Verschiedene Bemühungen zur Islamismus-Prävention in NRW

So begegnen Experten religiöser Radikalisierung an Schulen

Veröffentlicht am 29.02.2024 um 00:01 Uhr – Von Raphael Schlimbach (KNA) – Lesedauer: 

Bonn ‐ Eine jugendliche "Scharia-Polizei" in Neuss, religiöses Mobbing an einem Bonner Gymnasium: Islamismus ist an Schulen in NRW ein Problem. Ein Team der Präventions-Beratung Wegweiser erklärt, wie man dagegen vorgeht.

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Berichte aus dem Januar schrecken auf, wonach Schüler die Einhaltung der Scharia an einer Neusser Gesamtschule gefordert haben. Sie wünschten sich etwa nach Geschlechtern getrennten Unterricht und eine muslimische Kleiderordnung. Religiöse Radikalisierung, die in Nordrhein-Westfalen kein Einzelfall ist. Laut Innenministerium gab es im Bundesland allein in den vergangenen beiden Jahren Vorfälle an 29 Schulen. Der Entwicklung hält die Landesregierung Programme für Aussteiger und zur Prävention entgegen. Aber wie lassen sich junge Menschen erreichen, die nur noch in ihrer radikalen Glaubenswelt leben? 

Das wissen Frank Vallender vom Bonner Amt für Integration und Vielfalt und das Bonner Team des NRW-Präventionsprogramms Wegweiser. Die Islamismus-Experten verzeichnen in der Bundesstadt erhöhten Bedarf nach Beratung an Schulen. "Wir haben in der Gesellschaft allgemein eine Tendenz zur Radikalisierung. Auch Wegweiser hat in den letzten Jahren deutlich mehr Anfragen bekommen", erklärt Vallender. Auch die Art der Anfragen habe sich geändert: "Früher gab es mehr klare Gewaltbereitschaft, heute bewegen sich Vorfälle oft in einer Grauzone unter der strafrechtlichen Relevanz." Viele Menschen seien unsicher, was von der Religionsfreiheit gedeckt und was radikal sei. Hier müsse die Beratung ansetzen. 

"Kernelement unserer Arbeit ist Sensibilisierung und Aufklärung", meint Julia Müller, die bei Wegweiser für Bonn, den Rhein-Sieg Kreis und den Kreis Euskirchen zuständig ist. Mit ihrem Kollegen Alex Schulz leitet sie Workshops, berät Lehrer und Angehörige von Jugendlichen. Beide wollen in den Medien nicht mit Klarnamen in Erscheinung treten, um sich vor möglichen Reaktionen von Islamisten zu schützen. Wichtig ist ihnen die gezielte Einzelberatung und die Beantwortung von Sachfragen zum Islam. "Islamismus ist die eine Sache, aber es geht auch darum, über die Religion aufzuklären", sagt Müller. Erreichbar sei Wegweiser an 25 Standorten in NRW, per Telefon, Mail oder Chat-Funktion im Netz.

Radikale oft blind für andere Meinungen

Mit den Angeboten aber auch junge Radikale zu erreichen, sei nicht einfach. "Tatsache ist, eine radikalisierte Person würde sich nie freiwillig bei Wegweiser melden", meint Schulz. Radikale Jugendliche seien oft blind für andere Meinungen. "Um sie zu anzusprechen, müssen wir den Bezugspersonen intensiv erklären, wie sie das Problem angehen und darüber reden können. Das ist oft unsere letzte Chance.

Bild: ©KNA/Harald Oppitz

"Kernelement unserer Arbeit ist Sensibilisierung und Aufklärung", meint Julia Müllervom Wegweiser in Bonn.

Erst wenn das nicht wirke und Jugendliche extremer würden, ende die Zuständigkeit von Wegweiser, erklärt Vallender. "Extremismus ist Sache der Sicherheitsbehörden. Wenn in unserer Arbeit etwas strafrechtlich Relevantes auftaucht, dann geben wir den Klienten ab." Dann übernehme etwa das Aussteigerprogramm Islamismus des Innenministeriums. Um aber solche Fälle zu verhindern, arbeite man mit einem Netzwerk zusammen, zu dem unter anderem weitere städtische Ämter und Beratungsstellen oder Präventionsexperten der lokalen Polizei gehören. 

Dieses Netzwerk funktioniere, weil es ein gestiegenes Bewusstsein zur Notwendigkeit einer Islamismus-Prävention gebe, sagt Schulz. "Früher war das anders, da haben Schulen eher mal ein Auge zugedrückt." In seinen Workshops merke er nun immer wieder, dass Schüler sich mit Meinungen zur Religion befassen, die sie sich sonst nie angehört hätten: "Dann kommt es zu einem Austausch, aber nicht mit Beleidigungen wie vielleicht auf dem Schulhof, sondern auf Augenhöhe." Müller hat bei längeren Beratungen von Einzelfällen gemerkt, dass Wegweiser etwas bewirke: "Man sieht, dass Menschen uns trauen und immer wieder kommen. Wir sehen, da verändert sich was in den Menschen und Familien."

Trotz aller Erfolge bleibt das Thema akut. Für die Zukunft wäre bei Wegweiser noch mehr Manpower wünschenswert, so Vallender: "Wenn ich an unser Team denke, das für die Stadt Bonn und zwei Kreisgebiete zuständig ist, reden wir von mehr als 300 Schulen. Da reichen drei Mitarbeitende eigentlich nicht aus." Bestrebungen, das Programm personell aufzustocken, seien ihm bislang aber nicht bekannt.

Von Raphael Schlimbach (KNA)