrer Tagung lautet "In Gottes und der Menschen Hand". Wie weit geht für Sie als Christin die Selbstbestimmung?
Flachsbarth: Ich ganz persönlich glaube, dass mein Leben in Gottes Hand liegt und dass ich kein Recht habe, mir das Leben zu nehmen. Genauso wenig wie ich über meine Geburt verfüge, verfüge ich über den Zeitpunkt meines Todes. Ich sage aber ausdrücklich, dass ich deshalb diejenigen nicht verurteile, die ihre Situation als so unerträglich empfinden, dass sie ihrem Leben selbst ein Ende setzen. Da sind wir als Christen verpflichtet, auf die Angehörigen zuzugehen, ihnen helfend beizustehen und soweit gewünscht, den Verstorbenen christlich zu beerdigen.
Frage: Welchen Beitrag können die Kirchen und welchen jeder einzelne Christ leisten?
Flachsbarth: Die Kirchen stehen durch christliche Hospizvereine, durch palliativmedizinische Angebote oder Pflegeheime, in denen Menschen sterben, in der Verantwortung. Doch auch die einzelnen Christen stehen vor einer großen Herausforderung: es geht darum, das Sterben in der Gesellschaft wieder mehr ins Blickfeld zu nehmen. Denn die Angst vor dem Tod hat auch immer etwas mit Tabuisierung zu tun. Selbstverständlich geht es auch um die Schmerzen und das endgültige Abschiednehmen. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Aber wir Christen können in diesen Momenten noch einmal ganz andere Antworten geben. Wir glauben an das Evangelium, wir glauben an die Auferstehung und an ein Leben nach dem Tod.