David Friedrich Strauß: Vordenker oder Glaubenszerstörer?
Den einen gilt er bis heute als Wegbereiter der modernen Bibelwissenschaft, anderen als Zerstörer biblischer Heilsgewissheiten: Der württembergische Theologe David Friedrich Strauß starb vor 150 Jahren – am 8. Februar 1874 – in seiner Heimatstadt Ludwigsburg. Der hochbegabte Kaufmannssohn studierte am Evangelischen Stift zu Tübingen Theologie. 1830 wurde er Vikar. Doch bereits zu dieser Zeit plagten ihn Zweifel am christlichen Glauben. Man müsse die Dinge im Himmel und auf Erden heute anders betrachten, als das die Autoren des Neuen Testaments getan hätten, formulierte er. Gott sei "ein anderer, unsere Welt eine andere, auch Christus kann uns nicht mehr der sein, der er ihnen war".
Seine Fragen, Zweifel und Erkenntnisse fasste er 1835 zusammen in seinem Buch "Das Leben Jesu". Es machte ihn über Nacht berühmt – und gilt heute als Standardwerk. Darin bezeichnet Strauß das Neue Testament als weitgehend unhistorisch, vor allem die darin enthaltenen Wundergeschichten. Damit machte er sich innerhalb der Kirche und des theologischen Lehrbetriebs unbeliebt und verbaute sich seine Chancen auf eine kirchliche und akademische Karriere.
Nach Erscheinen des Buches wurde er als Professor in Zürich auf Druck konservativer Christen – darunter viele Pfarrer – zwangspensioniert. Da war er gerade 31 Jahre alt. Strauß verdingte sich fortan als freier Schriftsteller. Auch in der Politik versuchte er Fuß zu fassen – allerdings wenig erfolgreich. Als Abgeordneter der Stadt Ludwigsburg saß er kurze Zeit im württembergischen Landtag.
Distanzierung von christlicher Botschaft
Nach Einschätzung von Historikern wollte Strauß das Übernatürliche der biblischen Berichte nicht wegwischen. Vielmehr habe er die biblischen Geschichten als "Mythen auffassen und sich doch in dem gleichen Atem zu ihrem ewigen Wahrheitsgehalte als anschaulicher Darstellung des religiösen 'Prinzips' des Christentums bekennen" können, bilanzierte der Theologieprofessor Paul Althaus (1888-1966) Mitte des vergangenen Jahrhunderts.
Ähnlich urteilt einer der bekanntesten deutschen Neutestamentler, der Tübinger Theologe Hermann Lichtenberger. In seinem Werk "Das Leben Jesu" habe Strauß die Frage nach dem historischen Jesus für fast zwei Jahrhunderte neu gestellt. "Er versuchte, mit der Unterscheidung eines historischen und eines mythischen Jesus die Vielschichtigkeit der Evangelienberichte zu verstehen", sagte Lichtenberger dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dabei habe Strauß die große Bedeutung alttestamentlicher Überlieferungen für Jesus und sein Bild in den Evangelien entdeckt "und der neutestamentlichen Forschung Aufgaben bis heute gestellt".
Gegen Ende seines Lebens distanzierte sich Strauß immer stärker von Kerninhalten des christlichen Glaubens und von der Kirche als solcher. Über sie schrieb er: "Man wird erst ganz wahr, nachdem man den letzten Schritt aus den Grenzen dieser Selbstbelügungsanstalt herausgemacht hat." Auch für seine Beerdigung untersagte er "jede Beteiligung eines Geistlichen bei meiner dereinstigen Leiche". Strauß starb am 8. Februar 1874 im Alter von 66 Jahren in seiner Geburtsstadt. Er wurde ohne religiöse Feier beigesetzt.