Standpunkt

Christen-Hasser denken oft ökumenischer als wir selbst

Veröffentlicht am 29.01.2024 um 00:01 Uhr – Von Abt Nikodemus Schnabel – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Gebete und Begegnungen der Gebetswoche für die Einheit der Christen haben Abt Nikodemus Schnabel nachdenklich gemacht. Wer an der Aktion teilnehme, der ändere seine Sicht auf die Gläubigen im Heiligen Land.

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Gestern war hier in Jerusalem das Ende der Gebetswoche für die Einheit der Christen, welche bei uns erst am Samstag nach dem Armenischen Weihnachtsfest am 19. Januar – da das Armenisch-Apostolische Patriarchat von Jerusalem dem Julianischen Kalender folgt, fällt deren Weihnachtsfest am 6. Januar hier auf den 19. Januar – beginnt und ganze neun Tage dauert. Jeden Abend haben sich etwa jeweils 200 Christinnen und Christen in einer anderen Kirche versammelt um jeweils für etwa eine Stunde für die Einheit der Christen zu beten. Nach dem Gebet, das immer sehr stark die liturgische Handschrift der gastgebenden Kirche trug, aber stets die anderen Kirchen bei den Lesungen, Fürbitten und beim Segen einbezog, gab es immer einen Empfang, bei dem es ausreichend Raum für den geschwisterlichen Austausch gegeben hat.

Die Liste der neun Gebetsstationen ist beeindruckend: 1. Das Griechisch-Orthodoxe Patriarchat auf Golgota in der Grabes- und Auferstehungskirche; 2. Die Anglikaner in ihrer Kathedrale; 3. Das Armenisch-Apostolische Patriarchat in seiner Kathedrale; 4. Die Lutheraner und Reformierten in der Erlöserkirche; 5. Die Kustodie der Franziskaner in der Römisch-Katholischen Pfarrkirche St. Salvator; 6. Die Benediktiner der Dormitio zusammen mit den Studierenden des Theologischen Studienjahrs im Abendmahlssaal; 7. Das Koptisch-Orthodoxe Patriarchat zusammen mit dem Syrisch-Orthodoxen Patriarchat in der koptischen St. Georgskirche; 8. Das Äthiopisch-Orthodoxe Patriarchat in seiner Kathedrale und 9. Das Melkitische Griechisch-Katholische Patriarchat in seiner Kathedrale.

Es waren nachdenkliche Gebete und Begegnungen. Es wurde sowohl für die Opfer des 7. Oktober als auch für die Opfer in Gaza gebetet. Das Leid der christlichen Glaubensgeschwister in Israel, besonders der Migranten, von denen am 7. Oktober vier ermordet wurden, war genauso präsent wie das Leid der christlichen Glaubensgeschwister in Gaza, von denen mittlerweile 27 getötet wurden. Es wurde aber nicht nur für die Opfer, sondern auch für die Täter gebetet, dass sie ihre Taten bitterlich bereuen, umkehren und in Gott einen barmherzigen Richter finden. Nachdenkliche Predigten wurden gehalten. Ein wiederkehrendes Motiv war die Erkenntnis, dass die, die uns hassen, ökumenischer denken als wir selbst. "Tod den Christen" ist ein häufig auf Hebräisch gesprühtes Graffiti auf den Kirchen, niemals jedoch "Tod den Anglikanern", "Tod den Katholiken" oder "Tod den Griechisch-Orthodoxen".

Mein Vorschlag: Wer das ernsthafte Bedürfnis hat, als Christenmensch seine Solidarität mit seinen Glaubensgeschwistern im Heiligen Land, also mit den Christen in Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten, zu zeigen, der sollte Ende Januar nach Jerusalem reisen und an dieser Gebetswoche teilnehmen! Ich muss aber vorwarnen: Sie werden anders heimkehren als sie gekommen sind, und das ein oder andere Statement zur Situation hier lässt sich dann nicht mehr so eindeutig formulieren wie bisher!

Von Abt Nikodemus Schnabel

Der Autor

Nikodemus Schnabel OSB ist Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem und Direktor des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft (JIGG).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.