Ein anderer Blick auf die Papst-Äußerungen zum Ukraine-Krieg
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Die Interviewsätze von Papst Franziskus zur weißen Fahne haben eingeschlagen. Europäische Staatsmänner verurteilen die Äußerungen, katholische Politikerinnen und Politiker distanzieren oder schämen sich, Russland lobt. Aus unserer mitteleuropäischen Sicht sind die Äußerungen des Papstes in der Tat nicht leicht zu verstehen. Das ist zwar nur eine Sicht; außereuropäisch wird der Ukrainekrieg weit weniger beachtet. Allerdings stellt Russland in diesen Tagen ein "Afrika-Corps" auf, das die bislang getarnten Militärinterventionen offiziell übernimmt – ein Indiz dafür, dass unsere europäische Nahsicht auf die russischen Militäraggressionen nicht so ganz daneben liegt.
Können wir den kritisierten Papstäußerungen trotzdem etwas abgewinnen? Der Papst ist zwischen allen Stühlen gelandet. So einen ähnlichen Platz hatte Papst Benedikt XV. eingenommen, als er im Ersten Weltkrieg an die Kriegsparteien appellierte, sofort Frieden zu schließen. Man nahm ihm das damals übel, in Frankreich ebenso wie in Deutschland. Der Krieg ging weiter, 15 Millionen Menschen wurden getötet und Europa umgepflügt. Benedikt XV. wird heute für seine vergeblichen Appelle gerühmt. Vielleicht wird eine spätere Zeit anders auf das Agieren von Papst Franziskus blicken als wir heute? Man wird Papst Franziskus auch zugutehalten können, dass von Militärexperten schon länger zu hören ist, dass ein Siegfrieden der Ukraine eher unwahrscheinlich ist, vor allem wenn der Status vor Annexion der Krim wiederhergestellt werden soll. Das weiß offenbar auch der Papst. Ob er es auch sagen muss, sei dahingestellt.
Schade ist aber, dass die improvisiert dahingesprochenen Worte so vielfältig interpretier- und kritisierbar sind. Das ist purer Franziskus, authentisch, aber nicht sehr diplomatisch. Im "Diplomatischen" liegt vielleicht auch des Pudels Kern. Im Vokabular von Papst Franziskus ist Diplomatie fast schon ein Schimpfwort. Ihm widerstrebt die gedrechselte diplomatische Rede, das Verschleiern von Gegensätzen und die Bereitschaft zum Kompromiss. Die über Jahrzehnte mit erheblichem Aufwand an Personal und wohl auch Geld aufgebaute diplomatische Präsenz des Heiligen Stuhles in der ganzen Welt kommt da nicht so zum Zug, wie sie es vielleicht könnte. Papst Franziskus sagte im besagten Interview selbst, dass am ehesten noch die Türkei als Vermittler in Frage komme. Das ist ein realistisches Eingeständnis verlorener eigener Handlungsspielräume – und auch eine Kapitulation.
Der Autor
Jeremias Schröder OSB ist Abtpräses der Benediktinerkongregation von St. Ottilien.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.