Himmelklar – Der katholische Podcast

Papst-Biograf: Man merkt, dass Franziskus inzwischen Energie fehlt

Veröffentlicht am 27.03.2024 um 00:30 Uhr – Von Renardo Schlegelmilch – Lesedauer: 

Köln ‐ Von Beginn an hat Journalist Austen Ivereigh das Pontifikat von Papst Franziskus eng begleitet. Wie blickt er nach elf Jahren auf die Amtszeit des Papstes, mit dem er auch schon ein Buch veröffentlicht hat? Und was erwartet er für die nächsten Monate? Darüber spricht Ivereigh im "Himmelklar"-Podcast.

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Wenn man ihn "Freund von Franziskus" nennt, findet er das übertrieben. Trotzdem kennen sich der britische Journalist Austen Ivereigh und der argentinische Papst seit 2020 ziemlich gut, da haben sie gemeinsam das Buch "Wage zu träumen" geschrieben. Mit dem Papst-Experten reden wir über die Revolution, die die Papstwahl von 2013 für die Kirche war, warum Franziskus international so unterschiedlich bewertet wird, und ob ein Rücktritt in absehbarer Zeit anstehen könnte. Außerdem: Weshalb Austen Ivereigh neben seiner Arbeit als Journalist auch Schafe züchtet, und was das mit einer Papstenzyklika zu tun hat.

Frage: Sie folgen dem Vatikan und dem Papsttum schon viele Jahre, Sie waren sogar für das Konklave zur Wahl von Benedikt XVI. 2005 in Rom. Sie haben also einen Überblick über diese drei letzten Pontifikate. Nun liegen wir elf Jahre nach der Wahl von Papst Franziskus. Heute zurückgeblickt: Wie signifikant war diese Wahl damals? Hätten Sie schon vorab geahnt, dass so eine neue Art von Papst ins Amt kommt? Es haben ja einige vorher schon gesagt: Es ist Zeit für einen Papst, der nicht aus Europa kommt.

Ivereigh: Sie haben ja gerade die Wahl von Benedikt XVI. 2005 erwähnt, da kann ich mich noch gut dran erinnern. Damals habe ich für den Kardinal-Erzbischof von Westminster gearbeitet, der bei der Vorbereitung dieses Konklaves eine große Rolle gespielt hat. Er hat mir damals von diesem Erzbischof aus Buenos Aires erzählt, und dass viele große Hoffnungen auf ihn setzten. Ich habe damals auch irgendwo in einem Interview erzählt, dass ich erwarte, dass der neue Papst aus Lateinamerika kommt. Die Wahl ging dann natürlich anders aus, das wissen wir. Später habe ich mich dann mehr mit dem Lebenslauf von Bergoglio befasst und war von dieser Person fasziniert, deshalb konnte ich auch schon so bald nach seiner Wahl meine Biografie "The Great Reformer" veröffentlichen.

In dem Moment, als Bergoglio im März 2013 auf den Balkon des Petersdomes trat, wusste ich, dass das einen signifikanten Richtungswechsel für die Kirche bedeutet. Es wäre aber vermessen zu behaupten, ich hätte all das erwartet, was dann auf uns zugekommen ist. Mich hat aber von Anfang an die Frage gereizt, wie dieses Pontifikat auf sein Wirken in Lateinamerika, als Provinzial der argentinischen Jesuiten und als Erzbischof, zurückzuführen ist. Ich hatte da auch schon ein gewisses Vorwissen, weil ich meine Doktorarbeit über die Kirche in Argentinien geschrieben habe. Darauf konnte ich dann zurückgreifen. Ich musste für meine Biografie also quasi nur noch die einzelnen Punkte verbinden. Im Vordergrund stand für mich aber immer die Faszination für diese Person. Von Anfang an war das für mich eine mitreißende Persönlichkeit, ein Mensch von einer unerwarteten Tiefe

Frage: Das war eine Zeit, wo viele Stimmen sagten, dass sich etwas an der Kirche verändern muss. Der weltweite Missbrauchsskandal wurde immer klarer, der Finanzskandal im Vatikan auch. Hätten Sie auch damals schon gedacht, dass es so eine Art Zeitenwende für die Kirche braucht?

Ivereigh: Ich glaube es gab in den Treffen vor dem Konklave einen riesigen Hunger nach Reformen in der Kirche. Egal wer gewählt würde, er hätte diese Themen angehen müssen. Vor allem die Kurie musste reformiert werden, da gab es so riesengroße Baustellen. Franziskus hat das auch selbst oft angesprochen, dass seine Reformen eigentlich nur auf das Mandat seiner Brüder zurückzuführen sind, dass sie ihn genau dafür gewählt haben.

Die Hauptaufgabe geht aber auch hier einiges tiefer. Das verstehe ich inzwischen, wenn es um die Frage einer Papstwahl geht. Wenn sich die Kardinäle fragen, wen sie zum Papst erheben wollen, steht für sie eine Frage im Mittelpunkt: Die Evangelisierung. Die große Frage für die Kardinäle war 2013: Warum funktioniert das nicht mehr? Weshalb erreichen wir die Menschen nicht mehr mit unserer Botschaft, ganz besonders in der westlichen Welt? Bergoglio hat damals eine kurze aber inzwischen sehr berühmte Rede an seine Brüder gehalten. Er hat eine spirituelle Diagnose des Zustands der Kirche abgeliefert, das war keine theologische Argumentation. Er hat kritisiert, dass sich die Kirche nur noch mit sich selber befasst und nicht mehr mit den Menschen. Das hat seine Brüder anscheinend tief bewegt und hat am Ende auch zu seiner Wahl geführt. Die Kardinäle haben gespürt: Hier erkennt einer die Zeichen der Zeit.

Ich könnte dazu noch viel mehr sagen, da sich diese Rede wiederum auf eine alte Predigt bezieht, die er 2007 bei einem Treffen der lateinamerikanischen Bischöfe gehalten hat. Die Geschichte geht also viel tiefer noch. Wichtig ist aber nur zu wissen: Was die Erwartungen der Kardinäle für einen neuen Ansatz von Kirche betrifft, hat er mit seinen Worten den Nagel auf den Kopf getroffen.

Ich habe darüber vor kurzem mit dem tschechischen Theologen Tomas Halik gesprochen. Er sagte, dass für ihn Johannes Paul II. und Benedikt XVI. den langen und schmerzhaften Prozess der Kirche zu Ende geführt haben, sich mit der modernen Welt zu arrangieren. Franziskus hat nun ein neues Kapitel für diese Kirche aufgeschlagen. Eine Kirche der postmodernen, postsäkularen Welt, oder wie man das auch nennen mag. Ich denke, wenn wir in Jahrzehnten auf sein Pontifikat zurückblicken, wird das sein großes Erbe sein. Er hat die Kirche in eine neue Ära geführt.

Frage: Wir können jetzt nicht elf Jahre Pontifikat abarbeiten, aber eine Sache, die mich immer wieder überrascht, ist, wie unterschiedlich Franziskus in verschiedenen Kulturen bewertet wird. In Deutschland sieht man ihn im Moment als Konservativen, der im Weg nötiger Reformen steht, in den USA wird er teilweise als linksradikaler Häretiker bezeichnet. Wie kommt das, wenn doch alle die gleichen Worte und die gleiche Botschaft hören?

Ivereigh: Die Antwort liegt in der Hermeneutik. Durch welche Linse betrachten die Menschen Papst Franziskus und sein Pontifikat? Es stimmt, in Deutschland sieht man ihn im Moment als Hindernis auf dem nötigen Weg einer Liberalisierung der Kirche. In Osteuropa und in konservativen Kreisen Nordamerikas sieht man ihn als gefährlichen Linken. Wie bringt man diese zwei Sichten unter einen Hut? Beides hat mit Ängsten und Hoffnungen in den jeweiligen Kulturen zu tun. Wenn man ihn als Hindernis für die eigenen Hoffnungen sieht, oder als Element, dass die eigene Angst befüttert, dann hat man ganz klar ein negatives Bild von Franziskus.

Das gleiche ist übrigens auch mit Jesus passiert. Die Pharisäer waren gute Leute. Sie sind dem Gesetz gefolgt, hatten einen leidenschaftlichen Glauben an denn Gott Israels, trotzdem hatten sie große Probleme mit Jesus und seiner Botschaft. Sie haben ihn als Lehrer mit einer wichtigen Autorität gesehen, aber sie hatten auch große Vorbehalte. Das gleiche kann man eben auch über die Kritiker von Franziskus sagen. Ich glaube, ich kenne niemanden, der seine Führungsfähigkeit bezweifelt. Ob man aber die Richtung gutheißt, die die Kirche unter ihm eingeschlagen hat, das hängt von der persönlichen Linse ab, unter der man ihn betrachtet.

Nach elf Jahren, in denen ich seinen Worten und Taten aber intensiv gefolgt bin, kann ich eines aus Überzeugung sagen: Das Volk Gottes versteht ihn und seine Botschaft. Normale Leute verstehen ihn oft besser als die sogenannten Experten. Ich glaube auch die Großzahl der Bischöfe und Kardinäle steht hinter ihm. Die Opposition macht zwar große Wellen und Schlagzeilen, am Ende bleibt das aber eine kleine Minderheit.

Papst Franziskus
Bild: ©KNA/Vatican Media/Romano Siciliani (Archivbild)

Papst Franziskus habe keine Angst vor Streit und Spannungen, so sein Biograf Austen Ivereigh.

Frage: Es geht bei der Kritik also nicht um die Fakten, sondern darum, was die Leute in ihm sehen und aus ihm machen?

Ivereigh: Mit seiner Regierungsarbeit befindet er sich ja vollkommen im Mainstream, in der politischen Mitte der katholischen Welt. So wie übrigens so gut wie alle Päpste vor ihm. Je weiter man sich von dieser Mitte wegbewegt, umso problematischer sieht man auch das Pontifikat von Franziskus. Ich sehe ihn ihm und seiner Art, die Kirche zu führen, ein gewisses Genie. Das sah ich auch bei Benedikt XVI. und Johannes Paul II. Eine Fähigkeit mit dem Amt die Spannungen zwischen rechts und links zu navigieren, diese Spannungen auszuhalten, dass sie auch Früchte tragen. In gewissem Sinne müssen das alle Päpste tun, aber in Franziskus sehe ich ein besonders Talent dafür.

Was ihn von seinen Vorgängern dabei unterscheidet, ist, dass er keine Angst vor Streit und Spannungen hat. Es gefällt ihm ja sogar, wenn man unterschiedliche Standpunkte einbringt. Zum Beginn der Familiensynode hat er gesagt: "Hier gibt es nur zwei Regeln. Redet mit Überzeugung und hört mit Demut." Er will, dass die Leute die Wahrheit so aussprechen, wie sie sie sehen. Erst dann kann man diese Spannungen definieren und nach dem Willen des Heiligen Geistes suchen. Was ist die größere Aufgabe, der wir uns heute als Kirche stellen müssen? Ich glaube das ist seine Kernbotschaft, das erklärt auch seine Bemühungen zu Synodalität und alles andere, was er in diesen elf Jahren angestrebt hat. Wir brauchen die Demut, um zu verstehen, dass unser Standpunkt vielleicht nicht die volle und einzige Wahrheit ist. Der Wahrheit können wir uns nur öffnen, wenn wir zusammenkommen und auch die andere Seite sehen.

Frage: Wir reden mit Ihnen nicht nur als Biografen, sondern auch, weil Sie auch persönlich eine relativ enge Beziehung zu Papst Franziskus haben. Wie sieht die aus?

Ivereigh: Ich habe in einigen Artikeln gelesen, ich sei ein Freund des Papstes. So weit würde ich jetzt nicht gehen, Freund wäre zu viel gesagt. Das erste Mal, dass wir uns wirklich hingesetzt und unterhalten haben, war erst 2018, da habe ich schon an meiner zweiten Biografie über ihn gearbeitet. Er hatte über einen gemeinsamen Bekannten um dieses Treffen gebeten und er hat ein paar wirklich sehr nette Sachen über meine Bücher und Artikel gesagt. In der Tat hat er gesagt, ich sei in meiner Berichterstattung über ihn "zu nett". Aber er hatte mir auch eine wichtige Botschaft mitgegeben, warum er die Kirche so führt, wie er es tut, und das hat mir ein tieferes Verständnis für ihn und seine Arbeit gegeben.

Danach hatten wir nicht wirklich viel Kontakt. Erst im Corona-Lockdown ist diese Beziehung enger geworden. Ich hatte ihn damals kontaktiert, weil er eine Reihe von Interviews in italienischen und spanischen Medien gegeben hatte. Ich habe gefragt, ob sowas auch auf Englisch möglich wäre. Wir haben denn ein kurzes, 3.000-Wort-Interview aufgezeichnet. Das hat mich dann sehr, sehr beeindruckt. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich seine Art und seinen Lebenslauf sehr gut.

Es gibt eine Sache, für die er ein ganz besonderes Talent hat: In Argentinien hat man ihn damals auch den "Sturmpiloten" genannt. In der Krise ist Bergoglio dein Mann. Er weiß, wie man die stürmische See navigiert, er sieht, wo die Felsen unter der Oberfläche liegen. Und er sieht den Horizont in der Ferne, auf den wir zusteuern. Als die Corona-Krise kam, hatte er also eine wichtige Botschaft für die Menschheit, wie wir aus der Krise besser herauskommen als wir hineingegangen sind.

Genau diese Botschaft wollte ich mit ihm in die Welt tragen, deshalb schlug ich vor, dass wir darüber ein gemeinsames Buch schreiben, das dann "Wage zu träumen!" geworden ist und Ende 2020 rauskam. Im Prozess des Schreibens waren wir nicht physisch zusammen, weil wir uns beide im Lockdown befanden. Aber wir hatten trotzdem sehr viel Kontakt dafür, und daraus ist diese Beziehung der Zusammenarbeit entstanden. Darüber ist dann auch ein gewisses Vertrauen entstanden. Seitdem habe ich ihn ein paar Mal wiedergesehen.

Frage: Nun ist ja der Papst eine Person, vor der man erstmal großen Respekt hat und vielleicht auch ein wenig Nervosität. Wie kommt man denn von da aus zu dem Punkt, dass man auf der Arbeitsebene wie Kollegen ein gemeinsames Buch schreibt?

Ivereigh: Es ist in der Tat vor allem eine Arbeitsbeziehung, so würde ich es beschreiben. Ich bin ja nicht der einzige, er hat solche Projekte ja mit mehreren Journalisten aus verschiedenen Ländern. Ich würde sagen auf der menschlichen Ebene war ich beim ersten Treffen in der Tat unfassbar nervös. Das passiert auch heute noch bei jeder unserer Begegnungen. Ich kann in der Nacht zuvor kaum schlafen und denke dauernd darüber nach, was ich ihn denn fragen will.

Ich glaube, das hat mehr mit der Position als mit ihm als Menschen zu tun. Sobald wir uns gegenüber sitzen ist alles gut, er kann einem sehr schnell diese Nervosität nehmen. Wir lachen, machen Witze, er ist ein sehr gastfreundlicher Mensch. Aber das Amt flößt einem eben diesen großen Respekt ein. Davor habe ich großen Respekt. Das hat aber mehr mit der spirituellen Autorität zu tun, die er verkörpert, als mit ihm als Person an sich. Und mit dieser unfassbaren Verantwortung, die dieses Amt bedeutet. Deshalb wäre jede Idee einer Freundschaft oder Beziehung auf gleicher Ebene schlicht und weg unmöglich. Das sage ich jetzt nicht aus Höflichkeit, das ist wirklich meine Empfindung, ich habe zu großen Respekt vor dieser Position des Papstes.

Aber, was ich in diesen Jahren viel besser und näher verstehen gelernt habe, ist, was ihn auf der menschlichen Seite bewegt. Seine körperliche Schwäche zum Beispiel, die mit dem Alter immer deutlicher wird. Noch mal zurück zu diesem ersten Treffen. Der Titel meiner ersten Papstbiografie war "The great Reformer", dafür schäme ich mich auch nicht, denn er ist ein großer Reformer. Er hatte aber ein Problem damit, weil er meinte, das würde den Mythos einer heroischen Führungsfigur suggerieren. Natürlich ist er ein Mensch, der Talent für Führung hat, aber er sagte, das ist alles weit weg von dem, was der Titel suggeriert. Er sagte, als er 2013 gewählt wurde, hatte er absolut keinen Plan, wie er das Amt angehen soll. Er dachte, nach ein paar Tagen ist er zurück in Buenos Aires. Seitdem, sagte er, tut er einfach das Beste, was er kann. Das muss man alles im Kopf behalten, wenn man seine Amtsführung verstehen will. Und ich denke, inzwischen tue ich das besser als vorher. Deshalb heißt meine zweite Biografie von 2019 auch "Wounded Sheperd", verwundeter Hirte.

Ich sehe seinen Führungsstil als wirklich demütig, in dem Sinne, dass er nicht versucht seine eigene Meinung der Kirche überzustülpen. Er versucht entschieden zu handeln, aber in einer Unterscheidung der Geister. In anderen Worten: Welche Standpunkte gibt es? Welche Spannungen? Lasst uns offen darüber reden, bis wir einen gemeinsamen Weg finden und Klarheit haben, wo der Heilige Geist uns hinführen will. Und das tut er mit Überzeugung. Es gibt also keinen Widerspruch zwischen Demut und Überzeugung. Aber eine theologische Agenda verfolgt er keinesfalls, und das ist die wahre Demut seiner Amtsführung. Er regiert aus den Worten des Evangeliums heraus und folgt den Worten Jesu: Gott ist die Liebe und wir sind auf der Suche nach dem Reich Gottes, das ist seine Überzeugung und das müssen die Leute verstehen. Um das Christentum zu sehen, muss man als erstes Christus sehen. Erst dann versteht man den Rest, sonst macht das nicht viel Sinn.

Diese Werte will er in die heutige Welt und ganz konkret auf die Straße bringen. Wenn es um die Kirche geht, sollen die Menschen als erstes sehen und verstehen, dass hier jemand Gottes Liebe verkörpern will. Darüber spricht er sehr viel, und ich denke deshalb ist er auch für die Menschen so nahbar und offen. Deshalb arbeitet er auch mit so Leuten wie mir, ich denke in solchen Gesten sieht er als Papst die Zeichen der Zeit. Und deshalb spricht er sich auch gegen die alten Zeiten des Klerikalismus aus, aber auch im größeren Kontext gegen die Logik der kapitalistischen Wirtschaft, wo eben nicht der Mensch im Mittelpunkt steht. Deshalb stören ihn auch Reformen in der Kirche, die hauptsächlich die Institution reformieren wollen. Die Menschen sollen sich reformieren und auf Christus ausrichten.

„Ich sehe im Moment keine Zeichen für einen zeitnahen Rücktritt. Auf der anderen Seite weiß ich auch, dass ihm das allerwichtigste ist, Entscheidungen im eigenen Willen und in voller Freiheit zu treffen.“

—  Zitat: Austen Ivereigh

Frage: Seine körperliche Schwäche haben Sie erwähnt. Was erwarten Sie von diesem Papst in den nächsten Monaten? Einige ziehen ja schon Parallelen zu Johannes Paul II. Wie geht er mit dem Alter um?

Ivereigh: Diese Parallelen zu Johannes Paul II. sehe ich nicht. Der hatte ja wirklich eine schwere Krankheit, die die letzten Jahre seines Lebens geprägt hat. Die Parkinson-Erkrankung hatte ihn schon sehr eingeschränkt. Franziskus ist davon weit entfernt. Er hat zwei Probleme: Seine Knie und seine Lunge. Ich glaube, ihn frustriert vor allem, dass er nicht mehr richtig gehen kann. Die Lunge ist nicht so dramatisch. Er hat schwache Lungen und wird deshalb eben eine Erkältung nicht so schnell los, wie andere Leute. Er ist 87 Jahre alt, was will man denn da auch erwarten? Wichtig ist, dass er mental gut drauf ist – und das kann ich von unseren letzten Treffen absolut bestätigen. Seine Intelligenz und Aufnahmefähigkeit sehe ich in keiner Weise eingeschränkt. Man merkt aber, dass ihm irgendwie inzwischen Energie fehlt. Er hatte immer diesen riesigen Tatendrang und einen großen Druck dahinter, das ist jetzt nicht mehr so. Er ist viel ruhiger geworden. Und er unternimmt weniger Reisen und kürzere Reisen. Den Besuch in Dubai letzten November musste er ja auch absagen.

Alles das sind aber Kleinigkeiten. Ich glaube nicht, dass dadurch seine Fähigkeit, die Kirche zu führen, eingeschränkt ist. Und ich glaube, er sieht das genauso. Wenn es so weit kommt, dann, denke ich, wäre er auch bereit, das Amt abzugeben. Das ist das Erbe von Benedikt XVI., worüber er auch oft gesprochen hat, dass sein Vorgänger diese Tür geöffnet hat.

Wie sehen die nächsten Monate aus? Das kommt ganz drauf an, wie sich sein Gesundheitszustand entwickelt. Ich sehe im Moment keine Zeichen für einen zeitnahen Rücktritt. Auf der anderen Seite weiß ich auch, dass ihm das allerwichtigste ist, Entscheidungen im eigenen Willen und in voller Freiheit zu treffen. Wenn es also so weit ist, die Zeit für den Rücktritt kommt, dann werden wir es alle wahrscheinlich nicht kommen sehen.

Frage: Sie haben gerade ein Buch auf Englisch rausgebracht, in dem Sie Exerzitien im Sinne von Papst Franziskus erläutern, "First belong to God" heißt es. Der Papst hat Ihnen sogar das Vorwort dafür geschrieben. Wie haben Sie ihn denn dazu überzeugt?

Ivereigh: Unser letztes Buch "Wage zu träumen!" war zwar eine Zusammenarbeit, aber eigentlich sein Buch, ich habe ihm nur beim Schreiben geholfen. Das ist jetzt aber wirklich mein Buch. Das ist aber sehr von ihm inspiriert, da ich viele seiner alten Exerzitientexte aus Argentinien dafür ausgegraben habe. Auch viele Botschaften seines Pontifikates haben ihren Weg in das Buch gefunden. Das Buch beschreibt acht Tage Exerzitien und liefert dafür Betrachtungen und Meditationen. Ich habe die Kapitel nach den einzelnen Tagen angeordnet und für jeden Tag Fragen und Reflektionen formuliert. Die Idee des Buches ist die Spiritualität von Franziskus' Pontifikat besser zu verstehen. Wir können diesen Papst nicht durch die Linse der Politik oder Gesellschaft verstehen, sondern nur durch seine persönliche Spiritualität. Im Vorwort beschreibt er sehr nett, dass dieses Buch Exerzitien erlaubt, die sein Pontifikat besser verstehen lassen.

Eine der Sachen, die er im Vorwort erwähnt: Das ist keine Zeit, in der wir uns verkriechen und die Welt vor der Tür lassen sollten.  Dieses Bild ist ein ganz wichtiger Teil von Franziskus' Botschaft und auch ein wichtiger Teil dieser berühmten Rede an die Kardinäle, über die wir gesprochen haben.

Frage: Was bringt Ihnen Hoffnung?

Ivereigh: Hoffnung bringt mir ganz persönlich dieses Pontifikat. Ich bin sehr dankbar, dass wir an der Spitze dieser Kirche jemanden haben, der einen klaren Blick für die Zeichen der Zeit hat und kommunizieren kann, was wir als Christen und Menschen heute brauchen. Und ich glaube das kommt auch an.

Trotz aller negativer Schlagzeilen im Moment sehe ich, dass Franziskus mit seiner Botschaft bei den Menschen ankommt. Die Menschen erwachen, entdecken eine neue Liebe für die Schöpfung. Sie kümmern sich um die Schwachen, um Randgruppen. Es gibt ein neues Bewusstsein für diese Fragen, und das bringt mir Hoffnung, denn nur so kommen wir dem Reich Gottes ein Stück näher. Franziskus sagt gerne: Hoffnung ist nie verschwendet.

Von Renardo Schlegelmilch