"Auch ungeweihte Gotteshäuser sind Identitätsräume"

Denkmalschützer: Abrisse von Kirchen machen die Menschen nicht mit

Veröffentlicht am 20.01.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Renzikowski (KNA) – Lesedauer: 

München ‐ Dass Kirchen entweiht werden, war in Bayern bisher sehr selten. Doch das ändert sich gerade und die Fälle nehmen zu. Wie man die Bauten weiter "anständig" nutzen kann, erklärt Generalkonservator Mathias Pfeil im Interview.

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Abrissbirne oder Anschlussnutzung? Immer öfter stehen Kirchengemeinden vor der Frage, wie sie mit Gotteshäusern umgehen sollen, die sie nicht mehr unterhalten können oder auch nicht mehr benötigen. Bayerns Generalkonservator Mathias Pfeil hat dazu eine klare Haltung: Einen Abriss wollen die Menschen in Bayern nicht, sagt er. Das dürfe nur der allerletzte Ausweg sein. Besser wäre es, sich bei der Anschlussnutzung von Tabus zu verabschieden.

Frage: Herr Pfeil, Ingolstadt, Ebenhausen, Füssen – Berichte über Entweihungen katholischer Kirchen in Bayern häufen sich derzeit. Ein Zufall?

Pfeil: Sicher nicht. Der Rückgang der Gläubigen führt dazu, dass die Kirchen nicht mehr genug Geld haben und sich Gedanken machen müssen, wie sie mit weniger Mitteln den Bestand halten können.

Frage: In Deutschland wurden seit dem Jahr 2000 mehr als 500 katholische Gotteshäuser entweiht. Haben Sie einen Überblick über das Geschehen in Bayern?

Pfeil: Nein. Wir haben nur einzelne Fälle. Mein Eindruck: In Bayern ist der Prozess noch nicht so weit fortgeschritten wie etwa in den Niederlanden oder Belgien. Aber die Fälle nehmen zu.

Frage: Welche Art von Kirchen muss zuerst dran glauben – gibt es da ein Muster?

Pfeil: Nach meinen Beobachtungen bemühen sich die Bistümer selber darum, denkmalgeschützte Gebäude und solche mit einem hohen identitätsstiftenden Faktor zu halten. Sie versuchen, Profanierungen zu vermeiden und die Kirchenstiftungen mit in die Verantwortung zu nehmen. Sie anzuhalten, mit ihren Immobilien so umzugehen, wie es betriebswirtschaftlich sinnvoll erscheint.

Frage: Wie viele Gotteshäuser stehen bei uns unter Denkmalschutz?

Pfeil: Die meisten. Grob geschätzt 80 bis 90 Prozent. Inzwischen gibt es ja Überlegungen, Schwerpunktkirchen in gewissen Räumen zu identifizieren. Da tun sich Konfliktfelder auf, aber das lässt sich wohl nicht vermeiden.

Frage: Droht ein Schwund von Kirchenbauten des 20. Jahrhunderts? Diese von zeitgenössischen Architekten aus Backstein und Beton errichteten Gebäude scheinen manchen weniger beseelt zu sein als barocke Gotteshäuser.

Pfeil: Es gibt sehr gute Kirchen aus den 1950er und 1960er Jahren. Die sind inzwischen auch schon fast alle Denkmäler und viel anerkannter als noch vor zehn Jahren. Also: Den großen Kirchenkahlschlag sehe ich da nicht. Solche Kirchen sind oft auch besser nutzbar als historische. Man kann sie leichter unterteilen, ohne die Raumwirkung komplett zu zerstören. Man kann in ihnen oft auch mehr Einbauten unterbringen. In München gibt es eine Kirche, da wurden die Räume der Pfarrei ins Innere verlegt und mit Glas abgetrennt.

Mathias Pfeil, Architekt und Generalkonservator des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege
Bild: ©KNA/Christoph Renzikowski

Mathias Pfeil ist Architekt und Generalkonservator des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege.

Frage: Abreißen oder umwidmen – was ist besser?

Pfeil: Auf jeden Fall umwidmen. Gotteshäuser sind auch ungeweiht und ohne kirchliche Nutzung Identitätsräume. Am besten ist, wenn man es schafft, in diese Gebäude Leben zu bringen: Kultur, Kunst, Engagement, Erziehung. Abreißen ist nur die allerletzte Möglichkeit – und da machen die Menschen in Bayern auch nicht mit. Ich kenne jedenfalls keine einzige solche Debatte, die bei uns einvernehmlich zu so einem Ergebnis geführt hat.

Frage: In Ingolstadt stand die Franziskanerkirche vor dem Aus. Nicht zuletzt dank des Einsatzes des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der mit der Kirche seit seiner Jugend eng verbunden ist, wurde dieses Schicksal abgewendet. Hängt künftig von prominenten Fürsprechern ab, welches Gotteshaus bleibt und welches preisgegeben wird?

Pfeil: Prominente Fürsprecher wissen ganz genau, warum sie so agieren. Da gibt es nicht nur persönliche Motive, sondern die wissen auch, dass die Menschen einen Abriss nicht möchten. Ich glaube, in Bayern ist die Identität sehr stark mit Gotteshäusern verbunden. Aus dem Grund haben wir noch bessere Chancen, unsere Kirchenlandschaft zu erhalten als anderswo.

Frage: Wo sehen Sie gelungene Beispiele – und wo läuft etwas schief?

Pfeil: Die Kirche eines bekannten Architekten in Kelheim ist nun ein Künstleratelier. Das finde ich sehr schön. Da gab es auch Proteste in der Bevölkerung gegen einen geplanten Abriss. Das Gebäude wurde verkauft und wird jetzt sehr anständig genutzt. Kirchen sind für mich lebendige Räume. Bevor aus ihnen ein Beinhaus wird, hätte ich lieber ein Kulturzentrum.

Frage: In Ingolstadt weicht Sankt Monika dem Bau von Sozialwohnungen.

Pfeil: Ich habe davon gehört. Der Gedanke ist furchtbar. Am Schluss kann das auch ein Ergebnis sein. Aber es gefällt mir nicht.

Frage: Bisher schließen die Kirchen bestimmte Anschlussnutzungen für ihre Gotteshäuser aus. Lassen sich solche Tabus halten?

Pfeil: Das wird man sehen. Aber ich glaube etwa nicht, dass es auf Dauer sinnvoll ist, zu verbieten, dass andere Religionsgemeinschaften in sie einziehen.

Von Christoph Renzikowski (KNA)