Barbara J. Lins macht christlichen Tanz

Gebet in Bewegung

Veröffentlicht am 17.11.2016 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Die Tänzerin macht einen Sprung
Bild: © Privat
Kunst

Bonn ‐ Darf man Tanz und katholischen Glauben verbinden? Barbara J. Lins hat das für sich bejaht - unter einer Bedingung: Es muss gut sein. Seither tritt die Choreografin mit ihren Tänzen auf, auch in Kirchen.

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Nach einem Schlüsselerlebnis macht Barbara J. Lins auch christlichen Tanz - und bezieht Themen mit ein, die sie beschäftigen. So kam sie unter anderen an den Auftrag, für die Ausstellung "Die 7 Todsünden" im Diözesanmuseum St. Afra der Diözese Augsburg eine choreografische Produktion zu entwickeln. Im Interview mit katholisch.de spricht sie darüber, wann sie lieber tanzend betet, was sie erlebt, wenn sie in Kirchen auftritt und warum es jeden bereichern könnte, sich bewusster mit seiner Körperhaltung auseinanderzusetzen.

Frage: Frau Lins, Sie sind ausgebildete Tänzerin und Tanzpädagogin. Wie sind sie darauf gekommen, das mit ihrem Glauben zu verbinden?

Lins: Schon als Kind habe ich eine Leidenschaft zum Ballett entwickelt. In meiner Ballettschule wurde ich gefördert und sollte ans Theater gehen. Doch da kam aus der Gemeinde der Spruch "Tanz und Prostitution sind das Gleiche". Das hat mich zunächst abgeschreckt, ich habe aber weitertrainiert und bin auch weiter in die Kirche gegangen. Im Tanz habe ich mich viel freier gefühlt, mich sehr viel mehr als mich selbst wahrgenommen. Erst nach einigen Lebenskrisen und einer Auszeit, in der ich meinen Glauben überdacht hatte, habe ich verstanden, dass ich Glauben und Tanz nicht trennen muss.

Frage: Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Lins: Ja, das gab es sogar! Ich bin einen Feldweg entlanggelaufen, als in mir die Sehnsucht zu Tanzen aufkam, aber auch der Frust und die Trauer, nicht tanzen zu können. Daraufhin kamen mir die Fragen: Wer sagt das eigentlich, dass du als gläubiger Mensch nicht so innig tanzen kannst, wie du es willst und brauchst? Und wer verbietet mir das? Menschen? Gott? Das war eine sehr eindrückliche Anfrage. Ich habe sie damit beantwortet, dass, wenn Gott es mir nicht verbietet, es eine Aufforderung ist, mir einen Weg zu suchen. Und das hab ich dann gemacht [lacht].

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Video: © katholisch1.tv

Ein Tanz über die sieben Todsünden: Choreografin Barbara J. Lins spricht darüber, was sie daran interessiert und inspiriert hat.

Frage: Wie ging es dann weiter?

Lins: Ich habe mir gesagt: Wenn ich das für Gott mache, dann darf es kein Rumgehüpfe sein, sondern muss so gut sein, dass die Menschen davor Respekt haben. Daher habe ich unter anderem eine Ausbildung zur Tanzpädagogin an der Akademie in Remscheid (heute: Akademie der Kulturellen Bildung) gemacht. Zuerst habe ich nur im frommen Kontext getanzt, nur Psalmen und Verkündigung. In der säkularen Tanzszene gab es eine große Offenheit meinem Weg gegenüber: Die Menschen waren teilweise sogar richtig neugierig. Ich war oft überrascht, welche Gespräche da möglich waren – Gespräche, die ich nie hätte führen können, wenn ich missionarisch aufgetreten wäre.

Frage: Was ist für Sie eigentlich christlicher Tanz?

Lins: Die Frage ist, ob es christlichen Tanz überhaupt gibt. Tanz als Sprache des Körpers hat in allen Bereichen der Gesellschaft was zu sagen. Für mich ist daher die Zusammenführung von Tanz und meinem katholischen Glauben sehr gut möglich – auch, weil man durch die Arbeit eine Verbindung von Körper, Geist und Seele herstellen kann. Dieser Effekt wird zum Beispiel auch in der Tanztherapie genutzt.

Frage: Unterscheidet sich denn christlicher Tanz, wie Sie ihn verstehen, in der Technik oder im Aussehen vom "normalen" Tanz?

Lins: Natürlich gibt es Bewegungen, die man in der Kirche nicht machen kann, zum Beispiel kann ich mich nicht auf den Altar legen, auch erotische Hüftschwünge gehören da nicht hin. Ansonsten unterscheidet sich der christliche Tanz von der Technik her erst einmal nicht. Aber das, was ich damit inhaltlich transportieren möchte, ist eben anders. Ebenso der Kontext: Er entscheidet, ob eine Choreographie christlich oder nicht-geistlich wirkt. Ein Auftritt in einem Theater zum Beispiel hat einen anderen Effekt als der in einer Kirche. Wie das beim Zuschauer ankommt, kann er selbst entscheiden. Wenn er sich auf meinen Tanz einlässt, kann es sein, dass der Tanz ihn berührt, sodass es etwas Transzendentes bekommt. Da kann das Christliche entdeckt werden. Das hat aber meiner Meinung nach nicht unbedingt etwas mit dem Glauben der Tänzer zu tun. Auch in der säkularen Tanzszene beschäftigen sich viele Tänzer mit übernatürlichen, spirituellen Dingen. Sie nennen es dann nur anders. Aber auch ihre Choreografien können einen Zuschauer so berühren, dass es für ihn mehr ist als ein rein säkularer Tanz.

„Ich glaube, dass es jeden bereichern könnte, sich Gedanken über seine Haltung zu machen.“

—  Zitat: Barbara J. Lins

Frage: Sie treten auch in Kirchen auf. Wie reagiert da das Publikum?

Lins: Die Reaktionen sind unterschiedlich. Manche sagen, dass es sie tief bewegt hat oder dass sie sprachlos sind und sich erstmal sortieren müssen – interessanterweise sind darunter viele Männer. Andere können damit nichts anfangen, sie fragen dann: Was wolltest du denn damit sagen? Und wieder andere stiefeln wütend davon und meinen, sowas gehöre nicht in die Kirche. Die unterschiedlichen Reaktionen sind für mich in Ordnung. Was mich schockt, ist die Wand, auf die ich manchmal stoße. Nicht wegen des Verständnisses, sondern wegen der generell fehlenden Bereitschaft, sich auf Tanz im christlichen Kontext einzulassen. Wenn ich das spüre, überlege ich sehr genau, ob ich dann überhaupt auftrete. Ich kann alle nur bitten, offen zu sein, sich dieser Art von Körpersprache anzunähern – und vielleicht auch seine eigene Körpersprache zu entdecken.

Frage: Inwiefern?

Lins: Die Körperhaltung hat einen Einfluss auf die seelische Befindlichkeit. Wer traurig und gebückt herumläuft, wird sich früher oder später auch so fühlen. Andersherum beeinflusst die geistige Haltung ebenso die körperliche. Diese Beziehung zeigt sich auch beim Gebet. Uns Katholiken begegnet das in jedem Gottesdienst: wir sitzen, stehen, knien – doch das Bewusstsein dafür, was das mit uns macht, ist oftmals verloren gegangen. Das ist schade. Ich glaube, dass es jeden bereichern könnte, sich Gedanken über seine Haltung zu machen: Wie sitze ich denn in der Kirche? Wie aufmerksam bin ich, wenn ich mich zum Beispiel zum Segen hinstelle? Das ist unabhängig davon, wie alt oder fit jemand ist. Der katholische Glaube ist also nicht unbedingt körperfeindlich, wie viele denken. Viele Elemente unseres Glaubens sind im Gegenteil sehr körperlich, zum Beispiel die Kreuzigung Christi.

Frage: Was inspiriert Sie zu Choreografien?

Lins: Es sind oft gesellschaftliche Dinge, über die ich nachdenke, die mich beschäftigen. Mit Auftraggebern bin ich natürlich im Gespräch, was sie gerade beschäftigt. In der letzten Produktion "Raumwandlung7" mit meiner Company "TippingPoint" geht es zum Beispiel um die Todsünden, genauer um die Ichbezogenheit, die der Grund der Sünden ist. Darum ging es in einem Gespräch mit dem Augsburger Domkapitular Karlheinz Knebel. Wir hatten darüber gesprochen, dass die Todsünden kein explizit kirchliches, sondern vor allem ein ganz aktuell gesellschaftliches Thema sind. Er fand damals, das sei ein spannendes Thema für eine Choreografie. So kam letztendlich auch der Auftrag zustande, anlässlich der Sonderausstellung "Die 7 Todsünden" im Diözesanmuseum St. Afra der Diözese Augsburg eine choreografische Produktion dazu zu entwickeln.

Drei Tänzerinnen vor einem Altar.
Bild: ©Privat

"Manche sagen, dass es sie tief bewegt.": Barbara J. Lins tritt auch in Kirchen auf.

Frage: Was hat Sie an diesem Thema gereizt?

Lins: Eben dass es sowohl eine gesellschaftliche als auch eine kirchliche Relevanz hat. Dafür habe ich mich mit der augustinischen Definition von Todsünde beschäftigt, der "cor incurvatus in se", was "das in sich selbst verkrümmte Herz" bedeutet. Um diese Ichbezogenheit geht es dann auch im Stück "Das in sich verkrümmte Herz". Durch die Schau auf sich selbst kann man nicht mehr Beziehungen eingehen, was dann zu den Todsünden führt. Genau das passiert in der Gesellschaft immer wieder. Wir als Christen haben da was zu sagen, nämlich, dass Liebe und Beziehungen elementar zum Leben gehören und, darüber hinaus, dass Liebe auch die Beziehung zu Gott ist, der uns aus der Ichbezogenheit holen kann.

Frage: Wie haben Sie aus diesem doch abstrakten Thema eine Choreografie erarbeitet?

Lins: Zum einen wollte ich ausprobieren, wie ich Krümmung mit dem Körper darstellen kann. Gemeinsam mit meiner Company habe ich nach einer Ausdrucksform gesucht – ich gebe meist keine Choreografie vor, sondern suche zusammen mit den Tänzern. Zum anderen sprechen wir miteinander, versuchen zu hören, was uns ein Thema sagt und was es uns auch in unserer Gottesbeziehung sagt. Gerade dieses Ichbezogene, Lieblose, was in der Gesellschaft noch immer aktuell ist, zum Beispiel in der Flüchtlingsdebatte, macht mich sehr betroffen. Wenn ich darüber mit meinen Tänzern rede, kommen wir oft auch in die Fürbitte – und unsere Gebete werden auch mal Bewegung. Für uns ist es eben selbstverständlich, dass der Tanz eine Sprache ist. Aber dieses Verständnis ist in unserer Kultur und auch in der Kirche nicht verbreitet.

Frage: Mit Ihren Tänzen wollen Sie eher zum Nachdenken anregen, weniger verkündigen, oder?

Lins: Genau. Ich habe nicht DIE Botschaft, die ich transportiere, sondern ich habe eben ein Thema, mit dem ich mich beschäftige. Das biete ich dem Zuschauer in der Sprache des Tanzes an. Ich möchte, dass die Menschen sich davon berühren und bewegen oder auch irritieren und sich entsetzen lassen. Denn bei meinen Choreografien geht es nicht unbedingt darum, dass sie schön aussehen. Ich bin keine, die hübsche Choreografien macht und der Zuschauer sich fallen lassen und sagen kann, ach, ist das schön. Ich finde es gut, wenn es andere so machen – aber ich kann das nicht. Was nicht heißt, dass meine Tänze nicht schön werden (lacht). Aber es geht mir eben um viel mehr als nur das Oberflächliche. Die Ästhetik im Tanz kann, je nach Thema, nicht immer nur schön sein, das geht eben nicht.

Von Johanna Heckeley

Barbara J. Lins

Weitere Informationen zu der Choreografin, Tänzerin und Tanzpädagogin sowie zur Tanzcompanie "TippingPoint" finden Sie auf der Homepage von Barbara J. Lins.