Betroffenenberichte zeigen unterschiedliche Täterstrategien

Heyder: Konfessionsspezifische Muster von Missbrauch erkennen

Veröffentlicht am 26.03.2024 um 12:19 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Klerikalismus und Zölibat sind katholische Risikofaktoren. Bei Protestanten zeigen sich andere Muster. Kirchenhistorikerin Regina Heyder fordert, in der Aufarbeitung auf Erfahrungen Betroffener zu hören, um konfessionelle Probleme zu verstehen.

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Nur wenn die Erfahrungen von Missbrauchsbetroffenen bei der Aufarbeitung im Mittelpunkt stehen, können nach Ansicht der Theologin Regina Heyder konfessionsspezifische Missbrauchsmuster erkannt werden. Ob solche Muster bekannt oder nicht bekannt sind, sei daher auch ein Indiz dafür, ob die Stimme von Betroffenen gehört werden, schreibt die Kirchenhistorikerin in einem Beitrag für die Herder-Korrespondenz (April-Ausgabe). "Hier sind evangelische und katholische Kirche gleichermaßen gefordert", so Heyder.

Aus den Berichten von Betroffenen aus katholischen und evangelischen Tatkontexten werde deutlich, dass der katholische Zölibat und das evangelische Pfarrhaus zu diesen Mustern gehörten: "Was den Kirchen heilig ist, wird von ihnen einerseits geschützt werden und macht sie andererseits umso verletzlicher." Das Ideal der Pfarrfamilie entspreche in seinem Vertuschungspotential völlig dem des zölibatären Lebensentwurfs. Anhand von Studien wie der jüngst veröffentlichten evangelischen ForuM-Studie und Betroffenenberichten würden Unterschiede zwischen den Konfessionen deutlich.

Zu spezifisch protestantischen Missbrauchsmustern zähle das aufgezwungene Sprechen über Sexualität und das unerfüllte Begehren von Pfarrern in Pfarrfamilien. "Deshalb ist die Berufung auf '1968' im Protestantismus wesentlich präsenter als im Katholizismus, in dem zölibatäre Täter prinzipiell kein Recht auf sexuelle Aktivität haben", so Heyder. Im katholischen Bereich habe dagegen geistlicher Missbrauch bei der Anbahnung und Inszenierung des sexuellen Missbrauchs eine auffallend große Bedeutung. Dieser Faktor habe bei Taten im evangelischen Kontext fast keine Bedeutung. "Während katholische Täter häufig die intellektuelle und spirituelle Distanz zu ihren Opfern unterstreichen[…], ziehen protestantische Täter die Betroffenen in eine sie überfordernde Erwachsenenwelt hinein – jene der Eheprobleme, der Sexualität, der Medizin", erläutert die Theologin. (fxn)