Zwischen allen Stühlen: Zehn Jahre Kinderschutzkommission
Seit zehn Jahren trifft sie sich etwa zweimal im Jahr: die päpstliche Kinderschutzkommission. Papst Franziskus verfügte am 22. März 2014 ihre Einrichtung. In Arbeitsgruppen beraten Expertinnen und Experten über Prävention und Intervention in der Kirche, schicken Empfehlungen für den Umgang mit Missbrauchsbetroffenen in alle Diözesen und befassen sich mit der Ausbildung von Kirchenpersonal. Die Kommission meldete sich in den vergangenen Jahren mehrmals zu aktuellen Diskussionen zu Wort und schlug gelegentlich Kirchenrechtsänderungen vor. Doch immer wieder fiel die Kommission auch durch Streit und Unstimmigkeiten über den rechten Umgang mit Missbrauch auf. Ein Rückblick.
Kardinal Marx soll es gewesen sein, der 2013 den Papst zur Einrichtung einer Kommission zum Kinderschutz bewegt habe. Mit dem Bostoner Kardinal Sean Patrick O'Malley – der seitdem dem Gremium vorsteht – sei Marx der größte Unterstützer der Idee im Kreis der acht Papstberater-Kardinäle gewesen, erklärte der Jesuit Hans Zollner vor zehn Jahren in einem Interview.
Marx und O'Malley wussten aus ihren Heimatländern und Diözesen welche Sprengkraft der Missbrauchskomplex für die Institution Kirche birgt. O'Malley stand in Boston seit 2003 vor den Trümmern des dortigen Skandals und Marx war in Deutschland spätestens seit 2010 öffentlich mit Missbrauch befasst. Vatikansprecher Frederico Lombardi betonte zur Kommissionseinrichtung, dass Franziskus so zeige, dass der Schutz von Minderjährigen zu den vordringlichsten Aufgaben der Kirche zähle.
Kurz nach Beginn – der erste Krach
Kurz nach Gründung der Kommission kam es zum ersten Krach, der als symptomatisch für den kirchlichen Umgang mit sexueller Gewalt in den eigenen Reihen ist: Das britische Kommissionsmitglied Peter Saunders attestierte der Kirche, sie mache einen schlechten Job im Umgang mit pflichtvergessenen Bischöfen. Saunders – selbst von Missbrauch betroffen – wünschte sich eine intensivere Debatte über Motive von Missbrauchstätern. Das Etikett "pädophil" reiche zur Erklärung nicht aus – man müsse auch über Zölibat und die Einsamkeit von Priestern sprechen, so der Brite. Gegenrede kam vom bischöflichen Kommissionschef O'Malley. Öffentlich widersprach der Kleriker der Zölibatsthese: Die meisten Taten geschähen in der Familie. Die divergierende Wahrnehmung von Aufarbeitungs- und Präventionsarbeit aus Opfer- und Institutionssicht begleitet Kommission und Reformdebatten bis heute.
Kurz darauf protestierten einige Mitglieder der Kommission gegen die Ernennung des chilenischen Bischofs Juan Barros Madrid zum Oberhirten von Osorno. Gläubige warfen dem Geistlichen vor, er habe sexuelle Übergriffe eines anderen Priesters gegenüber Jugendlichen gedeckt. Der Papst hielt an seinem Bischofskandidaten fest, Barros Madrid wurde Bischof von Osorno. 2018 trat er schließlich zurück – die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen ihn. Die Kommissionsmitglieder behielten Recht, die Hierarchie musste wieder einmal bedauern – ebenfalls ein wiederkehrendes Element der kirchlichen Missbrauchsgeschichte.
Im Sommer 2015 meldete sich Kommissionsmitglied Saunders erneut zu Wort und wies auf die nächste problematische Personalie hin: Es ging um den tief in den australischen Missbrauchsskandal verwickelten Kardinal George Pell. Der Kurienkardinal sei im Vatikan "unhaltbar", so Saunders. Pell wurde seit 2008 von verschiedenen Personen Missbrauch vorgeworden. Saunders bezeichnete den früheren Erzbischof von Sydney und damaligen Präfekten des vatikanischen Wirtschaftssekretariats als "hart, kaltherzig, fast soziopathisch". Franziskus solle "auf die strengstmögliche Weise gegen ihn vorgehen" und den Kardinal aus dem Vatikan entfernen.
Rom nahm Pell gegen Saunders in Schutz: Vatikansprecher Lombardi erklärte, Saunders spreche selbstverständlich nicht im Namen der Kinderschutzkommission und betonte, es sei schließlich nicht Aufgabe des Gremiums, Nachforschungen anzustellen und Urteile zu äußern. Pell ließ erklären, er werde rechtliche Mittel gegen Saunders in Anspruch nehmen. Gegen Pell begann ein langwieriger Prozess, letztinstanzlich wurde er "im Zweifel für den Angeklagten" freigesprochen. Doch die römische Gerüchteküche rund um das Leben des Kardinals brodelt noch heute.
Nach diesen Querelen nahm sich Saunders im Februar 2016 eine Auszeit – nicht ohne noch einmal deutliche Kritik am vatikanischen Umgang mit Missbrauch zu üben: "Als Jesus den Tempel reinigte, setzte er keine Kommission ein, sondern stieß die Tische um und warf die Händler und Geldwechsler einfach raus." Der Papst müsse entschiedener gegen Missbrauch in der Kirche vorgehen. Einige seiner Kommissionskollegen warfen ihm daraufhin vor, zu viel mit Medien zu sprechen und ihre Arbeit in ein schlechtes Licht zu rücken. Im Dezember 2017 trat Saunders schließlich aus der Kommission aus. Nun gab es keinen Betroffenenvertreter mehr in der Kommission.
Denn zuvor ging schon das irische Kommissionsmitglied und Missbrauchsopfer Marie Collins diesen Weg – sie warf den vatikanischen Behörden mangelnde Kooperationsbereitschaft vor. "Das Fass zum Überlaufen" brachte für sie, dass die Glaubenskongregation ihren Vorschlag abgelehnt hatte, auf die zahlreichen Briefe von Missbrauchsopfern zu antworten, die dort ankämen. Daraufhin entspann sich ein Streit mit dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation Gerhard Ludwig Müller, dessen Behörde mit der Bearbeitung von Missbrauchsfällen betraut war. Zollner ließ flankierend durchblicken, dass Collins mit ihrer Kritik nicht allein sei: "Es gibt Stellen und Personen, von denen Marie und andere Mitglieder der Kommission den Eindruck haben, dass sie nicht proaktiv auf das reagieren, um was wir sie bitten, und was der Papst fordert", sagte der Jesuit damals.
Müller wies die Kritik, der Vatikan gehe nicht entschieden genug gegen Missbrauchstäter vor, deutlich zurück: "Das ist nicht der Fall. Man muss verstehen, dass wir als Kirche kein weltliches Urteil fällen", so der Kardinal. Der Papst habe die Kinderschutzkommission eingesetzt, um zu zeigen, dass Missbrauch ein schweres Verbrechen ist, das bekämpft werden muss. Er habe damit weltweit mehr Sensibilität schaffen wollen. Es sei jedoch nicht Aufgabe der Kommission, die Glaubenskongregation zu unterstützen. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin stellte ergänzend klar, dass die Kommission keine Justizinstanz sei. Sie habe die Aufgabe, "in der Kirche für ein Klima zu sorgen, in dem Kinder und Jugendliche verteidigt und geschützt werden und das zugleich verhindert, dass sich Missbrauchsfälle wiederholen". Nach Collins Rücktritt schlug die Kinderschutzkommission die Einrichtung einer zentralen Stelle zur Beantwortung von Briefen zum Thema Missbrauch vor.
Im Winter 2017 wurden vermehrt Zweifel am päpstlichen Aufklärungs- und Präventionsinteresse laut. Nachdem die Mandate der ersten Kommissionmitglieder endeten und auch die für die erste Amtszeit erlassenen Statuten ihre Gültigkeit verloren, hatte der Papst über Wochen nichts über den Fortgang seines Kinderschutzprojektes verlauten lassen. Der Vorwurf, Franziskus behandle die Arbeit seiner Kommission nachrangig, drängte sich auf. Der Papst antwortete in einer fliegenden Pressekonferenz, er wolle in den nächsten Wochen nachbesetzen. Eine Liste der Kandidaten liege vor. Es seien noch einige wenige Punkte bei den Lebensläufen zu klären, so der Papst. Was dann auch geschah. Nun sollten erneut Missbrauchsbetroffene der Gruppe angehören, doch öffentlich wurde dazu nicht mehr kommuniziert. Man wolle Diskretion wahren, so der Vatikan.
Mit der lange erwarteten Kurienreform dockte Franziskus 2022 die Kinderschutzkommission an das Glaubensdikasterium an: Zum ersten Mal habe Franziskus so die Bedeutung des Kinderschutzes in den Mittelpunkt der Zentralregierung der Kirche gestellt, sagte Kommissionschef O'Malley im Zuge dieser Umstrukturierung. Später kritisierte O'Malley den Schritt und äußerte die Befürchtung, dass durch die Eingliederung seiner Kommission ins Glaubensdikasterium das Thema Missbrauch bei den Gesprächen zwischen den Kurienleitern zu kurz kommen könne: "Das Staatssekretariat hat klargestellt, dass die Kommission nicht das Ansehen, den Status oder die Zuständigkeit eines Dikasteriums genießt und daher in Bezug auf das Gewicht, die Zuständigkeit und das Recht auf Teilhabe an den Leitungsfunktionen der Kurie ein untergeordnetes Organ der Kurie ist." Franziskus begründete den Schritt damit, dass er keine "Satellitenkommission" wolle, die um das vatikanische Organigramm kreise, aber nicht mit ihm verbunden sei. Des Weiteren bekam die Kommission das Mandat, die Weltkirche zum Kinderschutz anzuhalten.
Beobachter sahen in diesem Schritt eine Aufwertung und Priorisierung des Kampfes gegen Missbrauch in der Kirche. Doch der Rücktritt des katholischen Kinderschutzexperten Hans Zollner 2023 desillusionierte viele. Der profilierte Safeguarding-Experte zog sich wegen "struktureller und praktischer Probleme" aus der päpstlichen Kommission zurück. Franziskus müsse die Missbrauchsaufarbeitung stärker fokussieren, erklärte Zollner. "Er hat es leider nicht zu der Priorität Nummer eins seines Pontifikats gemacht", so der Jesuit. Es bleibe bei Absichtserklärungen, bei denen man nicht wisse, was das eigentliche Ziel sei. "Während meiner Arbeit für die Kommission habe ich Probleme bemerkt, die dringend angegangen werden müssen und die mir ein weiteres Engagement unmöglich gemacht haben", teilte Zollner mit. Die Auswahlkriterien für die Kommissionsmitglieder sowie deren genaue Rollen und Aufgaben seien unklar. Zudem kritisierte Zollner den Kommissionsvorsitzenden: Er könne sein Amt nur dann gut ausüben, wenn er sich oft in Rom aufhalte und "wenn er bereit wäre, in den Ring zu steigen". Insbesondere nach der Unterstellung der Kommission unter die Glaubensbehörde brauche es einen Vorsitzenden, "der auch stark in Konflikte geht", so Zollner. "Und das macht Kardinal O'Malley nicht." Zollner habe mehrere Male versucht, seine Warnungen intern und schriftlich einzubringen; darauf habe er aber keine Antwort erhalten. Beobachter bezeichneten Zollners Schritt als "sehr beunruhigend".
Mit der ersten römischen Etappe der Weltsynode 2023 – einem Hauptanliegen Franziskus' – meldete sich die Kommission ungewohnt offensiv mit einem offenen Brief zu Wort: Der Schutz vor sexuellem Missbrauch solle Priorität bei der Weltsynode haben, so die Mitglieder. Sie forderten öffentlich von Papst und Kirchenleitung ein stärkeres Engagement für den Schutz von Betroffenen. Verantwortlich für das Leid der Betroffenen sei auch die Kirche, die nicht in der Lage oder sogar nicht willens sei, die Realität ihres Handelns zu erkennen. Von den Synodalen fordern die Mitglieder, besonders dem Zeugnis von Betroffenen viel Zeit und Raum zu widmen. Das Thema Missbrauch, Prävention und Aufklärung sollte während des gesamten Synodenprozesses berücksichtigt werden. Das betreffe auch die Diskussionen um Kirchenstruktur und Führungsmodelle.
Wenige Tage vor ihrem zehnten Jubiläum hat die Kommission ihrem Auftraggeber – Papst Franziskus – nun einen Zwischenbericht über den Stand der Missbrauchsprävention in der Kirche vorgelegt. Ob und wie er veröffentlicht wird, ist noch unklar. Dem Vernehmen nach, plädieren die Kommissionsmitglieder für eine Veröffentlichung. Doch darüber entscheidet allein der Papst. Anhand des Umgangs mit dem Zwischenbericht und der Rolle, die Missbrauch bei der nun modifizierten Weltsynode erhalten wird, wird sich zeigen, welche Priorität der Kampf gegen sexuelle Gewalt in Franziskus' Pontifikat hat.