Wie die Aktivisten ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen können

Et in terra pax? Die christliche Friedensbewegung am Scheideweg

Veröffentlicht am 04.02.2024 um 12:30 Uhr – Von Johannes Ludwig – Lesedauer: 

Limburg ‐ Seit den Kriegen in der Ukraine und in Nahost hat die Friedensbewegung eine neue Aktualität erhalten. Doch nicht wenige Aktivisten denken in den alten Mustern aus der Zeit des Kalten Krieges. In seinem Gastbeitrag analysiert Johannes Ludwig, wie die Bewegung neue Glaubwürdigkeit erlangen könnte.

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Der anhaltende Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die Terrorangriffe der Hamas führen auf drastische Weise vor Augen: Gerade in einer Zeit, in der wirkungsvoller Friedensaktivismus wichtiger denn je wäre, rutschen Teile der Friedensbewegung in populistische, verschwörungstheoretische und gar antisemitische Diskurse ab. Damit drohen sie, die Bewegung als Ganzes zu diskreditieren und ihrem Ziel einen Bärendienst zu erweisen.

Das Label "Friedensbewegung" ist kein geschütztes Markenzeichen, sondern ein loser Zusammenschluss von Menschen mit höchst unterschiedlichen Positionierungen. Und dennoch wird die Friedensbewegung in jüngster Zeit in der Öffentlichkeit als einheitlich wahrgenommen. Schlagzeilen wie "Friedenswirrwarr in München" (taz), "Ist das alles, was von der Friedensbewegung in Deutschland übrig geblieben ist?" (SPIEGEL), "Links? Rechts? Hauptsache, gegen Nato und USA" (Süddeutsche) zeugen davon, dass der Glaubwürdigkeitsverlust der Friedensbewegung bereits eingetreten ist. Wie aber konnte es so weit kommen? Und wie lässt sich dagegen ankämpfen?

Gefährliches Erbe

Die Friedensbewegung blickt in Deutschland auf eine lange Tradition zurück. Nach den frühen Friedenskampagnen der Bundesrepublik "Ohne mich!" gegen die deutsche Wiederbewaffnung und "Kampf dem Atomtod" gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr fand die deutsche Friedensbewegung in den Massendemonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss im Bonner Hofgarten 1981 ihren Höhepunkt. Hunderttausende gingen auf die Straßen und demonstrierten gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen auf deutschem Boden. Für viele der bis heute in der Friedensbewegung Engagierten war dies die Initialzündung für ihren langjährigen Einsatz.

Bild: ©Caritas-Spes/Ukraine

Der Krieg in der Ukraine (Foto) und im Nahen Osten hat den Anliegen der Friedensbewegung eine neue Aktualität verliehen. Doch schaffen es die Aktivisten, sich aus den alten Denkmustern aus Zeiten des Kalten Krieges zu befreien?

Das Erbe der Friedensbewegung aus den Zeiten des Kalten Kriegs wirkt sich heute allerdings ambivalent aus, weil in vielen Äußerungen ihrer Mitglieder widerscheint, dass sie in ihrem Denken noch immer den Schemata und Narrativen des Kalten Kriegs verhaftet sind: "Die russische Föderation greift die Ukraine an? Kein Wunder bei der jahrzehntelangen Provokation Russlands durch permanente NATO-Erweiterungen", so ein beliebtes Argument, das nicht nur sachlich falsch ist, sondern der Propaganda Putins in die Hände spielt und auf eine Täter-Opfer-Umkehr hinausläuft. Fatal ist, dass diese Narrative auch einflussreiche Verfechterinnen und Verfechter in Politik, Kirche und Gesellschaft finden, so etwa Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer oder Eugen Drewermann, die mit ihrer Kritik mehr über ihr eigenes Weltbild aussagen, als dass sie zum Frieden beitragen.

Verbale Abrüstung

Das Verhaftet-Sein in alten Denk- und Deutungsmustern führt dazu, dass viele 'Friedensbewegte' auf neue Konflikte die immer gleichen Antworten geben. Der Slogan "Frieden schaffen ohne Waffen" ist eine dieser vereinfachten Antworten, die der Komplexität der gegenwärtigen Kriege nicht gerecht zu werden vermögen. "Egal was eure Frage ist, wir haben die Antwort!", so lässt sich das Credo von Teilen der Bewegung zusammenfassen. Das wird der Komplexität friedensethischer und -politischer Dilemmata nicht gerecht. So zielführend die Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung und des gewaltfreien Widerstands oft sein können, so sehr stoßen sie teilweise an ihre Grenzen. Statt ein friedenspolitisches "Sowohl als auch" zuzulassen, ist die Polarisierung bisweilen so groß, dass zwischen den gegenseitigen Vorwürfen der Kriegstreiberei einerseits und des "Lumpenpazifismus" (so der Publizist Sascha Lobo) andererseits kaum Raum für dringend notwendige Debatten bleibt. Dies ist fatal, weil eines als sicher gelten kann: Für die Beendigung von Kriegen gibt es keine Patentlösung.

Bedeutet das nun, dass die Ansichten der Friedensbewegung angesichts gegenwärtiger Kriege überholt wären? Bleibt ihren Anhängerinnen und Anhängern am Ende nur das Schweigen? Eben nicht.

In Zeiten der hybriden Kriegsführung wird das Kriegsgeschehen nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in der Öffentlichkeit durch gezielte (Falsch-)Information beeinflusst. Positiv gewendet bedeutet dies, dass auch abseits des Kriegsgeschehens zum Frieden beigetragen werden kann. Auf der Grundlage der christlich motivierten Friedensethik gilt es, der für den Frieden unabdingbaren Gerechtigkeit und Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen. Dazu gehört die klare Benennung von Tätern und Opfern, das Einstehen für einen differenzierten Diskurs und die unbedingte Orientierung am Schutz der Menschenwürde.

Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!?

Es ist schmerzlich, dass viele Stimmen innerhalb der Friedensbewegung aktuell dadurch Schlagzeilen machen, dass sie – bewusst oder unbewusst – die Leidtragenden in Misskredit bringen. Zwar werden etwa die Angriffe der Hamas mehr oder minder stark verurteilt, doch dieses "Ja" stellt sich angesichts des unmittelbar darauffolgenden "Aber" oft als halbherzig und zynisch heraus. So schreibt etwa die österreichische Sektion der katholischen Friedensbewegung pax christi in einer Stellungnahme zu den Angriffen der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023: "So entschieden wir den terroristischen Angriff der Hamas auf Menschen in Israel ablehnen, weil das Töten von Menschen oder deren Geiselnahme nur in eine tödliche Gewaltspirale treibt, so sehr darf auch nicht übersehen werden, dass der schon lange andauernde Konflikt in Israel/Palästina und die unhaltbaren Lebensbedingungen im Gazastreifen den aktuellen Gewaltausbruch mitverursacht haben." Beim Lesen dieses Statements kommt unwillkürlich die Frage auf: Warum nur kann die kaltblütige Ermordung von rund 1.400 unschuldigen Zivilistinnen und Zivilisten nicht ohne Wenn und Aber verurteilt werden?

Buch "Abschied vom Pazifismus?"

In seinem Buch "Abschied vom Pazifismus?" hat sich Johannes Ludwig mit der Friedensbewegung beschäftigt. Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat zu dem Buch ein Geleitwort verfasst. Es ist 2024 im Herder Verlag erschienen, umfasst 208 Seiten und kostet 24 Euro.

Gerade weil der Antijudaismus auch in der Geschichte des Christentums immer wieder befeuert wurde, steht die christliche Friedensbewegung in der besonderen Verantwortung, klare Kante zu zeigen. Dass hier noch viel Arbeit aussteht, hat jüngst eine Studie des Leipziger Kirchensoziologen Gert Pickel drastisch vor Augen geführt: Demnach stimmen 30 Prozent der Katholikinnen und Katholiken der Aussage zu, dass Israels Palästina-Politik genauso schlimm sei wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg. 69 Prozent halten die Aussage zumindest für nicht falsch.

Der Kampf gegen den israelbezogenen Antisemitismus impliziert selbstverständlich nicht, dass gleichzeitig jegliche Politik der israelischen Regierung zu billigen wäre. Die israelische Siedlungspolitik bleibt auch nach den Angriffen der Hamas eine völkerrechtlich illegale Praxis, so wie dies der Internationale Gerichtshof bereits 2004 festgestellt hat. Und auch im legitimen Verteidigungskrieg bleibt Israel an die Vorgaben des Humanitären Völkerrechts gebunden. Beides hat auch die deutsche Bundesregierung immer wieder betont. Wenn dies im Kontext der Hamas-Angriffe allerdings gebetsmühlenartig wiederholt und gar kausal mit diesen in Verbindung gebracht wird, so führt diese Umweg-Kommunikation nicht selten zur Begünstigung von israelbezogenem Antisemitismus. Für die Anhänger der Friedensbewegung muss gelten: Der Terror der Hamas und das sinnlose Töten sind durch nichts zu rechtfertigen. Full Stop. Kein "Aber". Eine klare Positionierung christlicher Gruppen könnte im Hinblick auf die gesamte Friedensbewegung Signalwirkung entfalten.

Wofür steht die christliche Friedensbewegung (nicht)?

Viele Engagierte der Friedensbewegung haben sich sowohl in Reaktion auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine als auch auf die Terrorangriffe der Hamas eindeutig und vorbehaltlos mit den Leidtragenden des Kriegs solidarisiert, ohne sie bevormunden zu wollen. Insofern ist es nicht gerecht, die Friedensbewegung auf ihre schrillsten Stimmen zu reduzieren. Und doch darf man sich nicht der Illusion hingeben, dass nicht genau dies in der öffentlichen Wahrnehmung geschieht. Das Engagement einer Bewegung kann durch eine radikalisierte Minderheit insgesamt in Misskredit geraten. Genau deswegen ist die Abgrenzung umso notwendiger. So wie es in unserer Demokratie zunehmend wichtiger wird, sich von extremistischem Gedankengut zu distanzieren, so ist die Friedensbewegung gut beraten, herauszustellen, wofür sie nicht steht. Es wäre vermutlich wirkungsvoller, den israelbezogenen Antisemitismus ein- für allemal klar zu verurteilen und den interreligiösen Dialog zu intensivieren, als permanent den Nachweis erbringen zu wollen, dass die eigenen Positionierungen nicht antisemitisch zu verstehen seien.

Gegen den Krieg oder für den Frieden?

Eine der Grundüberzeugungen der Friedensbewegung ist, dass der Friede weit mehr ist als die bloße Abwesenheit des Krieges. Friede baut – gerade auch aus christlicher Perspektive – auf der Menschenwürde, auf der Gerechtigkeit und auf dem Primat der Perspektive der Leidtragenden auf. Friedenspolitische Optionen entscheiden sich in Abhängigkeit von diesen friedensethischen Grundparametern. Wenn die Aufgabe auch nur einer dieser Grundüberzeugungen zur impliziten Voraussetzung für einen vermeintlichen Frieden wird, dann ist dieser Preis zu hoch. Eine Friedensbewegung, die mehr sein will als eine Anti-Kriegs-Bewegung, darf insofern keinen Frieden um jeden Preis erzwingen wollen.

Von Johannes Ludwig

Der Autor

Johannes Ludwig studierte Internationale Beziehungen, International Security und International Political Economy. Nach seiner Promotion zur Menschenrechtspolitik des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen arbeitet er inzwischen als Referent für Globale Vernetzung im Bistum Limburg