Rechtsextremismus und Kirche: Wie mit AfDlern in kirchlichen Gremien umgehen?
Wertheim am Main ist die nördlichste fränkische Stadt Baden-Württembergs, nur 30 Kilometer von Würzburg entfernt, bereits das Flussufer gegenüber gehört zu Bayern. Daniel Halemba (22), der zeitweise mit Haftbefehl gesuchte neue bayerische AfD-Landtagsabgeordnete, war in Wertheim Messdiener, 2020 wurde er in den Pfarrgemeinderat gewählt. Heftige Proteste waren die Folge – und 115 Einsprüche gegen das Wahlergebnis.
Doch das zuständige Ordinariat in Freiburg erkannte die Rechtmäßigkeit der Wahl an. Verfahrensfehler hätten keine vorgelegen. Und solange der kirchliche Gesetzgeber von seiner Möglichkeit keinen Gebrauch mache, Anforderungen an die Wählbarkeit in kirchlichen Gremien weitergehend zu regeln, werde der Wertheimer Pfarrgemeinderat Halemba aushalten müssen, lautete die Auskunft des erzbischöflichen Rechtsdirektors Reinhard Wilde.
Im Bistum Würzburg gibt es teilweise Unvereinbarkeitspassus
In Wertheim hat sich das Thema vorerst erledigt. Der AfD-Jungpolitiker ist inzwischen nach Würzburg gezogen und hat auf das PGR-Mandat verzichtet. In Würzburg gibt es mittlerweile eine kirchenrechtliche Handhabe, um so einen Eklat zu verhindern. Seit 14. Juni 2021 heißt es in der bistumsweit gültigen Pfarrgemeinderatssatzung unter § 5, Absatz 3: Ein Mitglied kann ausgeschlossen werden, "wenn es rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenrechtswidrige Auffassungen öffentlich kundgibt oder vertritt oder Mitglied von Organisationen und Parteien ist oder diese unterstützt, die diese Auffassungen vertreten".
Ein konkreter Anwendungsfall ist im Bistum bisher noch nicht bekannt. Die Mainfranken-Diözese ist aber auch die einzige in Bayern, die in der Satzung eines ihrer Gremien einen solchen Unvereinbarkeitspassus stehen hat. Und das, obwohl es im organisierten Verbands- und Rätekatholizismus nicht an Stimmen fehlt, die extremistische Politikerinnen und Politiker in kirchlichen Ämtern für untragbar halten.
Auch die Freisinger Bischofskonferenz formulierte nach Abschluss ihrer jüngsten Herbstvollversammlung gut einen Monat nach den bayerischen Landtagswahlen eine scharfe Stellungnahme gegen die AfD. Für Christen sei eine Partei nicht wählbar, die nationalistische, rassistische oder antisemitische Meinungen verbreite. Es sei ferner nicht erkennbar, "wie jemand mit einer solchen Gesinnung Verantwortung in der Kirche übernehmen könnte", hieß es im Abschlusskommunique.
Bei der Pressekonferenz jedoch ließ der Münchner Kardinal Reinhard Marx als Konferenzvorsitzender Unsicherheit erkennen, ob es sinnvoll sei, diese Position in feste Regeln zu gießen. Es könnte ja jemand dagegen klagen, gab er zu bedenken.
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller kritisierte diese Haltung unlängst als halbherzig. Das von den bayerischen Bischöfen 2018 gegründete Kompetenzzentrum Demokratie und Menschenwürde hatte den Kanonisten Mitte Januar zu einem bayernweiten Vernetzungstreffen geladen. Schüller plädierte dafür, politische Extremisten konsequent von kirchlichen Gremien fernzuhalten. Dies sollte in den jeweiligen Ordnungen festgeschrieben werden. Dabei müsse etwaigen Betroffenen aber Rechtsschutz gewährt und ihnen ein Beschwerdeweg eröffnet werden.
Schüller sagte, es sei nicht sinnvoll, einzelne Parteien beim Namen zu nennen. Vielmehr sollte auf das inakzeptable Verhalten einer Person konkret abgestellt werden. So, wie es die Würzburger PGR-Satzung tut. Katholische Verbände könnten dies in Eigenregie veranlassen. In der verfassten Kirche – vom Priesterrat bis zur Kirchenverwaltung - sei der Bischof als Gesetzgeber gefordert.
Schüller erkennt kein Prozessrisiko
Ein drohendes Prozessrisiko vermag Schüller nicht zu erkennen. Artikel 140 Grundgesetz räume den Kirchen ein, ihre inneren Angelegenheiten selbstständig zu regeln, sagte er. Weltliche Gerichte wären für die Überprüfung entsprechender Wählbarkeitsklauseln oder Bestimmungen zur Aberkennung eines kirchlichen Mandats gar nicht zuständig.
Im reformierten kirchlichen Arbeitsrecht ist dieser Schritt bereits vollzogen, wie der Münsteraner Professor ausführte. Wer sich öffentlich rassistisch oder antisemitisch äußere, müsse als kirchlicher Beschäftigter mit seiner Kündigung rechnen. Eine bloße Mitgliedschaft in einer Partei wie der AfD reiche aber für eine Sanktionierung nicht aus, stellte er klar.
Die zweite katholische Diözese mit einer Extremistenklausel für Pfarreigremien ist das Erzbistum Berlin. In dessen "Wahlordnung für die Gemeinderäte und die Pfarreiräte" vom Juni 2022 heißt es in § 3, Ziffer 4 zur Wählbarkeit von Kandidaten: "Die Zugehörigkeit zu Gemeinde- und Pfarreiräten ist nicht vereinbar mit der Mitgliedschaft in oder der tätigen Unterstützung von Gruppierungen, Organisationen oder Parteien, die menschenfeindliche Ziele verfolgen."
Grundlage dieser Bestimmung sei das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, erläutert Marcel Hoyer, Geschäftsführer des Diözesanrats. Allerdings sei die Formulierung etwas schwammig, räumt er ein. Weswegen es eine eigene, vierseitige Handreichung dazu gebe. Darin heißt es: "Als 'menschenfeindlich' im Sinne der Wahlordnung gelten beispielsweise Worte und Taten, die Menschen oder Menschengruppen aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität herabwürdigen, diffamieren oder bedrohen".
Ob dies auf jemanden zutreffe, lasse sich "auch mit Blick auf deren eigene Darstellung und Veröffentlichungen sowie auf öffentlich zugängliche Quellen beantworten, da sich dort belegbare Zitate finden, die sich Mitglieder der Gruppierung, Organisation oder Partei zurechnen lassen müssen". Zusätzlich listet die Handreichung Online-Quellen des Verfassungsschutzes auf. Begründet wird das Nein zu "menschenfeindlichen Zielen" mit dem Schutz der Menschenwürde eines jeden Menschen, theologisch: der Gottebenbildlichkeit des Menschen.
Die Bestimmung solle allerdings "kein Schnüffelparagraf sein", betont Hoyer. Wahlausschüsse sollten nicht bei jedem Kandidaten, jeder Kandidatin aktiv recherchieren. Gemeint seien Fälle, in denen eine Person, die kandidieren will, völlig unbekannt oder durch entsprechende Aussagen aufgefallen sei. Im Zweifelsfall kann sich der örtliche Wahlausschuss beim Diözesanrat rückversichern. Eine formale Rekursmöglichkeit für abgelehnte Bewerber gibt es bisher nicht. Möglich ist nur ein genereller Einspruch gegen das Wahlergebnis, wie er bisher schon beim Wahlvorstand möglich war. Im Zweifelsfall entscheidet dann der Diözesanrat.
Erzbischof Koch musste PGR in Potsdam auflösen
Hintergrund der Bestimmung in der neuen Wahlordnung für die Gremien der neu geschaffenen Großpfarreien im Erzbistum war die Auflösung eines zerstrittenen Pfarrgemeinderats in Potsdam 2020. Dort war jemand in den PGR gewählt worden, von dem sich herausstellte, dass er Mitglied der "Jungen Alternative" war, der AfD-Jugendorganisation. Am Ende musste Erzbischof Heiner Koch den PGR auflösen und Neuwahlen ansetzen. Dass bei den jüngsten Pfarreiwahlen im November jemand aus den genannten Gründen von der Kandidatur ausgeschlossen worden sei, ist Hoyer nicht bekannt.
Beim Landeskomitee der Katholiken in Bayern heißt es unterdessen, das Thema werde die Geschäftsführerrunde bei ihrer nächsten Besprechung beschäftigen. Wie angekündigt, hat das oberste repräsentative Gremium der Katholiken im Freistaat nach der Landtagswahl kein AfD-Mitglied als Einzelpersönlichkeit in seine Reihen berufen, Abgeordnete anderer Fraktionen aber schon. Und auch die Mitarbeiter des Kompetenzzentrums Demokratie und Menschenwürde wollen, wie zu hören ist, nicht lockerlassen.
Wer sich in das Thema "Die katholische Kirche und die radikale Rechte – Analysen und Handlungsperspektiven" vertiefen will, kann dies in einem neuen Buch mit diesem Titel tun. Die vom Kompetenzzentrum herausgegebene Publikation ist vergangenen Herbst im Würzburger Verlag Echter erschienen.