Theologe zu Tanz in der Kirche: "Neue Dimension für den Gottesdienst"
Gehört Tanz in die Kirche oder nicht? Für den Bonner Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards ist das nicht immer eindeutig. Im Interview spricht er über Chancen von bewegten Körpern und darüber, warum Drogen dabei keine Rolle spielen sollten.
Frage: Herr Gerhards, gehört Tanz in die Kirche oder nicht?
Gerhards: Das hängt davon ab, wen man fragt. Ich erinnere mich, dass wir einmal bei einer Messe in Köln einen Tänzer einbeziehen wollten. Das wurde verboten, weil Tanz angeblich nicht in den katholischen Kirchenraum gehöre. Ich finde, dass Tanz als ganzheitlicher Ausdruck in den Kirchenraum gehört. Kirche ist Lebensraum aller, die sich miteinander und vor Gott ausdrücken wollen.
Frage: Also Discos in den Kirchen?
Gerhards: Das gibt es ja mancherorts. Natürlich muss man diskutieren, wo die Grenzen sind. Wenn Tanz eine Erfahrung von Gemeinschaft ist, hat er immer einen positiven Aspekt. Wenn es eine ekstatische Vereinzelung ist, insbesondere wenn Drogen im Spiel sind, halte ich es für problematisch. Dann führt der Tanz nicht zu dem, was Gottesdienst sein soll: Gottesbegegnung und Begegnung mit anderen Menschen. Gottesdienst fasse ich in diesem Zusammenhang weiter als das, was wir traditionell darunter verstehen.
Frage: Können Sie das konkretisieren?
Gerhards: Bei Techno zum Beispiel stellt sich mir die Frage, ob er nicht möglicherweise der Idee eines christlichen Gottesdienstes widerspricht. Es geht mir nicht um den Stil, sondern um die Frage, ob diese Musik die Menschen zusammenführt und zu Gott führt. Das muss in jedem Einzelfall neu ausdifferenziert und -diskutiert werden.
Frage: Wie blickte die Kirche in der Vergangenheit auf das Tanzen?
Gerhards: Die Kirche stand dem Tanzen immer eher abgeneigt gegenüber. In der alten Kirche gab es ein Verbot antiker Kulte. Dazu gehörte auch der Tanz und alles, was mit Sexualität und Ekstase zu tun hat. Man wollte das Gegenteil, die Verinnerlichung. Ab dem vierten und fünften Jahrhundert entwickelte sich Liturgie im heutigen Sinn. Da finden wir etwa Prozessionen und das Umschreiten von heiligen Orten wie dem Altar. Liturgie hat oft eine Nähe zumindest zu Grundformen des Tanzes.
Frage: Aber der Tanz selbst spielte in der Kirchengeschichte gar keine Rolle?
Gerhards: Doch. Im religiösen Leben jenseits von priesterlich geleiteter und kirchlich geregelter Liturgie gab es immer Formen des Tanzes, zum Beispiel in den lateinamerikanischen und asiatischen Ländern und in vielen ostkirchlichen Riten. In der äthiopischen Kirche ist Liturgie ohne Tanz gar nicht denkbar. In der römisch-katholischen Kirche gibt es heute Überschneidungen von Tanz und Liturgie, aber auch Ressentiments.
Frage: Welche Rolle spielt in der katholischen Kirche der Körper, also die Leiblichkeit? In den meisten Kirchen ist ein nackter Körper – Jesus am Kreuz – zentral zu sehen.
Gerhards: Wir haben einerseits eine Zurschaustellung des Körperlichen, andererseits eine Leibfeindlichkeit. Dieser Widerspruch steckt auch im Thema Tanz. In der Zeit des Barocks im 17. Jahrhundert gab es mehr Körperliches und Sinnenfreudiges – auch im Kirchenraum. Unser Kirchenbild heute ist vom 19. Jahrhundert geprägt, das sehr auf das Jenseits bezogen war. Dazu gehörten dieses Leibfeindliche und ein Bild vom Kirchenraum, in dem man still sein musste und keine falschen Gedanken haben durfte. Das Bejahende und das Körperliche waren in Vergessenheit geraten, obwohl die Aussage "Gott ist Mensch geworden" ganz zentral ist im Christentum.
Frage: Was sagt die Bibel zum Körper und zum Tanzen?
Gerhards: Das Alte Testament und das Judentum sind sehr leibbezogen. Das Neue Testament ist stärker auf das Jenseits bezogen und darauf, dass das Ende nah ist. So hat auch das frühe Christentum Vorstellungen verstärkt wie etwa, dass Sexualität nur da ist, um Nachwuchs zu zeugen, und es ein Ideal ist, keusch zu leben. Gleichzeitig gibt es zum Beispiel das bekannte Jesuswort: "Wir haben für euch auf der Flöte gespielt, und ihr habt nicht getanzt" (Mt 11,17). Das zeigt, dass es Tanz in Jesu Umfeld gab.
Frage: Bietet Tanz im Gottesdienst eine Chance?
Gerhards: Tänzerinnen und Tänzer können eine neue Dimension in einen Gottesdienst hineinbringen. Tanz oder auch Bilder und Kunstinstallationen im Kirchenraum können eine starke Erfahrung sein. Es ist etwas anderes, ob man in einer Kirche ist oder in einem neutralen Saal. Die Menschen merken, dass die Orte etwas Besonderes haben und inspirieren.
Frage: Was halten Sie davon, wenn es im Gottesdienst öfter heißen würde: Wir bewegen uns jetzt alle mal?
Gerhards: Im Prinzip finde ich das sinnvoll. Aber es geht nur gut, denke ich, wenn die Gemeinde darin eine gewisse Übung hat und der Kirchenraum dazu passt. Außerdem braucht es eine professionelle Anleitung. Wenn es gekonnt läuft, gibt es wunderbare Erfahrungen. Dann wird auf eine andere Art Gotteslob ausgedrückt. Wenn es dilettantisch läuft, führt es wohl eher ins Gegenteil.