"The Woman in the Wall": Zwangsadoptionen und die Schuld der Kirche
Mutter wird man nicht, indem man ein Kind gebiert; Mutter sein muss man sich verdienen, sagt an einer Stelle von Joe Murtaghs BBC-Serie eine Nonne zu Lorna Brady (Ruth Wilson). Zu entscheiden, wer es verdient, war in Lornas irischem Heimatort Kilkinure lange Zeit Sache der katholischen Kirche. Lorna hatte es, als sie ein Teenager war, nach Schwester Eileens Auffassung nicht verdient. Auf Anraten ihres Pfarrers hatten Lornas Eltern ihre unehelich schwangere Tochter der Obhut des örtlichen Klosters anvertraut, das in seinen Mauern ein "Mutter-Kind-Heim" führte. Später verließ sie es ohne Baby – und mit einem lebenslangen Trauma.
Als erwachsene Frau lebt Lorna nach wie vor in Kilkinure – als "oddball", wie es der örtliche Polizist (Simon Delaney) ausdrückt, als wunderliche Außenseiterin, die nach ihrer schmachvollen Schwangerschaft nie geheiratet hat, allein in ihrem Elternhaus wohnt, im örtlichen Nähgeschäft arbeitet und unter Schlafstörungen leidet, die ihre psychische Stabilität ins Wanken bringen – sie schlafwandelt und kann manchmal Realität und Traum nicht unterscheiden. Zu Beginn der Serie gabelt die Kamera sie eines Morgens auf, als sie im weißen Nachthemd, das ein Blutfleck ziert, auf der Landstraße zu sich kommt und erhobenen Hauptes versucht, auf dem Weg nach Hause die Blicke der Nachbarn an sich abprallen zu lassen. Es wird dauern, bis sie wieder besser schlafen kann – erst werden zwei Leichen auftauchen und die Geschichte von dem, was Lorna und anderen Frauen von Kilkinure im "Mutter-Kind-Heim" geschah, wieder an die Oberfläche bringen.
Die Geschichte der "Magdalene Laundries" liefert den Hintergrund
Den historischen Hintergrund zu der sechsteiligen Krimiserie liefern die "Magdalene Laundries", jene kirchlichen Einrichtungen, in denen in Irland (und anderen Ländern) ab dem späten 18. Jahrhundert "gefallene" Frauen untergebracht wurden – vordergründig ein Akt der Wohltätigkeit, tatsächlich ein auf Bigotterie und Misogynie gründendes Straf- und Ausbeutungssystem, in dem Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen aus dem Netz familiärer Absicherung gerutscht waren, unter erbärmlichen Umständen Zwangsarbeit leisten mussten (oft in kommerziell geführten Wäschereien; daher der Name "Laundries"). Und das erstaunlicherweise bis in die 1990er-Jahre – "im Radio lief 'Macarena'", kommentiert in "The Woman in the Wall" eine der Frauen, die ungefähr zur gleichen Zeit wie Lorna im Konvent von Kilkinure in der Wäscherei arbeitete, diesen Anachronismus. Zwar hat 1993 der Fund eines Massengrabs auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters in Dublin dazu geführt, dass die unmenschlichen Praktiken der "Magdalene Laundries" in den Fokus der medialen Öffentlichkeit gerieten; es dauerte aber bis 1996, bis die letzte Einrichtung geschlossen wurde, und bis 2013, bis sich Irland offiziell bei den Opfern entschuldigte.
Was geschah mit den Kindern?
Die zentrale Handlung von "The Woman in the Wall" spielt in jener Zeit der 2010er-Jahre, in der erstmals auch finanzielle Kompensationen an Opfer der "Magdalene Laundries" bereitgestellt wurden. In einem Seitenstrang versucht eine Gruppe von Frauen aus Kilkinure, die wie Lorna im "Mutter-Kind-Heim" gelitten hatten, die Anerkennung der Institution als "Magdalene Laundry" zu erstreiten und somit ein Recht auf Entschädigungsgeld zu bekommen. Im Zentrum aber steht die Frage: Was geschah mit den Kindern, die dort zur Welt gekommen sind?
Lorna Brady hat zunächst kaum noch Hoffnung, eine Antwort darauf zu bekommen. Ihr Baby wurde ihr direkt nach der Geburt weggenommen und, davon geht sie aus, in eine andere Familie gegeben; Genaueres darüber hat sie nie in Erfahrung bringen, geschweige denn das Kind ausfindig machen können. Dann aber landet eine anonyme Nachricht bei ihr: Der unbekannte Absender behauptet, er oder sie wüsste etwas über den Verbleib ihres Kindes. Das erbetene Treffen kommt nicht zustande; stattdessen findet Lorna eines Morgens eine tote Frau in ihrem Haus, gerät in Panik und versteckt die Leiche kurzerhand in einer der Hohlwände.
Und noch eine andere Leiche sorgt für Unruhe: Ein Priester wurde erschlagen; sein Auto findet man an der Straße bei Kilkinure. Der junge Dubliner Detective (Daryl McCormack), der in dem Fall ermittelt, braucht nicht lange, um herauszufinden, dass der Geistliche einst in Kilkinure wirkte und Anteil daran hatte, Mädchen wie Lorna in die Obhut der Nonnen zu bringen. Ist der Mord eine späte Rache einer der Frauen? Als kurz darauf der von der Polizei in Kilkinure sichergestellte Wagen des toten Priesters in Flammen aufgeht, gerät wegen einer Überwachungskamera-Aufnahme Lorna in Verdacht. Die wiederum versucht ihrerseits herauszufinden, was es mit der Toten in ihrer Wand auf sich hat, und die Spur ihres Kindes, die ihr in der Nachricht in Aussicht gestellt wurde, zu finden. Dabei treffen sich ihre Ermittlungen schließlich mit denen des Detectives, der ganz persönliche Gründe hat, nicht nur den Tod des Priesters aufzuklären, sondern auch dessen Verwicklung in die Praxis der "Magdalene Laundries" und den Umgang mit den dort geborenen Babys.
Dramen-Stoff mit Schlagseite zu Mystery und Schauergeschichte
In seinem Film "Philomena" hatte Stephen Frears 2013 (im selben Jahr, in dem der irische Staat seine Mitverantwortung übernahm) die Geschichte der "Laundries" bereits öffentlichkeitswirksam thematisiert. Was "The Woman in the Wall" von dieser und anderen filmischen Aufarbeitungen – am bekanntesten dürften Peter Mullans "The Magdalene Sisters" ("Die unbarmherzigen Schwestern", 2002) sein – unterscheidet, ist eine deutliche Schlagseite Richtung Mystery und Gothic Tale. Eine Genre-Wahl, die gut geeignet ist, um jenseits der beschämenden Fakten die psychischen Auswirkungen der Praxis der "Magdalene Laundries", den Horror deutlich zu machen.
Ruth Wilson, die die Serie auch mitproduziert hat, scheint am Anfang, wenn sie im weißen Nachthemd auf der Landstraße erwacht, wie eine moderne Neuinterpretation der "Frauen in Weiß" der viktorianischen Schauerliteratur, deren Erscheinen mahnend auf verborgenes Unrecht verweist; und wenn sie später die Tote in ihrer Wand verbirgt, beginnt ein Hauch von Edgar Allan Poe durch die Serie zu wehen. Viele Szenen, die bei Nacht beziehungsweise in dunklen Innenräumen spielen und mit markanter Beleuchtung arbeiten, verbreiten Neo-Noir-Flair. Und Erinnerungen und Albträume (nicht nur von Lorna, sondern auch von dem jungen Inspektor) drängen sich wie Schatten in die Erzählgegenwart. Dabei hat die Serie in dem Crime-Plot um die beiden Leichen stets einen festen roten Faden, an dem sie, der nicht ganz zuverlässigen Wahrnehmung ihrer Hauptfigur zum Trotz, bis zum Ende eine straffe Spannungsdramaturgie festmachen kann.
Ruth Wilson, die sich hier förmlich die Seele aus dem Leib spielt, gibt eine weibliche Hauptfigur ab, wie man sie faszinierender lange nicht gesehen hat – keine rührende Heldin, mit deren Leiden an Tränendrüsen und Beschützerinstinkte appelliert wird, sondern eine eigenwillige, zwischen widerborstiger Stärke und Wahn changierende Einzelkämpferin. Lornas Ziel mag es sein, das verlorene Kind wiederzufinden, der Weg dahin wird für sie aber vor allem zur Chance, die von Scham, Schuldgefühlen und Totschweigen des Vergangenen gespeiste Isolierung von anderen Menschen, in der sie sich befindet, allmählich zu überwinden.
Kollektiver Schuld-Komplex statt individuelle Passionsgeschichte
Dem ist zuträglich, dass das Serienformat Autor und Showrunner Joe Murtagh den Raum gibt, Lornas Schicksal mit dem anderer Figuren zu verquicken und die Geschichte der "Magdalene Laundries" nicht als individuelle Passionsgeschichte, sondern als kollektiven Schuld-Komplex in den Blick zu nehmen. Der junge Detective, über dessen Backstory das Schicksal der von der katholischen Kirche in die Adoption vermittelten (oder klarer: verkauften) Kinder der Magdalene-Mütter in die Serie integriert wird, macht deutlich, dass hier nicht nur Frauen Gewalt angetan wurde, und wird im Lauf der Serie zur zweiten Hauptfigur. Markante Nebenfiguren bringen weitere Facetten des Unrechtssystems der "Laundries" ins Spiel, wie etwa Lornas Leidensgenossinnen, die auf unterschiedliche Weise mit ihren Erfahrungen umgehen, oder der örtliche Polizist, der anfangs die verstörte Lorna gegen die Ermittlungen des Detectives in Schutz zu nehmen scheint, bis sich herausstellt, dass ihn wohl nicht nur Mitleid mit ihr, sondern eigene Schuld- und Schamgefühle daran hindern, ihre Leidensgeschichte und die anderer Frauen mit den aktuellen Mordermittlungen in Zusammenhang bringen zu wollen.
Er und andere Bewohner Kilkinures, die die Serie in den Blick nimmt – etwa der Bruder einer von Lornas Leidensgenossinnen oder ein Verehrer von Lorna – verdeutlichen, dass das den Frauen angetane Leid wie eine Infektionskrankheit ist: ansteckend. Immun dagegen scheinen ironischerweise nur die zu sein, die es in die Welt gesetzt haben. Die wohl schmerzhafteste Szene der Serie – und das ganz ohne Albtraum-Anklänge – ist eine nüchterne Dialogszene, in der Lorna Schwester Eileen (Frances Tomelty), die in den 1990er-Jahren eine ihrer Peinigerinnen war, konfrontiert und von ihr Auskunft über das Schicksal ihres Kindes einfordert. Und an der Mauer aus Selbstgerechtigkeit, Reuelosigkeit und Verachtung, die die alte Nonne um sich errichtet hat, förmlich zerschellt.
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