Kanonistin: Die eine Säule Kirchensteuer wird nicht mehr lange tragen
Trotz steigender Austrittszahlen wuchsen die Kirchensteuereinnahmen dank guter Konjunktur in den vergangenen Jahren fast ununterbrochen – nur während der Corona-Krise gab es einen Einbruch. Doch auf diese Entwicklung kann sich die Kirche nicht ewig verlassen: Wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, sinken auch die Steuereinnahmen massiv. Was tun? Die Kirchenrechtlerin Anna Ott ist Expertin für Kirchenfinanzierung. Im katholisch.de-Interview spricht sie sich dafür aus, sich rechtzeitig auf die Zukunft vorzubereiten und bewertet Alternativen.
Frage: Frau Ott, allein die katholische Kirche hat laut den letzten Zahlen 6,8 Milliarden Euro an Kirchensteuern im Jahr eingenommen. Ist angesichts so riesiger Beträge nicht jede Überlegung zu einer Reform der Kirchenfinanzierung eher theoretisch?
Ott: Das ganze System umzuwerfen ist schwer möglich, jedenfalls dann nicht, wenn am Ende ein ähnlicher Betrag herauskommen soll. Und auch wenn man kleinere Veränderungen vornimmt, besteht immer die Gefahr, dass mehr als beabsichtigt angefragt wird. Wenn über Kirchenfinanzierung diskutiert wird, ist immer möglich, dass am Ende das ganze System in Frage gestellt wird.
Frage: Gibt es denn überhaupt Reformbedarf an der Kirchensteuer?
Ott: Ja. Und zwar einfach deshalb, weil die Kirchensteuer angesichts der schwindenden Mitgliederzahlen der Kirchen bald nicht mehr so funktionieren wird wie bisher. Die Kirchenfinanzierung in Deutschland basiert auf der breiten Unterstützung durch die Mitglieder. Wenn diese Mitglieder wegbrechen, dann gerät das ganze Finanzierungssystem ins Wanken. Dass es eine Kirchensteuer gibt, ist staatlich durch das Grundgesetz, einfache Gesetze und Gerichtsentscheidungen abgesichert. Wie sie erhoben und eingezogen wird, das ist den Kirchen selbst überlassen. Wenn die Tendenz bei den Austritten und bei der demographischen Entwicklung anhält, dann wissen wir jetzt schon, dass die Einnahmen durch die Kirchensteuer, wie sie aktuell ausgestaltet ist, irgendwann nicht mehr den Bedarf decken werden können.
Frage: Lange hat die wirtschaftliche Entwicklung der Kirche in die Karten gespielt, die Einnahmen sind, wenn man die Inflation außen vor lässt, mit Ausnahme der Corona-Zeit gestiegen. Wann wird denn ein Kipppunkt erreicht sein?
Ott: Der große Umbruch wird kommen, wenn die Generation der Babyboomer, also die zwischen 1955 und 1969 Geborenen, in den Ruhestand geht und damit viel weniger Kirchensteuer zahlt. Diese Generation trägt momentan noch überdurchschnittlich viel zum Kirchensteueraufkommen bei: Dort gibt es noch eine verhältnismäßig hohe Kirchenbindung, am Ende des Berufslebens sind die Gehälter höher und zu dieser Gruppe gehören viele. Wenn diese Generation komplett aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist, wird sich das massiv bemerkbar machen und die Einnahmen werden rapide sinken.
Frage: Also haben die Kirchen noch längstens zehn Jahre Zeit, um etwas zu tun?
Ott: Ja. Bis dahin muss die Kirche überlegt haben, was sie anders machen kann und will. Dann fehlt das Geld definitiv.
Frage: Bisher passiert außer Sparmaßnahmen anscheinend nicht viel. Täuscht dieser Eindruck?
Ott: Es gibt schon Bemühungen. Aber oft gibt es einfach drängendere Themen. Geld ist ein Thema, das immer mitläuft und auch wichtig ist. Angesichts akuter Krisen, vor denen die Kirche steht, ist die Befassung mit einem langfristigen und komplizierten Thema wie der Kirchenfinanzierung anspruchsvoll.
Frage: Auf staatlicher Seite sieht es ähnlich aus: Reformen im Religionsverfassungsrecht sind kompliziert und bringen wenig politische Lorbeeren ein. Mit einer Grundgesetzänderung, die den Kirchen zu neuen Optionen verhilft, ist also kaum zu rechnen. Welche Optionen gibt es noch?
Ott: Eine Möglichkeit ist die Förderung von Fundraising. Darin liegt vor allem eine Chance: Die Erfahrungen mit Fundraising zeigen, dass zielgerichtete Spenden für konkrete Projekte die Identifikation mit einer guten Sache erhöhen und damit die Bereitschaft wächst, zu spenden. Bei der Kirchensteuer selbst gibt es aber auch ein paar Stellschrauben, an denen man drehen könnte, ohne gleich ans Grundgesetz zu müssen.
Frage: Nämlich?
Ott: Etwa bei der Mitbestimmung der Gläubigen, die die Kirchensteuer zahlen. Wie die Kirche ihre Einnahmen aus der Kirchensteuer verwaltet, ist ihr komplett selbst überlassen. Sie könnte also auch die Basis stärker darin einbeziehen, wofür das Geld verwendet wird. Man könnte etwa auch den Betrag, der an Kirchensteuer zu zahlen ist, um die Höhe von Spenden an kirchliche Organisationen reduzieren, also so etwas wie eine Abzugsmöglichkeit schaffen wie bei anderen Steuern.
Frage: Macht da Rom mit? Schon dass in Deutschland Kirchenvorstände und nicht die Pfarrer allein über Finanzen entscheiden, ist ja ein Zugeständnis, das im universalen Kirchenrecht eigentlich nicht vorgesehen ist.
Ott: Den Konflikt gab es von Anfang an: Die Kirchensteuer ist eine staatliche Erfindung. Ursprünglich wollten die Bischöfe sie gar nicht, gerade weil sie um ihre Freiheit angesichts vom Staat vorgeschriebener Verwaltungsgremien und Mitbestimmungsrechte fürchteten. Erst später hat die Kirche erkannt, dass die Beteiligung von Laien mit ihrer Expertise doch sinnvoll ist, um Kirchenvermögen gut zu verwalten. In der Tat muss nach kirchlichem Verständnis die Letztverantwortung immer in der Hand des Pfarrers bzw. in der Hand des Bischofs liegen – aber beim Maß der Beteiligung gibt es viel Spielraum.
So läuft die Kirchenfinanzierung in Europa – ein Überblick
In Deutschland wird die Kirchensteuer vom Staat erhoben, doch wie sieht das im Rest von Europa aus? Unterschiede gibt es sowohl in der Höhe der Finanzierung als auch in deren Verwendung. Überall zu wachsen scheint der Druck der Öffentlichkeit.
Frage: Der ehemalige ZdK-Präsident Thomas Sternberg hat den Vorschlag in die Debatte eingebracht, dass die Kirchensteuer wie früher nicht den Diözesen, sondern den Pfarreien zukommt. Wäre das eine Option?
Ott: Möglich wäre es, vom Diözesankirchensteuersystem auf ein Ortskirchensteuersystem zu gehen, wie es das heute etwa in der Schweiz gibt. Wenn man das System so umstellen würde, müsste man vieles bedenken, etwa einen Finanzausgleich zwischen Pfarreien mit hohem und niedrigem Steueraufkommen, wie es sie jetzt schon zwischen finanziell unterschiedlich aufgestellten Bistümern gibt. Eine Zwischenlösung wäre ein Mischsystem, das Diözesan- und Ortskirchensteuer verbindet. Das wäre sinnvoll, um diözesane Aufgaben und kategoriale, nicht pfarreigebundene Seelsorge wie etwa die in Gefängnissen zu finanzieren. Dass so ein Systemwechsel innerhalb des gesetzlichen Rahmens überhaupt möglich ist, zeigt, dass es doch einige Reformoptionen gibt.
Frage: Und wie bewerten Sie einen solchen Systemwechsel?
Ott: Für eine Ortskirchensteuer spricht natürlich das Prinzip der Subsidiarität: Eine finanzielle Stärkung und Befähigung der Basis statt der übergeordneten Strukturen. Eine Auswirkung des Diözesankirchensteuersystems ist, dass in Deutschland die Bistumsverwaltungen sehr viel größer sind als sonst in der Weltkirche. Das sorgt für eine Macht- und Kompetenzkonzentration auf Ebene der Diözese über die zentrale Stellung hinaus, die der Bischof nach der Lehre der Kirche ohnehin schon hat.
Frage: Und unterhalb dieses großen Systemwechsels – was wäre da möglich?
Ott: Schon jetzt sehen die Kirchensteuerordnungen vor, dass man Kirchensteuern auch ganz oder teilweise erlassen kann – das wird meines Wissens wenig genutzt und könnte helfen, soziale Härten abzufedern und auch Austritte vermeiden. Wenn man diese Möglichkeit stärkt, darf die Umsetzung aber natürlich nicht willkürlich sein, und auch da muss man auf die Gerechtigkeit achten. Es braucht klare und transparente Regeln, wenn man die Möglichkeit des Erlasses mehr nutzen möchte.
Frage: Eine große säkulare Kritik am Kirchensteuersystem ist, dass der Staat für Religionsgemeinschaften Steuern einzieht. In Österreich ist die Kirche selbst dafür verantwortlich. Wäre das auch hier denkbar?
Ott: Rechtlich wäre das auch in Deutschland möglich. Ich glaube aber nicht, dass es sinnvoll und praktikabel für die Kirchen hier wäre, sich selbst um die Steuer zu kümmern: Das würde neuen, teuren Verwaltungsaufwand für den Einzug bedeuten und die Kirche müsste sich vor allem auch darum kümmern, Schulden selbst einzutreiben. Selbst bei gleicher Steuerhöhe hätten die Kirchen am Ende viel weniger, weil der Selbsteinzug so teuer wäre. Da ist das jetzige Modell, in dem der Staat für die Organisation des Kirchensteuerwesens Geld bekommt, für alle Seiten attraktiver. Auch für den Staat, der sich den Kirchensteuereinzug von der Kirche bezahlen lässt. Die einzigen Vorteile wären eine größere Unabhängigkeit vom Staat und dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die Konfession ihrer Beschäftigten nicht mehr in ihren Personalbuchhaltungsdaten erfassen müssten.
Frage: Die klare Trennung von Kirche und Staat ist nicht nur aus säkularer Sicht ein Argument. Auch aus kirchlicher Perspektive ist das ein Wert. Wie sieht man das deutsche Kirchensteuersystem in der Weltkirche aus dieser Perspektive?
Ott: Die Kirchensteuer gibt es nur im deutschsprachigen Raum. Wie sie entstanden ist, ist wahrscheinlich in der Weltkirche oft nicht präsent – oder dass es dieses Modell überhaupt gibt. Als das Kirchenrecht reformiert wurde, war die deutsche Kirchensteuer gar nicht im Blick, und erst auf Interventionen aus Deutschland wurde ins Kirchenrecht eine Bestimmung aufgenommen, die "clausula teutonica", die die Weiteranwendung von "partikularen Gesetzen und Gewohnheiten" bei der Kirchenfinanzierung ausdrücklich ermöglichte. In Rom weiß man jedoch um die Schwächen der Kirchensteuer und favorisiert das Modell einer Kultursteuer, wie es sie in Italien gibt. An der Kurie ist man nicht sonderlich begeistert von der Kirchensteuer, weil sie viele Fragen und Probleme der Bewertung eines Kirchenaustritts aufwirft, der innerkirchlich ja gar nicht vorgesehen ist. Diese gibt es in Italien nicht, weil die Kultursteuer nicht abhängig von einer formalen Mitgliedschaft in einer Körperschaft nach weltlichem Recht ist, sondern von der jährlichen Entscheidung der Steuerzahlenden. Weil es in einem solchen System keinen vor einer staatlichen Behörde erklärten Austritt braucht, um die negative Religionsfreiheit zu wahren, gibt es auch keine Diskrepanz zu der unverlierbaren Zugehörigkeit zur Kirche durch die Taufe.
Frage: Die Kultursteuer in Italien ist aber deutlich niedriger als die Kirchensteuer. In Italien sind es 0,8 Prozent der Lohnsteuer bei allen Steuerpflichtigen, die Kirchensteuer beträgt in Deutschland 8 bis 9 Prozent der Lohnsteuer nur bei den Kirchenmitgliedern.
Ott: Ja, vergleichbare Einnahmen wird man über eine Kultursteuer kaum erzielen, wenn sie nicht mindestens so hoch wie die Kirchensteuer ist. Und das wäre politisch kaum durchzusetzen, weil es für alle, die bisher keine Kirchensteuer zahlen, eine deutliche Steuererhöhung wäre. Und selbst wenn man eine Kultursteuer in Deutschland einführen würde, wäre noch lange nicht sicher, dass auch alle Katholikinnen und Katholiken die katholische Kirche als Empfängerin wählen. Das hat man deutlich in Spanien bei der Einführung der Kultursteuer gemerkt, wo viel weniger für die Kirche stimmten als gedacht, und umgekehrt in Italien, wo die sehr kleine Gemeinschaft der Waldenser plötzlich im Verhältnis zu ihren Mitgliedern riesige Summen an Kultursteuern einnimmt. Bisher ist die Kirchensteuer an die freiwillige Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft gebunden. Bei einer Kultursteuer besteht die Freiheit nur noch darin, den Empfänger zu bestimmen – und zwar in der Regel jedes Jahr neu. Damit gehen auch Planbarkeit und Verlässlichkeit verloren.
Frage: Also ist die Kultursteuer in Deutschland aus kirchlicher Sicht keine Alternative?
Ott: Wenn man im leeren Raum ein System entwerfen würde, wäre eine Kultursteuer sicher weniger konfliktträchtig und besser akzeptiert als eine Kirchensteuer. Aber wir sind nicht im leeren Raum. Eine Kultursteuer als Alternative zur Kirchensteuer müsste rechtlich ermöglicht und politisch vertreten werden – das halte ich für ausgeschlossen.
Frage: Bei fast allen der von Ihnen diskutierten Lösungen braucht es eine Mitwirkung der Politik. Ob und wann das geschieht, ist offen. Was sollte die Kirche bis dahin tun?
Ott: Die Kirche darf diese Frage auf keinen Fall aussitzen. Jetzt, wo es noch Handlungsspielräume gibt, muss sie definieren, was ihre Kernbereiche sind, die sie erhalten und finanzieren muss, um weiterhin Kirche zu sein. Es braucht eine Priorisierung kirchlicher Aufgaben. Das ist schmerzhaft, weil Einsparen immer weh tut, und es braucht dazu viel Kommunikation und Beteiligung, damit es akzeptiert wird. Dann muss die Kirche ihre Abhängigkeit von der Kirchensteuer selbst relativieren: Momentan gibt es eine Haupteinnahmequelle mit der Kirchensteuer, die so lange fließt, wie genug Menschen der Kirche angehören. Um zukunftsfest zu werden, muss die Kirche weg von dieser Ein-Säulen-Finanzierung und darauf hinarbeiten, ihre Finanzierung breit aufzustellen. Aber vor allem muss die Kirche ihr Vertrauensproblem in den Griff bekommen. Wenn die Gläubigen ihrer Kirche nicht vertrauen, dann ist das das zentrale Problem, das gelöst werden muss. Da ist es nicht mit großen oder kleinen Reformen allein beim Finanzierungssystem getan. Wenn die Kirche ihre Finanzierung sicherstellen will, braucht sie Gläubige, die sich mit ihr identifizieren. Das ist der entscheidende Punkt bei allen Modellen der Kirchenfinanzierung: Für die Kirchensteuer, damit die Leute nicht austreten. Für die Kultursteuer, damit die Leute ihr Kreuzchen bei der Steuererklärung bei der Kirche machen. Für Fundraising, damit die Leute für kirchliche Zwecke spenden.