Standpunkt

Lieber ein nackter und armer Jesus als einer im prachtvollen Ornat

Veröffentlicht am 08.03.2024 um 00:01 Uhr – Von Schwester Maria Gabriela Zinkl – Lesedauer: 

Bonn ‐ Zu nackt, zu schön, zu provokativ: Immer wieder sorgen künstlerische Darstellungen von Jesus für große Empörung. Schwester Maria Gabriela Zinkl ist ein bescheidener und damit nackter Jesus lieber als ein prunkvoller – das gilt auch für die Kirche.

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Manche Leute haben ein Problem mit Jesus, besser gesagt mit dem Bild, das sie sich von Jesus machen, und mit der Vorstellung, die sie von Jesus im Kopf haben. Es gibt gläubige Menschen, die sich maßlos darüber echauffieren können, wenn "ihr" bevorzugtes und gewohntes Bild von Jesus angekratzt, gestört oder beschädigt wird, sei es materiell oder ideell.

In letzter Zeit sind es weniger die Vorfälle von Blasphemie, die Schlagzeilen machen, wenn religiöse Gefühle bewusst verletzt, verhöhnt oder der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Es braucht gar nicht erst provokative Aktionen atheistischer Künstler und Diskussionen um das Hin und Her von Kunstfreiheit, denn schon innerhalb unserer katholischen Community gibt es genug Sprengstoff. Die jüngsten Kontroversen um das Werbeplakat zur Semana Santa in Sevilla oder um eine Darstellung des Gekreuzigten im Diözesanmuseum der norditalienischen Bischofsstadt Carpi stellen das unter Beweis. Beide Male lautete der Vorwurf nach bester katholisch-pharisäischer Manier: Jesus sei zu nackt, zu schön, zu provokativ und lasse zu viel Spielraum für sexuelle Anzüglichkeiten.

Als Ordensschwester verbringt man viel Zeit vor dem Kreuz, zum Gebet, in stiller Meditation, morgens, mittags, abends, bisweilen auch nachts, in guten wie in schlechten Tagen. Das Beten und Schauen auf den Gekreuzigten bringt eine große Gelassenheit und nicht wenige christologische Einsichten mit sich. Zum Beispiel die, dass Jesus in den entscheidenden Situationen seines Lebens nackt war, etwa bei seiner Geburt, bei der Taufe im Jordan und bei der Kreuzigung sowieso, das war damals so üblich. Die christliche Kunst, die über all die Jahrhunderte hinweg unsere Bilder von Jesus beeinflusste, hat Jesus immer wieder auch nackt, menschlich, schutzlos und schutzbedürftig dargestellt, genauso auch triumphierend, verklärt, erhaben. Das Problem ist, wir haben uns an diesen Christus gewöhnt, wir haben ihn uns "schön" und ansehnlich zurecht geschnitzt, mal mit Lendenschurz, mal mit Dornenkrone, mal mit Gloriole. Denn Nacktheit ist in der Kirche genauso wie Sexualität ein hoch sensibles Thema. Wenn ich auf den Gekreuzigten schaue, ist mir an manchen Tagen ein nackter und armer Jesus wesentlich lieber als einer im prachtvollen Ornat. Das wünsche ich mir im Übrigen auch von meiner Kirche.

Von Schwester Maria Gabriela Zinkl

Die Autorin

Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB kommt aus Regensburg und ist Borromäerin im Mutterhaus Kloster Grafschaft. Sie arbeitet als Dozentin für Kirchenrecht und als Pädagogin.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.