Die Passion bei RTL: Ein kurzweiliger Fiebertraum
"Die Passion ist kein Märchen". Dieser Satz von Moderator Hannes Jaenicke schlägt unerwartet ernste Töne an in einer Sendung, die ansonsten vor bunten Bildern und (oft deplatziert wirkenden) Modernisierungsversuchen nur so strotzt. Nach dem Zuschauen ist man erst einmal verwirrt und fragt sich: "Was habe ich da eigentlich gerade gesehen?". Es ist ein Format der Gegensätze, die manchmal besser und manchmal schlechter ineinander verwoben wurden.
Nachdem "Die Passion" im letzten Jahr ausgefallen war, war bei vielen Menschen die Freude groß, als angekündigt wurde, dass sie in diesem Jahr weitergeführt wird. Das Konzept blieb gleich, aber neue Schauspieler mussten her. Der Cast wurde im Allgemeinen gut gewählt: Ben Blümel, ein Saubermann als Jesus, der vor vielen Jahren mit seinem Song "Engel" schon einen christlichen Hit hatte, machte seinen Job unaufgeregt gut, wenn auch nicht so emotional wie Alexander Klaws in der ersten RTL-Passion. Nadja Benaissa hat als Maria grandios performt, allerdings ist die Darstellerin genauso alt wie der Darsteller ihres Sohnes Jesus. Von den Jüngern haben viele schon das Dschungelcamp von innen gesehen (lief wohl nach Jesu Tod nicht mehr so gut für sie), was auf die Vorzüge des Casts geblickt ein Publikum anziehen könnte, das sich bisher weniger mit der Geschichte Jesu auseinandergesetzt hat. Einige haben sich selbst als gläubig geoutet. So zum Beispiel der langjährige Viva-Moderator Mola Adebisi, dessen ungeborenes Kind auf jeden Fall getauft werden soll. Nur ob es evangelisch oder katholisch wird, steht noch nicht fest, sagte er nach der Passion im Interview zusammen mit seiner Freundin Adelina Zilai. Timur Ülker, ein weiterer Jünger, bringt als Muslim Vielfalt in den Cast. Einige Darsteller sind, so zeigt ein kurzer Hintergrundcheck, durch weniger christliches Handeln aufgefallen. René Caselli steht auf Grund seiner Elefantenhaltung im Zirkus in der Kritik. Jimi Blue Ochsenknecht hat erst vor kurzem betont, dass er sich nur als "unfreiwilliger Erzeuger" seines Kindes und nicht als dessen Vater sieht.
Eine düstere Version des Fernsehgartens
Die Songs adaptierten wieder populäre Lieder aus den Charts der vergangenen Jahrzehnte: von Marius Müller Westerhagen über Helene Fischer, Udo Jürgens, Rosenstolz bis hin zu den Toten Hosen und Tina Turner. Dabei gab es kaum Highlights. Zwischendurch hat man sich gefragt, ob der eine oder andere nicht doppelt vorkam. Man ist hier auf Nummer sicher gegangen. Das ist schade, denn die vorherige Sendung hatte doch gezeigt, dass mit kontroversen Songs durchaus geschickt Emotionen transportieren werden können, zum Beispiel als Marc Keller (Judas) "Durch den Monsun" von Tokio Hotel sang. In der diesjährigen Sendung stach vor allem der homoerotisch aufgeladene Song "Out of the Dark" beim Judaskuss heraus. Mehr solch unkonventioneller Momente hätten die Sendung sicher noch runder gemacht. Die "Schlagersängermoves" der Darsteller, mit ausladenden Gesten und dramatischen Gesichtsausdrücken, haben zeitweise den Eindruck gemacht, man würde hier eine düstere Version vom Fernsehgarten schauen und nicht "Die Passion". Das ist schade, denn manche Songs hätten mit weniger Overacting ihren Zweck wohl besser erfüllt, da man sich mehr auf den Text hätte konzentrieren können.
Zwischen den Songs gab es geschauspielerte Szenen, die vom Moderator eingeordnet wurden. Wer hier kritisiert, dass man die Deutung des Leidenswegs Jesu auf dem Silbertablett serviert bekommt, mag zwar Recht haben, vergisst aber, dass gerade so Menschen angesprochen werden können, die sich nach Feierabend eigentlich nur noch unterhalten lassen möchten. Außerdem war die Einordnung überraschend christlich und nah an der Bibel. Nicht nur, dass betont wurde, dass es sich bei der Passion Christi nicht um ein Märchen handelt, sondern sie wirklich so geschehen ist, auch die Botschaft, dass wir alle von Gott geliebt werden, wurde überraschend unverklausuliert und deutlich rübergebracht.
Die Pizza – ein intertextuelles Osterei
Die gespielten Szenen selbst scheiterten oft an dem Versuch, hier die Moderne auf Jesu Lebenszeit treffen zu lassen. So wird zum Beispiel noch schnell ein Selfie vorm letzten Abendmahl gemacht oder die Jünger fahren auf Elektrorollern nach Jerusalem. Für das letzte Abendmahl kaufen die Jünger fünf Ciabatta-Brote und zweimal Pizza Frutti di mare – ein intertextuelles Osterei, das Pessach mit dem Speisewunder verbindet. Die Dialoge dagegen wurden meist direkt aus der Bibel übernommen. (Leider) kriegt man auch die Szene nicht mehr aus dem Kopf, in der Jesus und Judas wie zwei Drogenbosse aufeinandertreffen … Das wirkt unfreiwillig komisch und man hätte auch anders verstanden, dass die Geschichte hier in der heutigen Zeit spielt. Da hätten auch die sowieso genutzten Kulissen, wie die eines ehemaligen Technoclubs, absolut ausgereicht. Die über Kassel verstreuten Schauplätze waren effektiv gewählt: Durch ihre industrielle Schlichtheit trugen sie viel zur Atmosphäre bei.
Ab und an wurde live zu einer Gruppe Menschen geschaltet, die parallel zur Sendung auf der Bühne ein Kreuz durch Kassel trugen. Ganz normale Gläubige, die ihre Geschichte erzählen. Leider hatte man bei den meisten das Gefühl, dass sie eben nicht den Durchschnittschristen repräsentieren: Evangelikale Lebensbeichten überwogen bei den durchaus anrührenden Statements. Hier hätte etwas mehr Durchmischung – die es beim Cast ja gab – gut getan.
Das Highlight kam am Ende
So richtig eingegrooved hatte sich die Sendung dann leider erst zum Schluss. Bei der Kreuzigung erzählte Pontius Pilatus in allen Details, wie eine Kreuzigung stattfindet und was sie mit dem Körper macht. Das kann man abstoßend finden und das sollte man auch. Es war aber ein guter Schachzug, um dem Zuschauer die Drastik der Entscheidung Jesu, für uns zu sterben, deutlich zu machen. Marias Lied im Anschluss ("Wunder gescheh'n" von Nena) war sehr berührend und hat indirekt den Moment der Auferstehung im Tod vorhergesagt. Beim Livepublikum sah man Tränen in den Gesichtern.
Leider hat man diesen Moment, statt ihn nachwirken zu lassen, direkt wieder zerstört. In einem anschließenden "Exklusiv Special" wurden die Darsteller nach ihrer persönlichen Glaubensgeschichte gefragt. Das ist eigentlich eine sehr schöne Idee, aber wenn kurz nach der Kreuzigung Moderatorin Frauke Ludowik ungeschickt auf die Bühne stolpert, sich mit ihren Haaren verheddert und das Mikro nicht richtig bedient, kann man sich schon fragen, ob man das nicht lieber vorab aufgezeichnet hätte.
Was eigentlich wichtig war
Bei aller Kritik und auch allem Lob ist der wichtigste Punkt der Passion aber gar nicht unbedingt, ob die Darsteller gut waren, die Musik passend oder der Moderator besonders geschickt. Das eigentlich Bemerkenswerte an der Sendung ist, dass sie es wieder geschafft hat, die Geschichte des Christentums in die Gesellschaft zu tragen. Auf X trendete der Hashtag "DiePassion" stundenlang auf dem ersten Platz. Egal, ob man das Format nun gut findet oder schlecht, viele Menschen, die lange nur noch von Verfehlungen der Kirchen gehört haben, diskutieren durch die Sendung wieder über die Inhalte des Glaubens. Das sollte es doch Wert sein, knapp 2 ½ Stunden Fiebertraum durchzuhalten – hoffentlich auch wieder im nächsten Jahr.