Wilmer: AfD-Reden erinnern an dunkelste Zeiten deutscher Geschichte
Völkischer Nationalismus ist für die deutschen Bischöfe mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar. Daher können auch rechtsextreme Parteien "und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern", für Christinnen und Christen kein Ort der Betätigung sein, heißt es in einer Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz. Die Erklärung erwähnt insbesondere die AfD. Die Partei sei nach mehreren Radikalisierungsschüben von einer völkisch-nationalistischen Gesinnung dominiert. Im katholisch.de-Interview spricht der Vorsitzende der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der DBK über das Papier und nimmt die Politik in die Pflicht.
Frage: Bischof Wilmer, rechtsradikale Ansichten scheinen ihren Weg inzwischen bis in die Mitte der Gesellschaft gefunden zu haben. Wie stark gefährdet das die Demokratie in unserem Land?
Wilmer: Die Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie hat nur dann Bestand, wenn sie wehrhaft ist. Wir müssen die Grundwerte und Prinzipien der Demokratie immer verteidigen, denn jede Demokratie kann gefährdet sein. Ich halte unsere Demokratie schon dann für gefährdet, wenn wir auf die Entwicklungen nicht reagieren. Sie ist vor allem auch dann gefährdet, wenn wir von führenden AfD-Parteipolitikern Sätze hören wie: "Wir werden auch ohne Probleme mit 20 bis 30 Prozent weniger Menschen in Deutschland leben können". Wenn so geredet wird, halte ich das für höchst problematisch.
Frage: Sie waren selbst kürzlich auf einer der zahlreichen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Inwiefern macht Ihnen der Blick auf die Straße Mut?
Wilmer: Es ist gut, dass Leute aufstehen und sich wehren. Es ist gut, dass sie auf die Straße gehen. Aber das ist zu wenig. Wir brauchen ein verschärftes Bewusstsein mit Blick auf die kommenden Wahlen, vor allem in diesem Super-Wahljahr. Als Christinnen und Christen müssen wir unsere klare Haltung in Bezug auf das Fundament, auf dem wir stehen, zeigen: Völkischer Nationalismus ist mit dem Christentum nicht vereinbar. Es ist mit dem christlichen Menschenbild unvereinbar, eine Abstufung in der Würde des Menschen vorzunehmen. Das verstößt gegen die Grundsätze der Bibel, gegen die Erkenntnis aus dem Buch Genesis, dass alle Menschen Gottes Ebenbild sind. Bei dieser Gottebenbildlichkeit kann man keine Unterschiede machen.
Frage: Sehen Sie mit Blick auf die Demos trotzdem die Gefahr einer zunehmenden Blockbildung, die eine eigentlich notwendige Diskussion mit Menschen weiter erschwert, die beispielsweise keine AfD-Mitglieder sind, aber eventuell mit manchen ihrer Inhalte sympathisieren?
Wilmer: Es kann gut sein, dass wir durch die Demonstrationen zu einer verschärften politischen Auseinandersetzung im öffentlichen Raum kommen. Das halte ich aber nicht für schlecht. Wir müssen miteinander reden, auch streiten. Wir brauchen eine Vergewisserung und Verständigung über unsere Grundwerte.
Frage: Sie haben es angesprochen: Demonstrationen allein reichen nicht aus. Es braucht gewiss auch politische Lösungen für die Lage im Land. Was wünschen Sie sich da?
Wilmer: Ich bin kein Politiker, aber ich halte es für wichtig, dass Politikerinnen und Politiker mit Blick auf national-völkische Parolen stärker in die Offensive gehen und ganz klar sagen, dass beispielsweise die Rede von "deutschem Boden" und "deutschem Blut" keinen Platz in unserer Gesellschaft hat. Solche Reden erinnern mich an die dunkelsten Zeiten unserer Geschichte.
Frage: Wo kommt diese Unzufriedenheit bei vielen her, die sich dann möglicherweise in einem Kreuz für die AfD auf dem Wahlzettel manifestiert?
Wilmer: Wir leben in einer Zeit, die schwieriger geworden ist: Krise der Finanzmärkte, weltweite Wirtschaftskrise, Ukraine-Krieg mit Auswirkungen aus Deutschland, Migrationsströme, zuletzt noch Corona mit immer noch unklaren Folgen. Wir haben Themen, die so komplex sind, dass sie vielleicht auch ein neues Denken erfordern. Das darf aber nicht heißen, dass wir in einen rechtsextremistischen Rand abrutschen. Wir brauchen ein klares Bewusstsein, auf welchem Boden die bundesrepublikanische Verfassung steht.
Frage: Hat die Position der Kirche in diesem Zusammenhang gesellschaftlich überhaupt noch genügend Gewicht, um breit rezipiert zu werden?
Wilmer: Ich würde die Rolle der Kirchen in Deutschland nicht unterschätzen, selbst wenn die Mitgliederzahlen zurückgehen. Immerhin sind rund 20 Millionen Menschen Mitglied der katholischen Kirche, bei der evangelischen ist es ähnlich. Das ist schon knapp die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Kirchen können daher durchaus pointiert sagen, dass bestimmte Positionen einfach nicht gehen.
„Ich halte es für wichtig, dass Politikerinnen und Politiker mit Blick auf national-völkische Parolen stärker in die Offensive gehen“
Frage: Was kann die Kirche sonst noch tun, außer ihre Stimme zu erheben?
Wilmer: Wir müssen vor allem bei unserer Botschaft bleiben. Wir sind keine Politikerinnen und Politiker. Wir haben eine Botschaft aus der Bibel, gerade auch die prophetische Tradition spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Für uns wäre es gut, uns auf diese zu besinnen, was auch bedeutet, für die Menschenrechte einzustehen. Wenn es zum Beispiel um den besonderen Schutz des Lebens von der Zeugung bis zum natürlichen Tod geht, müssen wir uns ganz klar dagegenstellen, wenn mit zweierlei Maß gemessen wird. Parteien aus dem äußersten rechten Spektrum sagen zwar, sie seien für Lebensschutz. Es ist aber inakzeptabel und mit dem Christentum unvereinbar, den Lebensschutz völkisch zu denken.
Frage: Wie groß sehen Sie rechtspopulistische oder gar rechtsextreme Meinungen in der Kirche auf dem Vormarsch?
Wilmer: Die Kirche war und ist immer ein Spiegelbild und Teil der Gesellschaft. Wir haben von daher auch mit bestimmten neuaufkommenden Strömungen rechter Art zu tun, das ist klar.
Frage: Wenn wir einen Blick auf die Situation in den Gemeinden in Ihrem Bistum werfen: Inwiefern spielt da das Thema AfD eine Rolle? Gibt es da Leute aus der Partei, die den Diskurs vor Ort mitbestimmen wollen?
Wilmer: Wir wollen uns deren Diskurs nicht aufzwingen lassen. Ich habe mir vor wenigen Tagen mit unserem Diözesanpastoralrat angeschaut, was es für uns im Bistum Hildesheim bedeuten könnte, mit rechtsextremen Positionen umzugehen, oder ob es möglich ist, mit solchen Positionen in Gremien wie dem Pfarrgemeinderat mitzuarbeiten. Wir setzen uns mit diesem Thema offensiv auseinander.
Frage: Welche Mittel sehen Sie, um die Gemeinden und Christen fit zu machen für den Diskurs mit Rechtsextremen?
Wilmer: Wir brauchen unbedingt mehr Öffentlichkeit. Wir müssen dieses Thema noch mehr in die Akademien und in die Pfarreien hineinspielen, damit wir wach werden, mit den Menschen offen darüber reden und nicht naiv meinen, dass das Erstarken des Rechtsextremismus nur eine Welle sei, die vorbeigehe. Ich befürchte, das wird es nicht. Wir brauchen eine klare Streitkultur und eine offene Auseinandersetzung, die Konflikte nicht scheut.