Thomas Vogl rät zu Offenheit für Rückmeldungen

Homiletiker: Predigt nur als Meinungsplattform ist Missbrauch

Veröffentlicht am 13.02.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Regensburg ‐ Wer in der Predigt vor allem eigene Standpunkte präsentieren will, missbraucht die Predigt, sagt der Regensburger Homiletiker Thomas Vogl im katholisch.de-Interview. Er rät zu Wachsamkeit beim Blick in die Gemeinde – und zu einer Besinnung auf die Aufgabe der Homilie.

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Anfang des Jahres wurde ein Diakon wegen Volksverhetzung verurteilt, weil er bei einer Gedenkfeier den Holocaust verharmlost hatte. Auseinandersetzungen um fragwürdige Inhalte von Predigten gibt es immer wieder. Wie weit darf eine Predigt gehen? Der Regensburger Homiletiker Thomas Vogl spricht im Interview über Grenzen der Predigt und eine systemimmanente Grenze.

Frage: Herr Vogl, was soll man als Gläubiger tun, wenn der Predigende auf der Kanzel merkwürdige Sachen sagt?

Vogl: Am besten ist es, das direkte Gespräch zu suchen und eine Rückmeldung zu geben. Dann kann das wohl eher geklärt oder gar ausgeräumt werden – man hat es im Alltag in der Regel ja nicht mit strafrechtlich relevanten Konstellationen zu tun. Natürlich gibt es unterschiedliche Akzente bei Interpretationen und Deutungen der Heiligen Schrift oder der darin enthaltenen Appelle oder Impulse. Das persönliche Gespräch ist auf jeden Fall besser, als im Gottesdienst aufzustehen und Stopp zu rufen.

Frage: Wieso?

Vogl: Wenn jemand Widerspruch äußern möchte, ist zu bedenken, dass man nicht allein im Gottesdienst ist und die Meinungen und Einstellungen der anderen zu dem Gesagten nicht kennt. In einem Gottesdienst können Menschen mit ganz vielfältigen Hintergründen und Erwartungen sitzen. Die einen kommen gerade wegen der Predigt, die anderen wollen vor allem die Liturgie mitfeiern und zur Ruhe kommen. Das muss man auch bedenken, denn ein Widerspruch kann diese Menschen mit ihren spirituellen Bedürfnissen stören oder gar verletzen. Und es gibt ja durchaus andere Protestformen: Still den Gottesdienst zu verlassen oder das nächste Mal einfach nicht zu kommen – das bekommt der Predigende durchaus mit. Dem würde ich sowieso raten, Blickkontakt mit der Gemeinde zu suchen und auf deren Körpersprache zu achten, sensibel für diese Art von Resonanzgeschehen zu sein. Außerdem kann er sich am Ende des Gottesdienstes etwa an die Kirchentür stellen und ansprechbar sein. Dann gibt es auch Rückmeldungen. Das ist für Predigende sehr wertvoll und konstruktiv.

Frage: Wie weit darf man denn in einer Predigt gehen, gibt es da Regeln?

Vogl: Ausgangspunkt und Grundlage für die Predigt sind ja die von der Liturgie vorgegebenen Schrifttexte. Die Homilie soll von diesen Texten geprägt sein, sie soll das Wort Gottes wirken lassen, es vertiefen und verständlich machen; anregen, sich weiter damit zu beschäftigen. Daneben kann es natürlich auch thematische Predigten geben, etwa zu einem bestimmten Anlass im Kirchenjahr, aktuellen Ereignisse in Kirche, Gesellschaft und Politik. Dabei sollte die Predigt aber kein Sprachrohr für persönliche Meinungen sein, die darüber hinausgehen oder gar gegen das Grundgesetz wären.

Bild: ©Privat

Der Regensburger Homiletiker Thomas Vogl.

Frage: Das kann man ja miteinander verbinden – eine Weihnachtspredigt etwa nutzen, um sexuelle Minderheiten schlecht zu machen. Gibt es eine homiletische Meinungsfreiheit?

Vogl: In gewisser Weise gibt es natürlich eine Meinungsfreiheit, denn eine Predigt ist ja nicht zuletzt eine persönliche Auseinandersetzung mit den Texten. Man sollte als Predigender allerdings das Setting berücksichtigen: Eine Predigt ist zwar ein dialogisches Geschehen, das den Dialog Gottes mit uns Menschen durch sein Wort fortführt, aber formal im Ereignis bleibt es ein Monolog und ist nicht auf einen unmittelbaren Dialog und Diskurs ausgerichtet. Wer streitbare Thesen einfach behauptend in den Raum stellt, lässt die Hörenden zunächst damit alleine. Es gibt keine systeminhärente Rückmeldungsmöglichkeit. Zudem stellt sich die Frage: Was bezweckt man damit? Geht es dann wirklich noch um ein geistliches Beziehungsgeschehen – oder eher um persönliche Profilierung? Wer eine Predigt nur nutzt, um eigene theologische oder politische Positionen unters Volk zu bringen, missbraucht die Predigt.

Frage: Also ist die Predigt generell nicht der Ort, um Streitbares zu äußern?

Vogl: So würde ich das nicht sagen, denn auch Jesus war ja ein streitbarer Charakter. Er war das aber nicht um des Streits Willen, sondern um auf das Größere seiner Sendung aufmerksam zu machen. Ihm ging es darum, die Beziehung der Menschen zu Gott zu intensivieren und vor Augen zu führen, was Gott eigentlich von den Menschen will. Bei polarisierenden Predigten habe ich dann aber nicht den Eindruck, dass das in dieser Haltung geschieht.

Frage: Wie sehr muss man denn dem eigenen Publikum entgegenkommen? Muss man im rechten Dorf etwas zu liberaler Migrationspolitik und in der linksalternativen Großstadt etwas zur katholischen Ehelehre sagen?

Vogl: Durchaus, denn diese Themen und Fragestellungen liegen auf dem Tisch. Wenn man sie verschweigt, verschwinden sie dadurch nicht. Eine Auseinandersetzung in der Predigt kann ein Anfang sein. Da macht der Ton die Musik: Man muss redlich bleiben, den Leuten nichts vormachen, wenn es etwa um bestimmte Inhalte der kirchlichen Lehre geht. Es braucht bei solchen Themen die Offenheit, andere Perspektiven wahrzunehmen und im Gespräch damit zu bleiben. Es geht aber auch darum, zu zeigen, dass man als Vertreter der Kirche auch hinter bestimmten Einstellungen steht. Das kann heißen, die Entwicklung und den Kern einer Lehre zu plausibilisieren. Aber auch, Haltungen zu vertreten, die wir als Christen in unserer Gesellschaft einzunehmen haben. Es gibt immer wieder die Kritik, eine Predigt dürfe nicht politisch sein. Das stimmt so aber nicht: Christ sein bedeutet eben auch, Werte zu vertreten, die uns von der Botschaft Jesu her anvertraut sind und damit ist auch immer eine Positionierung in der Welt verbunden. Da kommt es drauf an, so gewinnend und überzeugend wie Jesus selbst diese Haltungen zu bezeugen, aber auch zu vermitteln und Offenheit und einen Raum für Auseinandersetzung und Vertiefung zu schaffen.

Von Christoph Paul Hartmann